11. Januar 2018
"Das Wollhaarmammut lebt!"
Interview geführt von Manuel BergerÜber 22 Jahre hat es gedauert, bis Quicksand den Nachfolger zu "Manic Compression" präsentierten. Doch die Wartezeit hat sich gelohnt: "Interiors" ist kein Nostalgie-Album, sondern die Grundlage für eine moderne Update-Version der Post Hardcore-Institution. Walter Schreifels und Sergio Vega sehen das ähnlich.
Untätig waren Walter Schreifels und Sergio Vega seit der (zweiten) Auflösung Quicksands Ende der 90er nicht. Ersterer gründete seitdem einen Haufen neuer Bands und Projekte, letzterer ist seit einigen Jahren Mitglied der Deftones. Seit der Reunion 2012 schwelen die Dinge allerdings auch im Quicksand-Camp wieder, Gerüchte über ein neues Album bestätigte die Truppe kürzlich mit dem Release von "Interiors". Eine begleitende Welttournee zeigt: Schreifels, Vega und Drummer Alan Cage meinen es ernst. Auch als Zweitgitarrist Tom Capone im September 2017 ausfällt, bringt das die Band nicht aus dem Konzept. Sie setzt die Tour in Triobesetzung fort und scheint sich dabei sehr wohl zu fühlen. Jedenfalls treffen wir backstage in Berlin zwei trotz verzögertem Soundcheck tiefenentspannte Musiker an.
Walter, du hast eine ganze Weile hier in Berlin gelebt. Wie fühlt es sich an, zurückzukommen?
Walter: Super! Und auch ein bisschen traurig, denn immer wenn ich herkomme, würde ich am liebsten bleiben. Aber es ist schön, meine Freunde zu treffen, meine Plätze zu sehen und wie die Stadt sich verändert hat – und auch gleich geblieben ist.
Gestern hattet ihr einen Day-Off, warst du da schon in Berlin?
Walter: Ja, ich war hier, hatte aber ehrlich gesagt nicht wirklich große Ambitionen rauszugehen, weil wir so viel unterwegs waren in letzter Zeit. Aber ich hatte ein nettes Abendessen, bin ein bisschen in Kreuzberg spazieren gegangen und mit Freunden abgehangen.
Was war damals eigentlich ausschlaggebend für dich, hierherzuziehen?
Walter: Als ich zum ersten Mal nach Europa kam, hatte Berlin die stärkste Hardcore-Szene. Schon bei meinem ersten Besuch hier schloss ich Freundschaften. Ich fühlte mich der Stadt immer sehr verbunden. Später im selben Jahr fiel die Mauer – während ich hier war. Das war einfach sehr kraftvoll. Und der Charakter der Stadt sagt mir einfach zu. Ich finde, sie hat viel gemeinsam mit dem New York City meiner Jugend.
Wie würdest du denn die Hardcore-Szene Berlins mit der von New York vergleichen?
Walter: Es gibt einen ähnlich "familiären" Vibe. Die Leute, die dazugehören, kultivieren sich darin und ziehen andere Leute darin groß. Das ist eine große Gemeinsamkeit. Hier kann man allerdings Bier in den Straßen trinken, in New York nicht. Das fließt vermutlich auch mehr in die Kultur ein. Aber viele New Yorker Bands fühlen sich hier heimisch. Viele Hardcore-Gruppen, die ich kenne, haben dieselben Freunde wie ich.
Ihr habt ja die Anfänge der Hardcore-Szene mitbekommen. Wie fühlt es sich an, jetzt nach all den Jahren mit Quicksand wieder dort hineinzustoßen? Was hat sich verändert?
Walter: Einiges! Aber meine Verbundenheit zu den Leuten wurde eigentlich vor allem tiefer und bedeutungsvoller. Wir sind als Menschen gewachsen, haben Kinder, doch auch wenn in unseren Leben verschiedene Dinge vor sich gehen, verbindet uns die Musik weiterhin. Das ist unsere gemeinsame Geschichte, unsere Vergangenheit.
Sergio: Neben der Musik geht es vor allem um den Ethos. Wie sprichst du mit Leuten, wie gehst du Dinge an? Das prägt die Welt. Und das begleitete uns auch dann, als wir unsere Klanglandschaft erweiterten. Wir haben uns musikalisch anders orientiert, aber in fundamentalem Sinne haben wir uns nicht wirklich verändert. Die Hardcore-Szene wächst exponentiell. Die Leute haben ihre eigene Herangehensweisen, ihre eigenen Sounds. Aber trotzdem sind wir verbunden. Ganz einfach ausgedrückt: Es gibt nicht diese Star/Fan-Dynamik, es ist eher eine Community. Der Respekt für dein Umfeld und die Welt, in der du lebst, findet sich zumindest für mich vor allem in dieser Szene. Das hält uns auch auf dem Boden. Das ist, was wir sind. Das wird sich nicht ändern. Und das ist cool.
Ihr seid ja längst nicht die einzige Klassiker-Band, die sich in jüngst reformierte. Jawbreaker zum Beispiel spielten gerade eine Reunion-Tour. Wie schätzt ihr den Einfluss solcher Reunions auf die Szene ein? Ist es wichtig, dass die Leute an die Wurzeln erinnert werden oder schadet es vielleicht sogar zu einem gewissen Grad, weil die "alten" Bands den neuen so den Boden wegnehmen?
Sergio: Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Bands aufkommen und es gibt auch mehr Platz für sie – wie für alle Dinge. Ich glaube, im Allgemeinen hat eine Band-Reunion weder einen besonders guten noch schlechten Einfluss. Das ergibt sich von Fall zu Fall und hängt von der Motivation der Band ab. Bei uns war es einfach so, dass sich eine Gelegenheit zum Jammen ergeben hat. Wir sind immer Freunde geblieben und merkten, wie viel Spaß uns das machte. Unsere Chemie war es wert, sie noch einmal zu entdecken und weiterzuentwickeln. Klar kann ich schlecht für andere Bands sprechen, aber Reformieren an sich ist schlicht ein Indikator dafür, dass eine Gruppe von Leuten entschieden hat, wieder gemeinsam Musik zu machen. Ich glaube nicht, dass das den neuen Acts schadet.
Walter: Es ist ja kein Wettbewerb. Wenn eine neue Band rockt, werden das die Leute schon checken. Als wir anfingen, hatten wir nicht zum Ziel, professionelle Musiker zu werden. Niemand von uns erwartete, dass irgendwas passiert. Wir taten es halt, weil wir nicht aufs College gingen und jung genug waren, um drauf zu scheißen. (lacht) Dass letztendlich daraus wurde, was es wurde, lag daran, dass unsere Musik die Leute angesprochen hat und das auf längere Sicht. Wir kommen aus der unabhängigen Underground-Hardcore-Szene. Unsere Generation war nicht gewohnt, von Major-Labels aufgegabelt zu werden. Wir sind nicht einfach so ins System gerutscht. Bands wie zum Beispiel auch Jawbreaker sind kulturell an eine bestimmte Generation gebunden, haben aber auch eine Bedeutung für Jüngere. Denn der Bedarf dafür ist vorhanden. Ich meine: Klar ist es cool, Dinge sozusagen aus dem Bernstein zu holen – gewissermaßen ein Wollhaarmammut aufzutauen! Aber als wir diesem Wollhaarmammut-Treatment unterzogen wurden, wollten wir etwas tun, um das Wollhaarmammut wieder zum Leben zu erwecken!
Sergio: Oh yeah! Wir wollten jemanden fressen!
Walter: Höhlenmenschen!
Sergio: Yeah, wir mussten ein paar Höhlenmenschen ausbuddeln, sie aufspießen und grillen! Sowas passiert eben manchmal. (lacht)
Walter: Wir sind gewissermaßen auf einer anderen Bühne. Wir sind kreative Menschen und musikalisch überaus lebendig.
Sergio: Das ist es. Zwar hat Quicksand gerade erst wieder angefangen zu spielen – aber wir selbst haben ja damit nie aufgehört. Wir waren in verschiedenen Bands, haben Alben veröffentlicht. Ich weiß gar nicht, ob ich es selbst wirklich als Reformation ansehen würde. Klar, die Band ist wieder da. Aber ...
Walter: ... die Rollen sind einfach verschieden.
Sergio: Genau. Wir haben eben ein altes Projekt wiederbelebt, waren dazwischen aber trotzdem aktiv und haben uns entwickelt.
Walter: Ich habe einige Gedanken zum Ruhestand und den Geschichten von Bands in meinem Kopf. Nimm zum Beispiel die Beatles. Sie sind diese unglaubliche Band, lösen sich auf, kommen niemals wieder zusammen. Das ist ihre Geschichte. Es gibt weitere solche Beispiele. Doch das Internet hält Dinge am Leben. Das alte Paradigma hat sich in den Köpfen der Leute gewandelt. Ich zum Beispiel höre mir Musik neuer Bands, genauso aber die von Bands aus den 1960er-Jahren an – sie sind alle gleichrangig und alle passieren auch zeitgeich.
Und es ist ja nicht so, dass man nur neue Musik entdeckt. Immerhin kannst du jederzeit über eine Band aus den 60ern stolpern, die du vorher noch nicht kanntest – ihre Musik ist trotzdem neu für dich.
Walter: Ja! Und weißt du: Es ist einfach falsch zu sagen: "Dies und das passierte vor 15 Jahren." Wenn du wissen willst, was Post Hardcore ist, wirst du unweigerlich auf bestimmte Bands stoßen. Wenn du wissen willst, was Emo ist, kommst du nicht an Jawbreaker vorbei. Wenn Jawbreaker also spielen, willst du sie sehen. So ist es heutzutage einfach. Als es diesen einfachen Zugang zu Musik noch nicht gab, musstest du ein sehr eifriger Plattensammler sein, um auf eine 15 oder 20 Jahre alte Band zu stoßen und ihren Katalog in dich aufzusaugen. Selbst wenn es hochqualitatives Zeug ist. Es schwirrt so viel Qualität rum, die nicht entdeckt wird, weil die Leute nicht danach suchen.
"Wir erschufen ein Soziales Netzwerk ohne Internet"
Nicht nur der einfache Zugang zu Musik kam mit dem Internet, es veränderte auch die Promotion-Achse ziemlich gravierend oder?
Sergio: In gewissem Sinne ja. Aber ich glaube tatsächlich, dass die Schablone dafür schon vorher existierte. Wir konnten einst schließlich ohne Unterstützung eines Major-Labels international aktiv sein. Und zwar, weil wir Fanzines hatten, weil wir Leute hatten, die postalisch kommunizierten, weil wir ein Netzwerk hatten, das schließlich in größerem Maßstab von Social Media gespiegelt wurde. Wir sind gewissermaßen mit der Urform dieses Prinzips groß geworden. Auch damals formten sich Gruppen von Leuten mit ähnlichen Interessen, Informationsaustausch fand statt. Es war natürlich nicht so schnell wie heute, aber die Leute überspielten sich Kassetten was weiß ich alles. Ich fühle mich deswegen auch sehr wohl in der heutigen Welt. Und ich möchte betonen: Wir sind geblieben, wer wir waren. Wir sind sehr bodenständig in dem was wir tun und wir präsentieren es auch so. Wir genießen es, Musik zu machen und in der Welt herumzustreunen. Das ist unser Gesicht – auch online! Wir haben keine Persona erschaffen.
Walter: Denn das wären nicht wir. Natürlich wollen wir den Leuten Informationen liefern, die ihnen helfen, das Gefühl, das wir transportieren möchten, zu verstehen. Das Artwork, unsere Shows, was wir tun – all das trägt dazu bei. So gesehen kuratieren wir auch ein wenig, allerdings ist das eben genau das Zeug, was wir eh tun würden – auch in den Anfangstagen schon. Damals fragten wir uns eben, wie unsere Flyer aussehen oder mit wem wir auftreten sollten. Wir mussten uns also nicht wirklich umorientieren und es ist nicht so, als würden wir im Angesicht von Social Media die Nerven verlieren, haha.
Sergio: Was wir damals erschufen, war gewissermaßen ein Soziales Netzwerk ohne Internet. Nur deshalb funktionierte das damals und wir konnten in dem Maße durch die Gegend reisen.
Walter: Fanzines bieten im Grunde denselben Dienst an wie Facebook. Sie basieren auf demselben Prinzip. Ich bin ein Typ, interessiere mich für bestimmte Dinge und habe Zugang zu den Leuten, mit denen ich sprechen möchte. In diesen Gruppen kann ich dann Scheiße labern oder lobhudeln oder Briefe schreiben. All das existierte, als wir anfingen. Inzwischen ist es halt digitalisiert worden. Natürlich ist es nicht exakt dasselbe ...
... aber die Basis, das Konzept schon.
Sergio: Richtig. Wir fühlen uns wohl, in dieser Welt einfach wir selbst zu sein und uns nicht verstellen zu müssen. Weißt du, darum geht es auch irgendwie: Du musst dich nicht daran orientieren, wie andere Bands damit umgehen, sondern das Konzept ist da, aber es schreibt dir nicht vor, wie du es zu nutzen hast. Du kannst es nach deinen eigenen Vorstellungen nutzen. Wir können uns gegenüber mehr Leuten ausdrücken. Wie du uns abhängen siehst, präsentieren wir uns auch online. Wir haben auch unsere persönlichen Accounts, Quicksand deutet ein wenig in diese Richtung, aber vor allem liefern wir Informationen.
Kommen wir mal zur Musik. Das neue Album hat all eure Trademarks, etwa den dominanten Bass. Gleichzeitig unterscheidet es sich aber auch ziemlich von euren alten Alben. Es klingt zum Beispiel weniger aggressiv. Was hat euch beeinflusst? Habt ihr bewusst versucht, zwar einen Schritt weiterzugehen, aber auch die Trademarks einzubauen?
Sergio: So viel Bewusstsein war zumindest meinerseits nicht involviert. Die Herausforderung war aber durchaus, etwas zu machen, das Quicksand war, uns gefallen würde und organisch war. So etwas braucht Zeit. Wir nahmen uns diese Zeit, ließen es uns einfach gut gehen und ließen uns auf unsere "Stimmen" ein. Denn jeder von uns hat eine individuelle Art zu spielen. Wenn wir zusammen spielen, lassen wir es lieber einfach laufen, statt uns unter Druck zu setzen. Wir hatten nie wirklich Schreibsessions, sondern spielten einige Shows, jammten, dokumentierten alles und erlaubten dem Ganzen, sich natürlich zu entwickeln. Ich würde sagen: Wir haben bewusst vermieden, in bestimmte Muster zu verfallen. Das kam erst danach. Denn wenn du erstmal Material angehäuft hast, analysierst du es natürlich und schaust, was du hast. Davor ging es nur nach Gefühl. Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, was wir tatsächlich unter dem Namen Quicksand veröffentlichen wollten. Denn natürlich kannst du auch nicht einfach nach 22 Jahren ein drittes Album auf den Markt werfen, das klanglich so weit von den Ursprüngen entfernt ist, dass du auch gleich eine neue Band hättest gründen können. Es war eine Herausforderung. Es durfte nicht überanalysiert werden, aber es durfte auch nicht prätentiös werden.
Walter: Das was tatsächlich konsistent ist, ist glaube ich unsere Chemie untereinander. So entsteht dieses gewisse Gefühl.
Denn immerhin sind es noch die gleichen Personen, die die Songs zusammen schreiben.
Walter: Genau. Und das war uns viel wichtiger als der Stil. das Album ist vielleicht nicht so aggressiv wie das frühe Material, aber wir gingen auch nicht mit dem Vorsatz in die Sessions, um jeden Preis aggressiv zu sein. Ich liebe aggressive Musik und Quicksand hat aggressive Musik gemacht – aber wir wollen nicht dem Schwanz unseres 20-jährigen Ichs nachjagen. Zweifellos ist auch in "Interiors" Aggression enthalten, aber es ist nur ein Aspekt eines größeren Bildes. Wir wollen stolz auf dieses Album sein und wir wollen, dass es uns repräsentiert. Das ist das Wichtigste.
Sergio: Wenn ich mir die Platte nach tonalen Gesichtspunkten anhöre, stelle ich fest, dass manche spacigen Tracks tatsächlich über einige der rausten Sounds verfügen. So ergibt sich eine nette Ansammlung von Verschiedenem: Von dem, was wir waren, was wir mögen und was wir geworden sind.
Es gab Gerüchte, ein Teil des Materials würde aus Sessions stammen, die ihr Ende der 90er mal anberaumt hattet. Ist da was dran?
Walter: Nein, wir wollten total frisch anfangen und deswegen nicht an einem Punkt ansetzen, den wir schon vorher begonnen hatten. Wir wollten so zeitgemäß wie möglich sein. Die Kraft, die wir momentan haben, kommt daher, dass es eine sehr lebendige Operation ist. Wir haben natürlich den Vorteil, schon eine Plattform zu haben. Doch wenn wir keine coole Musik machen, werden wir keine Kraft haben, diese zukunftsträchtig zu gestalten. Wir wollen nicht sein wie in den 90ern – wir wollen sein, was wir heute sind! Obwohl der 90er-Kram natürlich cool ist, soll er uns nicht infizieren. Wir möchten absolut im Jetzt sein. Sodass der nächste Schritt in der Geschichte Sinn ergibt. Und das alte Material steht ja im Internet. Wenn die Leute es finden wollen, finden sie es.
Sergio: Es ist ein bisschen so wie als Disney das "Star Wars"-Franchise gekauft hat: Sie haben immer noch R2D2 und C3PO, die Bücher sind aber nicht länger Kanon, sie müssen sich nicht zwingend ans Skript halten.
"Kendrick Lamar ist ein großartiger Lyriker"
Kürzlich habt ihr eine Spotify-Playlist veröffentlicht, mit Musik, die euch beeinflusst hat ...
Walter: Ich glaube, schlussendlich sind das nur meine Songs, haha.
Sergio: Ja, weil ichs total versaut hab! Ich krieg eine Nachricht: "Hey, wo ist deine Liste, Sergio?" und antworte: "Bin dabei, bin dabei ..." Und plötzlich steht schon der Link online, Mann!
Walter: Ich hoffte, Sergio würde einen reinpacken und versuchte auch Alan dazu zu kriegen. Im Endeffekt hab ich das Zeug nicht geordnet, aber ja: Alles davon hat mich beeinflusst.
Dabei ist zum Beispiel Kendrick Lamar. Ist Hip Hop im Allgemeinen für dich ein Einfluss, wenn es ums Texten geht?
Walter: Wenn du Leuten wie Kendrick Lamar zuhörst, prasseln einfach so viele Lyrics auf dich ein. Und er ist ein großartiger Lyriker. Wenn ich für Quicksand Texte schreibe, reichen meistens anderthalb Paragraphen. (lacht) Diese Fülle an Information, die mir Kendrick Lamar liefert, hilft mir dabei mit Sicherheit. Wir wuchsen im New Yorker Hardcore auf – Wir hörten zu gleichen Teilen Hip Hop wie Punk.
Sergio: Wir waren früh, was später die Norm werden sollte: genrebefreit bzw. multigenreorientiert. natürlich hatten wir unsere Szene – die Hardcore-Szene. Doch wir haben brachten unterschiedlichen musikalischen Hintergrund mit, je nachdem was wir als Kids gehört hatten. Aus allen Richtungen kamen frische Sounds und es war schwer, nichts davon zu mögen. Du musstest einfach offen sein. Heute ist das die Regel. Die Leute haben vielleicht Präferenzen, aber dank Streaming und dem einfachen Zugang zu Musik, ist eine viel breiteres Spektrum möglich. Es geht nicht darum, was du mögen solltest. Check die Dinge einfach aus und hab Spaß! So wirst du vieles entdecken, von dem du vielleicht nie gedacht hättest, dass du es mögen wirst. Es gibt eine Menge gute Musik da draußen.
Nochmal kurz zu den Lyrics. Ihr werdet das vermutlich oft gefragt: Beeinflusst euch die politische und gesellschaftliche Situation noch?
Walter: Sicher. Aber es beeinflusst mich nicht im Sinne eines Links/Rechts-Paradigmas. Ich strebe nicht danach, mithilfe von Quicksand eine "Vision" zu präsentieren. In meinem Privatleben habe ich vielleicht dazu mehr zu sagen. Wenn du aktuell in den Staaten lebst – oder auch in Deutschland – prasselt gerade einfach so viel auf dich ein. Während wir an diesem Album arbeiteten, wurde Trump gewählt. Wir leben immer noch in einer verrückten Zeit, aber das war der Beginn dieser verrückten Zeit. Etwas davon sickerte bestimmt in die Lyrics, aber nicht in einem Rage Against The Machine-artigen Kontext. Es hat nicht dieses Molotowcocktail-Level, sondern es geht eher darum, wie Menschen sich entwickeln angesichts dieses neuen Informations- und Fehlinformationsstroms. Ich passe mich daran an und versuche, in diesen wahnsinnigen Zeiten menschlich zu handeln. Musik zu machen, Familie und Freundschaften zu pflegen, ein Typ aus New York, aus den USA zu sein, ist heute so anders als noch vor 15 oder 20 Jahren. Die Standards so vieler sozialer Normen sinken in rapidem Tempo ab. All das fließt natürlich mit ein, aber ich glaube, wenn du die Lyrics hörst, wirken sie nicht didaktisch.
Ja, du formulierst nichts explizit.
Walter: Eben nicht, genau. Bei Quicksand ist es tatsächlich so, dass ich nicht möchte, dass die Leute zu genau hinhören, was ich als Person zu sagen habe. Jedenfalls nicht in einer spezifischen Weise, à la: "Der Lead-Sänger von Quicksand lenkt dich in diese Richtung." Ich möchte, dass die Leute ihre eigene Erfahrung mit der Band haben und ihnen nicht meine persönliche Sicht der Dinge aufzwingen.
Vielleicht ist das der bessere Weg. Zumal es teils frustrierend mit anzusehen ist, dass Künstler seit Jahrzehnten gegen Probleme ansingen, aber verhindern können sie sie halt doch nicht.
Walter: Es ist definitiv nicht falsch, solche Dinge anzusprechen. Aber meiner Erfahrung nach bilden die Musik, die Texte, die Metaphorik, der Klang der Worte zusammen ein "Gefühl", eine "Geschichte". Diese Geschichte hat für mich eine sehr bestimmte Bedeutung. Ich könnte dir verraten, welche. Aber damit könnte ich gleichzeitig falsch liegen. Denn du kannst dir das selbst anhören. Ich möchte, dass du es fühlst. Ich möchte, dass du darin eine eigene Geschichte findest und eine eigene Beziehung dazu aufbaust. Wenn ich Musik entdecke und später plötzlich erfahre, worum es in dem Song eigentlich geht, denke ich mir öfter: "Oh mein Gott, was habe ich getan? Ich hab' zu dem Ding gerockt, weil ich dachte, es geht um dies & das. Dabei geht es um was ganz anderes!"
Trotzdem kann es ja auch "deine" Bedeutung behalten – für dich wenigstens.
Walter: Ja! Das war jetzt eine sehr lange Antwort auf deine Frage, haha. Aber deswegen möchte ich alles eben eher offen halten.
Sergio: Subtilität präsentiert gewisse Angelegenheiten oft besser als explizite Ansprachen. Momentan werden die Dinge oft "überfaktiert"...
Du wirst schnell auf einer bestimmten Meinung festgenagelt.
Sergio: Leider ist ein Nebenprodukt unserer heutigen Gesellschaft, dass alles sofort politisiert wird. Nicht zu sprechen wird dadurch ebenfalls zum politischen Standpunkt. Etwas bestimmtes nicht zu sagen, bedeutet gleichzeitig Offenheit dafür, trotzdem in einem bestimmten Licht gesehen zu werden und einer bestimmten Seite zugeordnet zu werden. Die Tage der Neutralität sind vorbei. Alles ist irgendwie aufgeladen. Das Subtile in den Lyrics, die Musik, die Herangehensweise an uns selbst, gibt Hinweise darauf, wofür wir stehen. Aber auf eine Weise, dass niemand deswegen in die Defensive gehen muss. Ich glaube, eine Brücke zu jemandem aufzubauen, mit dessen Meinung ich nicht übereinstimme, funktioniert wesentlich besser, indem du etwas vage und einfach nett bist, statt ihm einen fixen Standpunkt zu präsentieren, mit dem er nicht konform geht. Denn er wird ablehnend darauf reagieren. Sei cool, reiche ihm die Hand. Vielleicht schaffst du es es, eine gewisse Basis aufzubauen. Manchmal ist es besser, die Dinge erstmal nicht zu direkt anzugreifen.
Walter: Aus gutem Grund sagen die Leute: "Fuck Trump!" Sie versuchen zu skizzieren, wer auf der richtigen und wer auf der falschen Seite steht. Aber ich glaube, Musik öffnet einen Raum, in dem Leute mit unterschiedlichen Ansichten gemeinsam sein können. Sie bietet eine Chance für diese Gruppen, sich zu vermischen. Plötzlich stellst du fest: "Hey, wir genießen das gerade gemeinsam!" Jemanden, der nicht mit deiner Meinung d’accord geht, kannst du nun einmal nicht einfach vom Planeten löschen. Wir alle teilen uns den Platz hier. Musik und Kunst bietet eine Gelegenheit, zusammenzukommen und Ängste, Hass und Geringschätzung zu überwinden. Wir sollten gegenseitig unsere Menschlichkeit anerkennen und uns auf Gemeinsamkeiten konzentrieren. Plötzlich ist eine gewisse Person vielleicht doch kein so großer Idiot mehr. Ich behaupte nicht, wir würden die Welt retten. Aber wenigstens haben die Leute so eine Verschnaufpause von all der Scheiße, die passiert.
Da ihr gleich schon auf die Bühne müsst, noch eine kurze Abschlussfrage: Wird die Band zusammenbleiben?
Walter: Das ist unser Ziel.
Und wird Tom zurückkommen?
Walter: Das wissen wir nicht. Wir werden nach vorne blicken, das ist sicher. An diesen Punkt, an dem wir gerade stehen – das Album ist raus, wir führen Interviews, spielen geile Songs –, wollen wir anknüpfen und aufbauen.
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