laut.de-Kritik

Wie wenn John Frusciante zu Daft Punk gniedelt ...

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Das Auto ist ein Nutzgegenstand. Ich besteige es, um von a nach b zu kommen, um Geschwindigkeit zu spüren, und seit meine Stoßdämpfer hinüber sind, kann ich sogar bouncen. So gut wie nie passiert es mir, dass ich länger im Auto sitze als nötig, beispielsweise weil ich einen Radiobeitrag zu Ende hören möchte. Anders war es Anfang 2005, als gerade die FM4-Sendung "Gästezimmer" lief, in der eine bekannte Band aufgefordert wird, ihre Lieblingssongs vorzustellen.

Damals saßen Interpol im Studio. Nun war ich der New Yorker Band ohnehin schon mehr als nur zugetan, aber als sich die Jungs dann auch noch den Mamas & The Papas-Knaller "Words Of Love" und "I Could Have Lied" der Chili Peppers wünschten, war die platonische Bindung zu den Düsterriff-Helden gefestigt. Ich parkte bereits, als ein Bandmitglied die befreundete New Yorker Combo Ratatat mit dem Titel "Germany To Germany" ankündigte. Bitte was? Alleine der Absurditätsgrad des Bandnamens gereichte schon zur Neugier, doch wenn sich Amis dann noch über Deutschland auslassen, besteht ohnehin höchste Wachsamkeit.

Dreieinhalb Minuten saß ich anschließend hinterm Steuer und wartete auf Gesang, hörte aber nur absonderliche Klänge, die sich aus Computern und Gitarren-Verstärkern zu einem Groove-Amalgam verwoben, das einem so noch nicht untergekommen war. Es sind diese Momente, in denen man sich fragt, wie das früher ging ohne Internet, denn schon ein paar Minuten später hatte ich die komplette Biographie der Soundtüftler vor mir: Zwei Typen, eine Band, 2003 in Brooklyn gegründet, ein Album beim Prodigy-Label XL Recordings draußen, Vorgruppe von Interpol und Tortoise.

Womit wir schon einen Eckpfeiler im Sounduniversum der beiden Ratatats benannt hätten. Ähnlich den Post Rock-Heroen aus Chicago, verstehen sich Ratatat-Gitarrist Mike Stroud und Computer-Nerd Evan Mast auf textlose Klangcollagen, die ihren ganz speziellen Drive besitzen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das neue Werk "Classics" übrigens nur unwesentlich vom selbstbetitelten Vorgänger aus dem Jahr 2004.

Tatsächlich sticht im Vergleich aber die bedeutend bessere Produktion heraus, die aus den wirren Soundscapes und teilweise genialischen Arrangementideen des Duos diesmal einen Sog entstehen lassen, dem niemand entkommt, der nicht auch die hypnotische Kraft von Bands wie Air oder Neu! zu schätzen weiß. Auch des Musikers Vorliebe für Daft Punk ist nicht von der Hand zu weisen. Das Resultat fällt jedoch nicht rein elektronisch aus, da Gitarrist Stroud ein nicht minder begabterer Saitenfrickler ist als der allmächtige John Frusciante.

Es sollte jedenfalls für niemanden, der sich zuletzt mit dessen Freak Out-Soloalben beschäftigt hat, ein größeres Problem darstellen, sich den Chili Peppers-Gitarristen in seiner kalifornischen Villa zu den Klängen von "Wildcat" auf dem Sofa stehend, wild mitklampfend vorzustellen. Ein echtes Highlight. Gewähren Ratatat im Opener noch einen akustisch-verträumten Einstieg in ihr Repertoire, lassen die knochentrockenen Drums von "Lex" und die sogleich einsetzenden Multi-Gitarrenspuren schnell erkennen, welch wichtige Rolle der Beat und die Füllung sämtlicher verfügbarer Mischpultkanäle einnimmt. Einer der schönsten Momente der Platte findet sich am Ende jenes Songs, wenn Stroud ein völlig neues Gitarrenmotiv aus dem Mantra-Groove heraus schält.

"Gettysburg" kommt entgegen der titelgebenden, historischen Wucht frickelig ruhig daher und erinnert einmal mehr an einen Nachfahren von Frusciantes 2001er Album "To Record Only Water For Ten Days". Weitere Höhepunkte sind der phrasierte Kopfnicker "Loud Pipes" und das vorwärts treibende "Kennedy", bevor die New Yorker ihr Album bedächtig ausklingen lassen. Dass diese Soundmaniacs als erste Band im New Yorker Guggenheim Museum auftreten durften, verwundert nach dem Hörgenuss ihrer Songs jedenfalls kaum. Auf Youtube findet sich ein Live-Mitschnitt des Events, der trotz minderer Qualität klar deutlich macht, dass Avantgarde hier auf ihresgleichen traf. Ratatat to Germany!

Trackliste

  1. 1. Montanita
  2. 2. Lex
  3. 3. Gettysburg
  4. 4. Wildcat
  5. 5. Tropicana
  6. 6. Loud Pipes
  7. 7. Kennedy
  8. 8. Swisha
  9. 9. Nostrand
  10. 10. Tacobel Canon

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8 Kommentare, davon 5 auf Unterseiten

  • Vor 16 Jahren

    Nach wie vor lässt mich dieses Album einfach nicht mehr los. Großartig!

    "Classics" spricht für sich, definitiv ein CLASSIC!

  • Vor 15 Jahren

    Beim ersten durchhören der Ratatat Alben fand ich LP3 irgendwie interessanter. Aber mittlerweile hat Classics LP3 überholt und ist in die Liste meiner Lieblingsalben eingedrungen.
    Einfach perfekte, abgespacte Soundcollagen, die jedes mal aufs Neue und auch nach dem xten Hören noch Erstaunen auslösen.
    Es ist wirklich ein Classic. Jeder Song ist voll von Details, abgefahrenen Sounds, Rhythmen, Überraschungen, kleinen und großen Melodien, ganz, ganz großes Kino!

  • Vor 2 Jahren

    jetzt ist der sch..tag endgültig gerettet. RATATATATATAT!