30. Juli 2018

"Unser Latein ist haarsträubend"

Interview geführt von

Im 15. Bandjahr veröffentlichen Powerwolf ihr heiliges siebtes Album – und sind darauf gewohnt unheilig. Gitarrist Matthew Greywolf erzählt uns von (grammatikalischer) Sünde, zotiger Zweideutigkeit und wie er zu Weiterentwicklung im Kosmos der Wölfe steht.

Die Hostien stehen schon auf dem Tisch und der Bürohund hechelt glücklich durchs Zimmer – Powerwolf-Tag im Berliner Napalm Records Office. Matthew Greywolf hat schon einige Interviews hinter sich, macht aber einen sehr entspannten Eindruck. Angesichts der Fanscharen, die in etwa zwei Monaten aller Voraussicht nach sein neues Album "The Sacrament Of Sin" aus den Läden plündern werden, kann er das auch sein. Powerwolf haben sich zu einer der erfolgreichsten deutschen Metalacts gemausert und feiern 2018 15-jähriges Bandjubiläum. Zeit, zurückzublicken.

Da du eben off the record von internationalen Pressetagen erzählt hast, steigen wir doch gleich international ein. Auf Facebook fragen einige Leute, wann ihr denn mal in die USA kommt. Könnt ihr euch das aktuell vorstellen?

Matthew Greywolf: Natürlich können wir uns das vorstellen. Konkrete Pläne gibt es momentan aber keine. Nach dem Albumrelease und den Sommerfestivals steht zunächst einmal die Europa-Tour an. Wahrscheinlich wird es auch noch einen zweiten Teil zu dieser geben und nach Russland fahren wir außerdem. Sicherlich wird es einmal über den großen Teich gehen. Ein Blick auf unsere Geschichte verrät, dass wir immer Stück für Stück gewachsen sind. Wir haben Schritt für Schritt unseren Tour-Radius erweitert. Das möchten wir so beibehalten. Jetzt mit der Brechstange die Welt zu betouren, würde uns glaube ich gar nicht so gut tun. Wenn man zu viel will, verzettelt man sich schnell. Lieber weiten wir nach und nach unser Territorium aus.

Bekommst du viel davon mit, wie erfolgreich ihr in den USA seid?

Ich kann dir jetzt keine konkreten Verkaufszahlen nennen, aber es gibt eine recht große Szene für diese Art von Musik, was mich erstaunt hat. Bis vor einigen Jahren war ich der Meinung, dass melodischer Metal in den USA quasi tot ist. Dabei existiert eine aktive Szene.

"The Sacrament Of Sin" fällt mit dem 15-jährigen Bandjubiläum zusammen, das 2018 ansteht. Hattet ihr das beim Schreiben des Albums im Sinn?

Nee, wir verdrängen das eher. (lacht) Das zeigt ja immer, wie alt du geworden bist. Solche Jubiläen realisiert man immer erst, wenn einem das jemand sagt. Die Zeit verrinnt so schnell. Ich habe es heute schon öfter angesprochen: Seit dem vorherigen Album sind drei Jahre vergangen – es fühlt sich an wie drei Tage. Es bleibt eigentlich keine Zeit, innezuhalten, um ein Resümee zu ziehen. Insofern haben wir dieses 15-jährige Jubiläum gar nicht wirklich wahrgenommen.

Wenn du heute auf die vergangenen 15 Jahre zurückblickst, was siehst du als deine größte Errungenschaft mit Powerwolf?

Spontan fällt mir ein: Die Dankbarkeit, immer noch mit diesen Jungs Musik machen zu können. Man könnte einen #1-Charterfolg nennen oder große Festivalshows. Aber ich glaube, das ganz große Geschenk ist, dass wir mit dem Ding, das wir uns damals bei der Gründung ausgedacht haben, tatsächlich so lange dabei geblieben sind und das alles hier erleben dürfen. Das schließt natürlich den Erfolg mit ein, vor allem aber die Möglichkeit, so viele Menschen begeistern zu können. Es gibt nichts Schöneres, als auf der Bühne zu stehen und einen Dreizehnjährigen im Publikum zu sehen, dessen erstes Metalkonzert ihm gerade die gesamte Welt umkrempelt. Solche Momente sind unglaublich. Dafür bin ich dankbar.

Abgesehen vom Schlagzeugposten spielt ihr immer noch in Urbesetzung.

Auch dafür bin ich sehr dankbar. Ich werde oft gefragt, was ich jungen Bands raten würde. Die Antwort ist: "Sucht keine Musiker, sucht Freunde." Du gehst als Band auch durch schlechte Zeiten und hast auf Tour auch mal – auf gut Deutsch gesagt – Scheißtage. Da ist wichtig, Freunde um sich zu haben, eine Art Familie.

Hat sich euer Verhältnis über die Jahre verändert? Über die Jahre wurde Powerwolf schließlich immer arbeitsintensiver – sowas kann eine Freundschaft ja durchaus beeinträchtigen.

Wir haben über die Jahre gelernt, die Stärken und Schwächen der Einzelnen zu akzeptieren. Wenn Attila im Tourbus seinen Vorhang zuzieht, lasse ich ihn in Ruhe. Da fragt man auch nicht, was los ist. Man weiß, wie damit umzugehen ist.

Euren Stil habt ihr über die Jahre in Nuancen weiterentwickelt, allzu viel geändert habt ihr am Powerwolf-Sound aber nicht – es wird nur alles immer ein bisschen "größer" würde ich sagen. Gibt es inzwischen ein Grundrezept für Songs?

Nein, ich fände schade, wenn es das gäbe. Ich mag das "kreative Abenteuer". Auch nach so vielen Jahren habe ich im Grunde keine Ahnung, wie ich einen Song schreibe. Es gibt kein Erstens, Zweitens, Drittens. Kreativität passiert, und zwar auf vielen verschiedenen Wegen. Du hast es eben angesprochen: Wir sind seit vielen Jahren in derselben Besetzung unterwegs. Natürlich könnte sich da leicht Routine einschleichen. Routine ist für mich der Feind des Kreativen. Also haben wir bei "The Sacrament Of Sin" aktiv entgegengewirkt, indem wir nach sechs Alben mit Fredrik Nordström ganz bewusst den Produzent gewechselt. Wir haben uns aus unserer Komfortzone bewegt. Sowohl durch die Arbeit mit Jens Bogren als Produzent als auch durch breitere Aufstellung im Songwriting-Spektrum, entstand ein wenig "Weißes-Blatt-Feeling". Wir malten das ganze Gebilde neu auf. Wir fingen an, die kleinsten Bestandteile des Bandsounds neu zu definieren. Das brachte letztlich viel frischen Wind rein und macht "The Sacrament Of Sin" ein Stück weit zu Neuland.

Hat sich im tatsächlichen Songwriting-Prozess auch was verändert? Habt ihr im Studio noch an den Songs gearbeitet?

Wir sind eine Band, die in der Regel die Songs sehr weit ausgearbeitet hat, wenn sie ins Studio kommt. Allerdings arbeiteten wir schon in der Vorprodukten zum Album mit Jens Bogren zusammen. Er fungierte dabei mehr als Mentor im Hintergrund, bestärkte uns darin, neue Wege zu gehen und ungewöhnlichere Ideen umzusetzen. Im Studio selbst hat sich tatsächlich wenig verändert. Es ging vor allem darum, die beste Performance aus uns herauszukitzeln. Darin ist der Perfektionist Jens echt gut. Ein anderer Grund, warum wir ihn ausgewählt haben, war, dass er jede Band anders klingen lässt. Es gibt nicht den Bogren-Sound, sondern er verpasst jeder Band ihren individuellen Sound. Einigen Alben hörst du im Gegensatz dazu ja beinahe mehr an, wer sie produziert hat als wer sie geschrieben hat.

"Am Ende verändert die Band noch ihr Logo und die Welt geht unter"

Definitiv eine Neuerung für euch ist die Balladenpremiere "Where the Wild Wolves Have Gone". Das Stück beginnt mit Klavier – ich nehme also an, es basiert auf Falk Maria Schlegels Idee?

Nee, das stammt tatsächlich von mir. Ich bin ja neben meiner Tätigkeit als Gitarrist ebenfalls als Tastenmusiker unterwegs und habe – wie Falk – als erstes Instrument Kirchenorgel gelernt. Erst später in meiner wilden Jugend wechselte ich wegen des Metal zur Gitarre. Ich bin bekennender Fan klassischer Rock- und Metalballaden und hatte mich mal mit Attila darüber unterhalten, der genauso fühlt. Als harter Metalmusiker traut man sich ja kaum zu sagen, dass man die Balladen mag. (lacht) Wir sagten schon vor Jahren zueinander: "Irgendwann schreiben wir mal eine Ballade." In der Vergangenheit haben wir uns aber nie bereit gefühlt. Jetzt mit neuem Produzent und breiter aufgestelltem Songwriting fühlte es sich gut. "Where The Wild Wolves Have Gone" wurde nur mit Klavier und Gesang geschrieben. Alles andere – besonders die Gitarren, die für mich im Song eine sehr untergeordnete Rolle spielen – kam erst später dazu. Für mich als Songwriter war das Stück deshalb eins der spannendsten des Albums. Vor allem war es spannend zu sehen, dass selbst ein eigentlich untypisches Lied schon in recht frühem Stadium nach Powerwolf klang. Es war also völlig okay, das zu machen. Gerade im Metal sind Experimente – oh, wehe dieses böse Wort! – ja verpönt. Am Ende verändert die Band dazu noch ihr Logo und die Welt geht unter. (lacht) Ich würde deshalb nicht unbedingt von 'Experimentieren' sprechen. Ich würde eher sagen, wir haben etwas Neuland ausprobiert. Unsere Maßgabe dabei war, es nicht nur zu machen, um des Neuen willen, sondern nur, wenn sich ein gutes Bauchgefühl dabei einstellt. Bei "Where The Wild Wolves Have Gone" war das von Anfang an der Fall. Es gab andere Baustellen, bei denen es anders war. Die haben wir entsprechend konsequent abgebrochen.

Was hat zum Beispiel nicht funktioniert?

Naja, das ist schwer zu umreißen. Ich denke, im kreativen Prozess ist es eine gute Ausbeute, wenn von zehn Ideen eine gut ist und sich zu einem Song entwickelt. Es braucht gewisse Konsequenz, vielleicht auch schon auf halbem Weg einzugestehen, dass etwas nicht in die Puschen kommt und man es besser sein lassen sollte.

Du sagst, "Where The Wild Wolves Have Gone" stand ursprünglich nur mit Klavier und Gesang. Könntest du dir vorstellen, den Song live in einer Akustikversion zu spielen?

Solche Überlegungen gibt es. Es wurde schon diskutiert, den Song in einer etwas runtergebrochenen Version aufzuführen. Mal sehen, wie wir es letztlich machen, so weit sind wir in der Vorbereitung noch nicht. Momentan planen wir die Bühne. Auch hier mischen wir als Band immer kräftig mit. Auf jeden Fall werden wir "Where The Wild Wolves Have Gone" aber ins Liveset mit reinnehmen.

Attila erzählt live um die Songs herum gerne Stories. Kannst du vielleicht ein kleines Best-Of geben, was uns in dieser Hinsicht, zu "The Sacrament Of Sin" erwartet?

Schwierig, textlich geht es in ganz verschiedene Richtungen. Aber da wir gerade bei "Where The Wild Wolves Have Gone" waren, fange ich hiermit mal an. Der Track ist recht nachdenklich geraten, eher ungewöhnlich im Powerwolf-Universum. Er beschäftigt sich mit der großen universellen Frage: "Was passiert nach dem Tod?" Also: Wie sieht der Ort aus, zu dem die wilden Wölfe gegangen sind? Es ist ein mystischer, nicht-physischer, metaphorischer Ort. Gibt es überhaupt einen solchen Ort? Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Klassischen Powerwolf-Stoff gibt es natürlich ebenso. Gemäß dem Albumtitel drehen sich viele Songs um das Konzept von Sünde und Vergebung – nicht nur im religiösen Kontext, sondern auch im größeren spirituellen und philosophischen Sinne. Was ist Sünde? Ist es das, was die katholische Kirche unter den sieben Todsünden versteht oder eher eine individuelle Angelegenheit. Solche Fragen verarbeiten wir in den Texten.

Hast du für dich eine Antwort gefunden?

Ich bin ein Mensch, der immer noch auf der Suche nach Antworten ist. Und ich glaube, bei den ganz großen Fragen ist der Weg das Ziel. Sünde würde ich als etwas bezeichnen, womit ich selbst nicht leben könnte. Ich bin jemand, der Dinge klären muss. Ich bin ganz schlecht darin, Konflikte im Raum stehen zu lassen, ohne sie im Guten geklärt zu haben. Das selbst wäre jetzt noch keine Sünde, aber in diesem Sinne definiere ich für mich persönlich Sünde.

Recht eindeutig erkennbar ist die Sünde in "Stossgebet".

Das ist natürlich gefundenes Fressen für den Wolf! Eine herrlich zweideutige Geschichte. Irgendwann bin ich über das Wort 'Stoßgebet' gestolpert und wusste im selben Moment: Das wird ein Song. Es ging gar nicht anders. Die Zweideutigkeit stand im Raum. Ich habe Attila glaube ich damals eine WhatsApp mit nur diesem Wort geschickt und zurück kam: "Das wird ein Song." Es musste einfach sein. Und es musste ein deutscher Song werden. Die Begrifflichkeit zu übersetzen hätte die Zweideutigkeit rausgenommen, und auch die Wortgewalt. 'Stoßgebet' an sich, auch ohne Zweideutigkeit, empfinde ich als sehr gewaltiges Wort. Wie gesagt: Perfektes Fressen für den Wolf.

Etwas Latein gibts darin auch zu hören. Dass ihr Zoten mit der alten Sprache vermischt, hat inzwischen schon Tradition.

Auch das. Ich nenne es gar nicht wirklich Latein, denn es ist grammatikalisch ja haarsträubend. Das gebe ich auch gerne zu. Grammatikalisch korrektes Latein kann man nur sehr schwer singen. Wir benutzen Latein wortmalerisch oder als Element, Atmosphäre zu erzeugen.

Wo fand die Idee, Sexualkunde und Latein zu etwas Humorvollem zusammenzumischen und in den Metalkontext zu packen, eigentlich ihren Ursprung?

Das klingt immer, als hätten wir uns irgendwann zusammengesetzt und eine solche Idee aufgeschrieben. So was entsteht aus Launen heraus. Man merkt ja auch "Stossgebet" das Augenzwinkern deutlich an. Der humoristische Moment ist uns sehr wichtig. Aus einer solche Laune ist auch unsere Form von Latein entstanden. Wir spielen gerne mit den Dingen und lachen auch gerne mal drüber. Das braucht die Kunst glaube ich auch. Wenn ich im Songwriting alles todernst nehme, verbaue ich mir ganz viele Möglichkeit. Wir sind immer dann am kreativsten, wenn wir über unsere eigenen Ideen schmunzeln können. Das bringt Leichtigkeit rein, jeder fühlt sich besser dabei, einfach mal sich einzubringen, statt todernst Ideen hin und her zu schicken, wobei sich niemand wirklich traut, was auszuprobieren. Ich bin echt froh, dass wir uns diese Lockerheit bewahrt haben. Je größer die Band wird, desto wichtiger ist, dieses humoristische Moment als Waffe gegen die Ernsthaftigkeit der Dinge zu verwenden.

Nutzt ihr es auch, um zu vermeiden, in die "böse" Ecke gestellt zu werden? Es hört ja bei der Musik nicht auf – sogar auf dem Bandfoto zieht Attila die Augenbraue hoch.

Auch das, ja. Wir spielen viel mit religiöser Symbolik und provokanten Songtiteln und Texten. Es tut gut, wenn dabei Humor ins Spiel kommt, um jedem klarzumachen, dass es keineswegs darum geht, eine religiöse Message zu verbreiten, zu predigen oder religiöse Gefühle bösartig zu verletzen. Ja, es gibt ein Konzept, aber immer auch ein Augenzwinkern, um zu zeigen, dass wir mit gewissem Abstand da rangehen.

"Niemand gründet eine Metalband, weil er auf Platz 1 der Charts will"

Der Vergleich hinkt zwar ein wenig, wird aber trotzdem gerne gezogen: zu Ghost. Was euch verbindet ist das sakrale Element und die Annäherung durch Humor. Seht ihr sie als Konkurrenz oder könnt ihr vielleicht sogar voneinander profitieren?

Weder noch, würde ich sagen. Konkurrenz sehe ich unter Bands sowieso ganz allgemein nicht. Vor allem optisch bestehen natürlich Gemeinsamkeiten. Musikalisch trennen uns Welten. Ich mag Ghost sehr gern, aber ich begreife sie als Retro-Pop-Rock-Band, während wir relativ eindeutig im Metal verwurzelt sind. Auch was unsere Show angeht, agieren wir sehr unterschiedlich. Wir bedienen uns ähnlicher Symboliken, klar. Aber wenn wir jetzt anfangen zu zählen, wie viele Black Metal-Bands Pentagramme nutzen, und sie deswegen vergleichen, wirds schwierig. (lacht) Es gibt eben recht wenige Bands, die mit unserer Symbolik spielen. Umso auffälliger wird es, wenn gleich zwei Bands damit recht erfolgreich unterwegs sind. Aber Konkurrenz gibts da keine und man schaut auch nicht ständig rüber, was die anderen so treiben. Ich schätze, das ist bei Ghost genauso. Ich glaube, Ghost ist ähnlich wie Powerwolf ein Konstrukt mit einer Vision, die umgesetzt wird. Wir gucken nicht viel links und rechts, das interessiert uns kaum. Wir tun das, was wir tun.

Während Ghost ihre Erscheinung verändern und die Figuren austauschen, bleibt ihr einer Linie treu – auch wenn ihr sie natürlich seit dem ersten Album verfeinert habt. Fühlst du dich manchmal eingeengt? Würdest du auch gern mal die Figuren wechseln?

Nein, eigentlich gar nicht. Ich sehe uns nicht als Kunstfiguren, sondern als Band im klassischen Sinne. Ich bin stolz darauf, dass wir seit 15 Jahren bis auf einen Lineup-Wechsel mit den gleichen Personen agieren. Auch die Wahrnehmung von uns als Band und Personen ist eine andere. Bei Signing-Sessions und Meet-and-Greets erscheinen wir bewusst als die Menschen, die wir abseits der Bühne sind. Uns geht es nicht um ein Mysterium. Ich fühle mich auch in keiner Weise eingeengt, obwohl wir das oft gefragt werden. Wie vorhin bereits erwähnt, haben wir ja durchaus geschafft, unserem Kosmos neue Facetten hinzuzufügen. Powerwolf und der Kosmos, den wir uns geschaffen haben, ist für mich mehr als Musik, es ist auch eine optische Erscheinung – ein Gesamtpaket. Wir haben uns das aufgebaut, weil wir genau das mögen. Deshalb fühlen wir uns nicht eingeengt. Es ist ja nicht so als hätte uns jemand aufgetragen: "So, ihr singt jetzt über Werwölfe und Kirche." Das Ganze ist organisch aus dem entstanden, was uns interessiert und was wir einbringen. Nirgends steht geschrieben, dass das immer die gleichen Themen sein müssen. Auch optisch bleiben wir frei. Jeder von uns entwickelt sein Make-up weiter. Es existiert kein festgeschriebenes Konzept. Im Grunde haben wir einfach sowohl musikalisch als auch visuell unser Feld gefunden, in dem wir uns austoben können. Diesem Austoben sind eigentlich wenige Grenzen gesetzt.

Apropos Grenzenlosigkeit: "The Sacrament Of Sin" liegt ein Coveralbum bei, bei dem andere Bands eure Songs spielen. Wie habt ihr die Bands ausgewählt?

Wir haben Freunde gefragt. Das war der Gedanke dabei. Es war eigentlich nie als Projekt geplant. Als wir gemeinsam mit Epica auf Tour waren, spielten sie eines Tages plötzlich "Sacred And Wild" beim Soundcheck. Wir fanden das so cool, dass wir abends nach ein paar Bier gefragt haben, ob sie nicht Lust hätten, das mal aufzunehmen. Wir wollten das einfach gerne haben und dachten eigentlich mehr an unser Privatarchiv als an eine Veröffentlichung. Epica waren total begeistert und haben das durchgezogen. Das hat nachgewirkt und so fragten wir irgendwann auch Battle Beast. So kam eins zum anderen. Bis zuletzt hatte niemand so wirklich auf dem Schirm, wir könnten daraus ein Album basteln. Tja, jetzt sind zehn Stücke zusammen und es ist ein wunderbarer Bonus entstanden, weil wirklich jede Band es geschafft hat, absolut nach sich selbst zu klingen. Wir haben jedem gesagt: "Sucht euch einen Song aus, dreht ihn durch den Wolf, klingt nicht nach uns, sondern nach euch."

Bei manchen kam dabei unglaublich kreativer Output. Caliban haben aus dem traditionellen Rocksong "Kiss Of The Cobra King" eine supermoderne, atmosphärische Metalcore-Nummer gemacht. Eluveitie haben den Text von "Ira Sancti (When The Saints Are Going Wild)" ins Keltische übersetzt, um ihren Charakter reinzubringen. Wenn man das weiterdenkt, ist es eigentlich ein bisschen schade, dass in der Rock- und Metalszene jeder sein eigenes Süppchen kocht, während beim Pop und Hip Hop viel mehr Kooperation zwischen den Künstlern stattfindet. Es ist unglaublich, was bei der Aktion an Kreativität rübergekommen ist. Wenn eine neue Version bei uns ankam, war das wie Weihnachtsgeschenke-Auspacken. Jeder war super nervös, auf Play zu drücken, um etwa zu hören, was denn jetzt Mille von Kreator aus unserem Song gemacht hat.

Hast du einen Liebling?

Schwierig. Dass Mille "Amen & Attack" gesungen hat, bedeutet mir emotional sehr viel, weil er einer meiner Jugendhelden ist. Mit Kreator bin ich aufgewachsen. Entsprechend war es ein besonderer Gänsehautmoment, dass er einen meiner Songs singt. Bei der erwähnten Version von Caliban wurde mir klar, wie viel Herzblut die Bands reinsteckten. Man schreibt ja nicht mal eben einen Song komplett um. Da merkte ich, was das für ein Geschenk ist.

Ihr habt selbst auch schon gecovert. Könntet ihr euch auch vorstellen, ein ganzes Album mit Coverversionen aufzunehmen?

Nun, das haben wir mit dem Bonus-Album zu "Blessed And Possessed" ja getan. (lacht)

Oh sorry, das hatte ich gar nicht auf dem Schirm.

Gar kein Problem, muss man ja nicht kennen. Das war eine Zusammenstellung von zehn unserer Lieblings-Metalsongs und hatte einen netten Nebeneffekt: "The Sacrament Of Sin" hätte es in der jetzigen Version nicht gegeben ohne dieses Coveralbum. Dafür coverten wir so unterschiedliche Dinge wie Gary Moore und Amon Amarth. Das zeigte uns, welches Spektrum wir spielen und dabei trotzdem nach Powerwolf klingen können, und dass wir durchaus mal etwas weiter schauen beim Songwriting. Denn wie gesagt: Auch nur Klavier und Gesang kann schon nach Powerwolf sein.

Ihr hattet bereits ein Album auf Platz 1 der deutschen Charts. Verspürst du Druck im Hinblick auf das kommende Release?

Ich sehe Charts sehr ambivalent. Natürlich ist eine hohe Chartposition eine große Auszeichnung. Und es freut für Management und Label, die damit ja auch ihren Ruhm erreichen. Mir persönlich als Musiker gibt das gar nicht so viel. Es ist einfach eine Zahl...

Eine Zahl, die bestätigt.

Sie bestätigt, klar. Aber es bleibt abstrakt. Der Moment der Wahrheit ist für mich auf der Bühne. Wenn ich die ersten Shows einer neuen Tour spiele und sehe, dass das Publikum die neuen Songs genauso feiert wie die alten, ist das für mich der ehrlichste Moment. Daran merke ich, ob das Album erfolgreich ist. Charterfolg ist schön, aber niemand gründet eine Metalband, weil er auf Platz 1 der Charts will. (lacht) Es bleibt deswegen auch immer ambivalent. Früher waren die Charts der Feind, jetzt steht man plötzlich selbst drin. Man freut sich, aber es ist auch seltsam.

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