laut.de-Biographie
Pulp
Spindeldürr, fettige Haare, keine Modelfresse, ungelenker Tanzstil und dennoch - Jarvis Cocker war und ist ein Sexsymbol. Frauen, die er sich in seiner gesamten Jugend nicht einmal anzuschauen wagte, verehren den Mann abgöttisch, seit er mit Pulp im Rampenlicht steht. Also spätestens seit 1994.
Dabei gründet er schon 1978 im Alter von zarten 15 Jahren die Band, die zunächst noch unter dem Namen Arabicus Pulp firmiert. Ein Jahr später nennt man sich dann nur noch Pulp, spielt einige Gigs, nimmt 1980/81 ein Demoband auf und drückt es John Peel in die Hand. Der findets klasse und lädt die Band in seine Show ein. Doch dabei bleibt es dann auch, es ergeben sich überraschenderweise keine Folge-Deals mit Plattenfirmen.
Seine von der Schule rekrutierten Kollegen verlassen die Band daraufhin, um an die Uni zu gehen. 1982 schreibt sich auch Jarvis ein, lässt Pulp aber weiterlaufen. Er heuert neue Mannen, darunter auch Keyboarder Simon Hinkler (später bei The Mission) an. Zusammen spielt man das Album "It" ein, das sich jedoch als kommerzieller Flop entpuppt. Danach ist der Sänger zum zweiten Mal allein. Doch er holt den Gitarristen/Violinisten Russell Senior an Bord, und die beiden verpflichten wiederum den Drummer Magnus Doyle und Peter Mansell am Bass.
Musikalisch nehmen Pulp vom leicht folkig angehauchten Touch Abstand, nicht zuletzt durch die neue Keyboarderin Candida Doyle. Gerade als es vorwärts zu gehen scheint, verletzt sich Cocker recht heftig. Schuld sind die Frauen, besser gesagt eine davon. Cocker möchte einer ganz bestimmten Dame imponieren, stürzt bei seiner Poser-Action aus einem Fenster und landetet 30 Fuß tiefer auf der Fresse: verletzt an Füßen, Handgelenken und einigem mehr. Zwei Monate ist er anschließend an den Rollstuhl gefesselt, lässt es sich aber trotzdem nicht nehmen, Gigs zu spielen. That's Rock'n'Roll.
Nach der Veröffentlichung von "Freaks" und internen Turbulenzen hat die Band gegen 1987 sowas wie ein stabiles Line Up. Trotzdem zieht Cocker 1988 nach London und beginnt am St. Martin's College Film zu studieren. "Separations" entsteht im Jahr 1989, wird aber erst 1992 veröffentlicht. Pulp trennen sich vom notorisch erfolglosen Label Fire Records und veröffentlichen aufbauend auf dem Erfolg der Single "My Legendary Girlfriend" beim Gift-Label einige weitere Singles.
Das unglaubliche "Babies" ist eine dieser Auskopplungen und verschafft ihnen den wichtigen Majordeal mit Island Records, wo sie fortan in Gesellschaft von Big Playern wie U2 veröffentlichen. "His'n'Hers", das Majordebüt, erklimmt die britischen Top Ten und bekommt ausgezeichnete Kritiken. Pulp sind plötzlich fett im Geschäft. Cocker beschert der neue Ruhm fast schon eine Omnipräsenz in der britschen Medienlandschaft. Diese stilisiert ihn zu einer Art Nationalheld hoch. Er ist das smarte Sexsymbol seiner Generation.
1995 knallt es dann so richtig bei Pulp: Die Single "Common People" entpuppt sich als Riesenhit und landet auf Platz zwei der UK-Single-Charts. Auf dem Glastonbury Festival spielen Pulp in jenem Jahr ebenfalls im Headliner-Feld, nachdem die Stone Roses kurzzeitig absagen. Dieser Auftritt katapultiert sie in England in den Superstar-Status und pusht das Album "Different Class" nachhaltig. Die Plattenfirma schiebt die zweite Vorab-Single "Mis-shapes" nach, die ebenfalls Platz zwei erreicht.
"Different Class" steigt daraufhin von 0 auf 1 in die Albumcharts ein und erreicht bereits in der zweiten Woche Platinstatus. Der Erfolg führt zu weltweiten Aktivitäten der Band: "Different Class" steht im Februar 1996 auch in den USA in den Regalen. Somit bricht die ganze Popstar-Palette über die Gruppe herein.
Den Pulp-Stil entwickelt die Band 1998 mit dem düsteren Album "This Is Hardcore" und der Vorabsingle "Help The Aged" konsequent weiter. Doch trotz positiven Resonanzen in den Kritiken bleiben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück. All jene Fans, die auf eine Fortsetzung des Charthits "Disco 2000" warteten, stehen den sehr filigran gestrickten, düsteren und opulent arrangierten Kompositionen ratlos gegenüber. Das psychotische Titelstück "This Is Hardcore" sowie "A Little Soul" erscheinen als Singles. Der Hype um die Band bleibt, wenn auch etwas abgeschwächt, zumindest in England erhalten.
Im Frühsommer 1999 spielen Pulp einige Gigs mit teilweise neuem Material: ein Longplayer ist für Oktober 2001 angesetzt. Auf einen Namen für die neue Scheibe wollen sich die Briten zunächst nicht festlegen. Jarvis Cocker etwa meint: "Das neue Album könnte 'This Is Different' heißen. Es sind natürlich neue, andere Sachen darauf. Denn das Schlimmste ist, wenn man sich wiederholt. Denn das Schlimmste ist, wenn man sich wiederholt. Denn das Schlimmste ist, wenn man sich wiederholt ..."
Zunächst entscheiden sie sich für "Pulp Love Life". Als das heiß ersehnte Teil Mitte Oktober 2001 in die laut.de-Redaktion flattert, prangt auf dem Cover schlicht "This Is Life". Nach den Anschlägen auf das WTC wollen Pulp jedoch ein positives Zeichen setzen und nennen das Ding nochmal in "We Love Life" um.
Arbeitswütig wie er ist, gibt sich Jarvis jedoch nicht allein damit zufrieden, nur ein paar Singles auszukoppeln. Er möchte endlich einen Film drehen. Dieser spielt in seiner Heimatstadt Sheffield der siebziger und achtziger Jahre. Er könnte also genau so gut von dem exzentrischen Popstar selbst handeln. Grundlage ist jedoch der Roman "Slow Down, Arthur And Stick To Thirty" (im Deutschen unter dem Titel "Ziggy Hero" erschienen) von Harland Miller.
18 Monate benötigte Jarvis angeblich, um die Produzenten davon zu überzeugen, dass er der geeignete Regisseur ist. "Ich musste ihnen erst klar machen, dass das nicht einfach ein verrücktes Popstar-Hobby ist." Um dies zu unterstreichen, verwies der ehemalige Student eines Filmemacherkurses an der St Martin's School of Art sicher auf seine akademische Vergangenheit.
Schlicht "Hits" betitelt, erscheint 2002 ein Pulp-Best Of-Album, das mit "Last Day Of The Miners' Strike" gerade mal einen neuen Song enthält. Die Presse beginnt über eine Trennung zu spekulieren. Das im Folgejahr erscheinende Jarvis-Soloprojekt Relaxed Muscle mit schrägem Elektro-Punk und Skelett-Kostümen nährt die Gerüchte.
Erst im Frühjahr 2005 gibt es wieder ein Lebenszeichen: Die Sun berichtet unter Berufung auf Jarvis, die Band befinde sich nur im Winterschlaf. Die Erklärung klingt banal: Cocker wisse nicht, was er tun solle, außer Musik zu veröffentlichen. So ganz stimmt das dann mal wieder nicht, denn von Pulp erscheint nix Neues, dafür macht sich Cocker zunächst mit dem Franzosen Kid Loco an eine Coverversion von Serge Gainsbourg für ein Tribute-Album und veröffentlicht mit "Running The World" im Sommer 2006 einen neuen Song auf MySpace. Textlich rechnet er darin, das gigantische Live Aid-Spektakel im Hinterkopf, mit jenen Politikern ab, die zunächst Versprechungen abgeben, die sie im Nachhinein aber nicht einhalten.
Dass die Gainsbourg-Coverversion mit Kid Loco nicht genug der Verehrung Cockers für das französische Enfant Terrible gewesen ist, erfährt die Welt Ende 2006. Gemeinsam mit Neil Hannon von der Divine Comedy verfasst der Pulp-Sänger die Texte für Tochter Charlottes Comebackalbum "5:55". Um die Musik kümmerten sich derweil Charlottes Landsmänner von Air. Trotz derlei Fremdaktivitäten müssen Cockers eigene Pläne nicht leiden: Nach dem Appetitmacher "Running The World" erscheint sein Solodebüt "Jarvis".
2006 erscheinen zunächst Pulps Album-Klassiker "His'n'Hers" (1994), "Different Class" (1995) sowie "This Is Hardcore" (1998) in Deluxe Editions, bevor 2010 endlich Fan-Träume wahr werden: Die Gruppe reformiert sich für einige Festival-Auftritte in den Jahren 2011/2012. Das letzte Konzert der Reihe findet Ende Dezember 2012 im Gründungsort Sheffield statt und wird in der Doku "Pulp: A Film About Life, Death and Supermarkets" (2014) verewigt. Danach wird es wieder still um die Band, bis Cocker im Sommer 2022 für das Folgejahr erneut eine Reunion ankündigt, mit der das 25-jährige Jubiläum von "This Is Hardcore" gefeiert werden soll.
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