laut.de-Kritik

Selten klang eine Schlägerei so verlockend und spaßig.

Review von

So langsam sind wir an dem Punkt in Rico Nastys Karriere angelangt, an dem ihre außergewöhnliche Persona und ihr edgy Charisma mehr zutage fördern sollten als starke Singles und beeindruckende Live-Auftritte. Ein durch die Bank gelungenes, vollwertiges Projekt, das die Länge einer EP übersteigt, ist uns die Rapperin aus Maryland nämlich nach wie vor schuldig. Ihr Debüt-Album "Nightmare Vacation" hatte großartige Momente, vernachlässigte über weite Strecken jedoch, was ihre Musik zuvor so unterhaltsam machte.

Nun versucht sie sich mit "Las Ruinas" (wie schon zuvor mit "Nasty") im etwas freiförmigeren Gefilde des Mixtapes. Das führt unweigerlich dazu, dass dem Projekt noch weniger als ihrem Debüt eine kohärente Identität innewohnt. Nach vier Jahren in der Industrie müsste man meinen, Ricos Sound ungefähr festnageln zu können, doch mit "Las Ruinas" entlockt sie ihren Hirnwindungen unentwegt neue, noch radikalere Ideen, die ihre Kernkompetenzen ebenso um neue Facetten bereichern, wie sie sie weiter verwässern.

Fühlt man sich in den öffnenden Momenten inmitten der tollwütigen Energie von "Intrusive" oder "Black Punk" noch wohlig im Moshpit geborgen, fragt man sich spätestens in der zweiten Hälfte, wo man im Laufe des Projekts falsch abgebogen ist. Wenn Nastys Singstimme sich während der letzten Songs mehr und mehr aus dem Hip Hop entfernt, bis sie auf "Easy" vollends im Emo ankommt, wirkt ihre eigentlich so grelle Persönlichkeit nur noch wie eine ferne Erinnerung.

Diese Experimente sind deswegen nicht grundlegend misslungen, nur bleiben sie abseits der schön instrumentierten Breakup-Hymne "Into The Dark", die den Puls wieder etwas anhebt, weitestgehend wenig eindrucksvoll, geschweige denn emotional. Dafür mangelt es der 25-Jährigen schlichtweg am Talent als Songwriterin oder Sängerin. Die Bilder, die sie zeichnet, sollen schwarz und intim sein, kommen aber meist mausgrau daher. Was schade ist, weil sie gerade mit Songs wie "Easy" oder "Chicken Nugget" eine verletzliche und persönliche Seite von sich zeigt, die in ihrer Musik bisher nur selten einen Platz fand.

Die stärksten Momente finden sich nach wie vor dann, wenn Rico Nasty freidreht und das Energielevel hoch hält. Auf "Vaderz" liefert sie sich mit Bktherula einen aggressiven, spaßigen Schlagabtausch über nervös-jaulende Gitarren-Riffs. Das zähe Vocal-Sample, das sich wie Teer durch den Rager "Black Punk" zieht, verleiht dem Song eine fast schon viszerale Aura.

Auch mit "Gotsta Get Paid" landet Nasty einen Volltreffer. Die wunderbar-trippy Produktion von den 100 Gecs klingt, als hätten sich Cypress Hill ins Koma gekifft, und beweist, dass Nasty nicht umsonst ihren Künstlernamen trägt. Je dreckiger und garstiger der Klangteppich daherkommt, auf dem sie es sich bequem macht, desto einzigartiger tönt das Endprodukt. Die Rapperin fügt sich so organisch in diese verdrogte Kirmes von einem Instrumental ein, höchstens ein Danny Brown könnte ihr Konkurrenz machen.

Auf "Watch Your Man" lässt sich selbst der sonst eher brave EDM-Produzent Marshmellow von diesem Wahnsinn anstecken. Den Drum'n'Bass, den zuvor schon "Messy" ungelenk erkundete, injiziert der maskierte DJ mit einer gehörigen Dosis Amphetamin, deren Begleiterscheinungen auch auf die Frau am Mikrofon überspringen. Über boomenden Bass und destruktive Synths laden Nastys verzerrte Vocals zu einem manischen Rave ein, den wenig später der britische DJ Fred Again.. mit einem Remix seines kleinen Garage-Meisterwerks "Jungle" zum absoluten Höhepunkt treibt.

Dass sich diese Attitüde durchaus auch für die größeren Tanzflächen des Landes eignet, stellt wiederum "One On 5" unter Beweis. Kein Song in der Diskographie der Amerikanerin legte bisher ein so offenes und konventionelles Bekenntnis zum Pop ab. Es überrascht, wie grandios ihr dieses Unterfangen in Tandem mit der Sängerin Bibi Bourelly gelingt. Mit knallpinken Stahlkappenstiefeln machen die beiden den blechernen Beat dem Erdboden gleich. "What's a one-on-one? Hoe, it's one-on-five": Selten klang eine Schlägerei so verlockend und spaßig.

Erreicht die Platte jedoch mit dem Hyperpop-Banger "Skullflower" erst einmal ihr finales High, sind die Endorphine nachhaltig verschossen. Sicherlich ist es auch dem ungünstigen Sequencing geschuldet, dass sich ein Großteil der zweiten Hälfte von "Las Ruinas" wie ein mit Füllmaterial vollgestopfter Kater anfühlt, doch der Qualitätsabfall führt letzten Endes dazu, dass ein vielversprechendes Mixtape auf einer ebenso ermüdenden wie sauren Note endet.

Versteht man dieses Projekt jedoch als artistische Fingerübung im Vorlauf ihres zweiten Studioalbums, stimmen die darauf zur Schau gestellte Versatilität und Offenheit, den eigenen Sound immer weiter in die Extreme zu treiben, durchaus positiv. Alles, was "Las Ruinas" schließlich fehlt, um das Versprechen eines durchweg großartigen Projekts einzulösen, ist ein strengerer Filter und besseres Sequencing. Wenn Rico Nasty diese auf ihrem nächsten Langspieler implementiert, dann steht dem großen Wurf wirklich rein gar nichts mehr im Weg.

Trackliste

  1. 1. Intrusive
  2. 2. Vaderz (feat. Bktherula)
  3. 3. Black Punk
  4. 4. Messy (feat. Teezo Touchdown & Bktherula)
  5. 5. Phuckin Lady
  6. 6. One On 5 (feat. Bibi Bourelly)
  7. 7. Gotsta Get Paid
  8. 8. Watch Your Man (feat. Marshmello)
  9. 9. Blow Me
  10. 10. Jungle (Rico Remix) (feat. Fred Again..)
  11. 11. Dance Scream
  12. 12. Skullflower
  13. 13. Focus On Me
  14. 14. Always (Interlude)
  15. 15. Easy
  16. 16. Into The Dark
  17. 17. Chicken Nugget

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