laut.de-Kritik
Als Walter Schreifels den Postcore prägte.
Review von Andreas DittmannWalter Schreifels hat in seinem Leben erst ein einziges drittes Album herausgebracht: Mit den Rival Schools, je nach Rechnung "Found" oder "Pedals". Alle anderen Bands davor, währenddessen oder dazwischen brachten es höchstens auf zwei. Und dennoch sind er und seine Mitmusiker für einige Genres und zig Bands von großer Bedeutung.
Was Youth of Today und die Gorilla Biscuits für den Hardcore waren, war Quicksand für den Postcore und die Rival Schools für den Alternative Rock. Mit einer einzigen Platte gaben Walter Schreifels und Band regelmäßig wichtige Impulse für die Musik ihrer Zeit. Vielleicht war das so nervenaufreibend, dass nach einem zweiten Album nicht mehr viel übrig war – und sich Walter einem neuen Gebiet widmen musste.
Noch während die Gorilla Biscuits 1989 ihr erstes (und einziges) richtungsweisendes Album veröffentlichten, streckte Schreifels seine Fühler schon nach neuen Gefilden aus und gründete eine Band namens Moondog. Deren Errungenschaft war allein, dass sich aus ihr kurz danach Quicksand gründete: Walter Schreifels an Gitarre und Gesang, Tom Capone an der Gitarre, Sergio Vega am Bass und Alan Cage an den Drums.
Nach zwei EPs kam 1993 das erste Album: "Slip". Ein Album, dass wie kaum ein anderes den Postcore prägte. Das Genre selber hatten Quicksand freilich nicht erfunden. Das mag man eher Fugazi zuschreiben, die auch Schreifels stark beeinflussten. Auf altpress.com erklärt er: "Alles was so großartig an Fugazi war, hört man im ersten Vers und dem ersten Chorus von "Waiting Room". Dieser Song war ein Ereignis, dass die Bedeutung von alledem veränderte, was vorher war." Dieser von Gitarren getriebene Vibe Fugazis ist bei Quicksand und dem Album "Slip" deutlich zu spüren.
Aber noch etwas anderes klingt durch die krachenden Gitarrenriffs und scheppernden Drums von "Slip": Grunge. Nirvanas "In Utero" und Pearl Jams "Vs." erschienen im selben Jahr. Freilich: Quicksands New York war weit von Seattle entfernt, Hardcore und Metal waren in ihrer Musik immer präsenter. Aber trotzdem klingt "Slip" grungig, roh, dreckig. Eine musikalische Nebenwurzel, die sich bis heute immer wieder auf Postcore-Platten wiederfindet.
Denn "Slip" und Quicksand ließen sich nicht nur inspirieren, sondern inspirieren bis heute Bands und Genres: Thrice Studioalbum "Major/Minor" zum Beispiel atmet regelrecht Quicksand, die Paper Arms haben sich Walter Schreifels als Schutzpatron auserkoren, und die gesamte neuere Postcore-Bewegung um La Dispute hat das Wasserzeichen Quicksand imprägniert. Über den Umweg von Hot Water Musics eigenem Meilenstein "No Division" haben sich Bands wie Make Do & Mend, Title Fight oder Superheaven wichtige Impulse von Quicksand abgeholt. Die Art, wie Quicksand Metal, Hardcore und Grunge zu etwas eigenem mischten, wie sie Grooves und Breakdowns inszenierten, die Richtung wechselten und plötzlich ruhige Töne anschlugen, findet man heute noch bei all diesen Bands.
Das was "Slip" so besonders macht, ist die konsequente Weiterentwicklung vom Hardcore. Die Songs auf dem Album klingen ausgefeilter, komplizierter und verspielter als noch gute vier Jahre zuvor. Trotz einem starken Hang zu Groove, langsamen Beats und cleanen Akkorden bleiben die Songs hart und kompromisslos.
Das macht der Opener "Fazer" mehr als deutlich. Bass und Gitarren grummeln, knarzen, knurren und scheppern während Schreifels Schrei-Sprech-Gesang wie von allen guten Geistern verlassen drüberfegt. Genau das ist das Spannende an Schreifels. Er schafft es, seine Melodien komplett gegen den Rest des Songs zu bürsten und trotzdem nicht daneben zu liegen. Am deutlichsten hört man das am vertrackten "Omission", bei dem Schreifels fast schon rappt und den rhythmischen Konterpart zu Bass und Drums setzt.
"Dine Alone" war die erste und logische Single des Albums. Wie kaum ein anderer fasst dieser Song all das zusammen, was Quicksand auszeichnet. Schreifels Stimme, der tief grummelnde Bass, das messerscharfe Riff, die locker groovenden Drums, die Rhythmus- und Tonartwechsel und der ruhige, fast sphärische Zwischenteil. Vor allem aber hat der Song eine gewisse Eingängigkeit, die eher ruppigen und unbequemen Songs wie "Unfulfilled" oder "Can Opener" fehlt. Trotzdem fällt es schwer, sich einen Radiosender vorzustellen, der Quicksand spielte. Das gelang Schreifels vermutlich erst mit den Rival Schools.
Mit "Baphomet" packen Quicksand ein Instrumental auf die Platte. Ein düsterer, sphärischer und harter Song. Immerhin vorstellbar, dass dieser Song mit seinem Laut-Leise-Schnell-Langsam-Schema die ersten Postrock-Bands mit beeinflusst hat, die um diese Zeit das Licht der Welt erblickten. "Transparent" beschließt die Platte mit einem Augenzwinkern in Richtung Seattle – den Song hätten auch Pearl Jam oder Soundgarden schreiben können.
Es fällt insgesamt schwer, den einen Übersong aus "Slip" herauszufiltern. Das Album ist unbedingt als Ganzes zu genießen. Ein solides, schweres, hartnäckiges und kantiges Stück Musik, voller großartiger Kleinigkeiten: Das ausufernde Ende von "Baphomet" etwa, das Minisolo in "Omission", das optimistische Wah-Wah-Gedudel im ansonsten dunklen "Transparent", das fiese Gekeife in "Head To Wall" oder der Dur-Moll-Wechsel in "Fazer".
Quicksand waren trotz all dieser Dinge kommerziell nie sonderlich erfolgreich. Ja, das zweite Album landete in den US-Charts – auf einem glorreichen 135. Platz. Mehr war nicht drin, die Band löste sich kurz nach dieser zweiten Platte auf, ein Comeback ein paar Jahre später brachte nichts zustande. Und auch das neueste Wiederauferstehen 2012 hat bis auf ein paar Shows und viele Gerüchte nichts Hörbares zustande gebracht. Die Bandmitglieder sind immer noch jeder für sich aktiv, Sergio Vega zum Beispiel bei den Deftones. Und Walter Schreifels? Irgendeinen Meilenstein wird er mit seinen fast 50 Jahren bestimmt noch mal raushauen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 9 Antworten
für gorilla biscuits, rival schools und youth of today vergöttere ich schreifels.
quicksand hat aber nie wirklich bei mir gezündet,war weder fisch noch fleisch, lediglich vom the smiths cover "how soon is now" war ich ganz angetan,welches allerdings so auch problemlos auf die erste rival school gepasst hätte.
Lief bei mir umgekehrt. Gorilla Biscuits davor eher so Schulterzucken, genauso wie Rival Schools danach. Yot schon gar nicht mehr aktiv angetestet.
Wie einige hier ja wissen, war ich vor meiner laut-Liebschaft, so Ende der 90er, bereits mit einer Musikjournaille der härteren Gangart fest liiert - der einst wunderschönen und republikweit heiß begehrten Visions.
Hab mich seit unserer Trennung oft gefragt, ob ich "das Richtige" getan habe, all die Jahre auch 2-3mal geschaut, wie's ihr so geht, was sieso macht... Aber ich kenne Visions. Sie würde einem "United by fate" im Meilentstein-Ranking stets den Vorzug gegenüber Quicksands "Slip" geben. Deswegen bin ich hier wohl glücklicher. Oder so.
Herzlich gelacht @soul, manch einer denkt gerade an die härtere Gangart deiner Ex nach. Fotos? Tonaufnahmen? Videos?
Ich würde auch schmudelige VHS Bänder akzeptieren!
Oh Man(n), das bei einem Album das Slip heist.
weiß jmd vll, auf welcher lp/ep ich das lied hier finden kann ?
https://www.youtube.com/watch?v=G_JL4QTC1bc
bei yt steht was von nem dritten album, welches aber wohl nie offiziell released wurde.
Ganz genau, es gibt ein paar Aufnahmen von einem Album aus 1998, welches jedoch nie das Licht der Welt erblickte. Schau ruhig mal im englischen Wikipediaartikel zu Quicksand nach, da ist das unreleaste Material aufgelistet und der Song dabei.
Verdienter Meilenstein. Mit der CD konnte man auf eBay einst fufchaus ein paar Kroeten machen.
Ich war vor 10 Jahren oder so mal auf einem RS-Konzert und habe ihn nach dem Auftritt schockiert mit einer Bierflasche rumlaufen sehen. Darauf angesprochen, hat er mir seine Abkehr von sXe recht plausibel erklaert, aber enttaeuscht war ich trotzdem.
Jetzt erst auf die Platte gestoßen, Spotify autoplay sei Dank; gefällt mir richtig gut. Und "Fazer" ja einfach die übelste Blaupause für Limp Bizkits "Eat you alive", da haben die Weichkekse ja mal ordentlich dreist abgekupfert.
Der Basser Sergio Vega war ja auch viele Jahre der Ersatz für Chi bei den deftones, auch wenn das vor der letzten Tour wohl bissl unschön zerbrochen ist.
Aus heutiger Sicht hab ich das Gefühl, dass mensch die Weichkekse u.ä. kurz nach der Blütezeit von Quicksand schon auf dem Schirm gehabt haben sollte um da hier und jetzt smooth einsteigen zu können in die Musik.
Finde es bemerkenswert, dass dir Quicksand nicht schon im Zuge der deftones-Besetzung am Bass vorher untergekommen sind, gerade weil du mW doch auch selbst Bass spielst? Oder erinner ich mich nur falsch und deftones waren nie so wirklich deine Baustelle? Schön, dass du (wenn auch mit spotify) doch noch zur heute ab und an anachronistisch auf mich wirkenden Musik von Quicksand gefunden hast. Kennst du eigentlich Will Haven aus dem deftones-Umfeld oder von damals vielleicht noch?
Der Name Quicksand, und auch der von Walter Schreifels (wie ikonisch kann ein Nachname halt auch sein ) sind mir schon öfter begegnet, aber hab nie tiefer gediggt. Es könnte tatsächlich aber auch ein wenig mit dir zu tun haben, ich erinnere mich auf jeden Fall an deinen rant über Sergio "Der Ersatz" Vega, weil er irgendwie stundenlang jeden Tag übt, und trotzdem nur mit Pick spielen kann und das fand ich dann auch schon irgendwie ein bisschen lächerlich damals, und habe zumindest Vega dann unter ferner liefen verbucht
deftones mag ich eig nur die "Adrenaline" und "Around the fur", danach wurden sie mir irgendwie zu, weiß nicht, verträumt?
Will Haven sagt mir nix, was hat der gemacht?
Achso, Nachtrag noch: du hast dich damals afair auch noch darüber lustig gemacht, dass er einen Fender VI spielt, den ich vorher gar nicht kannte. Und irgendwie wirkt er so für einen dritt gimmick-bass ganz naise, so von der Idee her. Hast du mal einen gezockt und ne Meinung dazu?
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Will Haven sind eine Hardcore-/Metal-Grenzgängerband aus dem Dunstkreis der deftones, deren Sänger viel mehr nach dem klingt, was ich mir unter einem HC-Frontmann mit dem Namen "Walter Schreifels" immer vorgestellt habe bevor ich wusste, wie Walter Schreifels in seinen Projekten klingt. Not great, not terrible, aber ich dachte vielleicht gehen dir die auch gut rein, wenn du dich anscheinend mühelos in ein fast 30 Jahre altes Quicksand-Album verlieben kannst. Würde bei Interesse "Carpe Diem" als Einstieg empfehlen, ist aber insgesamt nen Gang heftiger als Quicksand...
...und der "Rant" damals hatte viel damit zu tun, dass ich mir gar nicht so lange bevor Vega ihn äußerst prätentiös auf deftones "Gore" (2016) in die Rock- bis Metalwelt zurückführte selbst den Squier-Nachbau des Fender VI zugelegt hatte und mein damaliger Plan, mit einer Dreampop-/Shoegaze-Combo an dem Instrument eher Gitarristen-Kram auszuführen und somit eine fürs Genre sehr eigensinnige und ungewöhnliche Stilistik am Bass (wieder) in Eine-Gitarre-Bands salonfähig zu machen vorerst vereitelt schien, weil ich v.a. in meinem Freundeskreis und unter musikalischen Weggefährt*innen als erklärter deftones-Sympathisant nicht wie der stumpfe Nachahmer Vegas dastehen wollte...
Die Band gibt's schon lange nicht mehr, aber den Squier VI hab ich behalten. Wäre auch sicher kaum zu verkaufen gewesen, selbst auf Gigs wurd ich von Bassist*innen immer mal wieder angesprochen WAS das ist. Ist für saitenabstandsverwöhnte Bassisten schon ne ziemliche Qual da was äquivalent sauber drauf hinzukriegen im Vergleich zu den beliebtesten Viersaitern aus dem Hause Fender und ich bin irgendwann auch selbst vom Anspruch abgerückt, das Ding mit Fingern je so sauber bespielen zu können wie ich es mit Plek schaffe. Nach gefühlt ebenso vielen Übungsstunden wie Vega vermeintlich in der gleichen Zeit hatte, wohlgemerkt.
Wäre auch heute noch letzte Wahl aus meiner Instrumentesammlung für jede Band und jedes Genre, in denen ich einfach nur Bass spielen will/soll, aber - wie du korrekt antizipierst - für eher experimentellen Solokram oder einzelne Gimmick-Tracks nutze ich ihn schon noch häufig im Homestudio. Für Sachen wie bspw. OM, die mW auf der "Advaitic Songs" alle Gitarrenspuren mit Bässen aufgenommen gaben, ist er sicher auch mehr als nützlich. Da ich seit einigen Jahren nicht mehr als zwei Bässe mit zu Auftritten nehmen mag bleibt er aber heuer durchgehend zu Hause.
Edit: dass/das-Fehler.