3. Januar 2018

"Blues war zuhause verboten"

Interview geführt von

Im Dezember veröffentlichte der Soul- und Bluessänger Robert Finley sein Album "Goin' Platinum" auf Dan Auerbachs Plattenlabel Easy Eye Sound. Wir trafen den Sänger in Berlin.

Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die Robert Finley erzählt, als wir uns an einem der ersten richtig kalten Tage des letzten Jahres zum Gespräch in einem Berliner Hotel treffen. Es sei schwer, ein ganzes Leben in nur dreißig Minuten zu erzählen, merkt er mitten im Gespräch an. Deswegen fragt er schon zu Beginn, ob ich im Anschluss noch einen Termin hätte: Manchmal rede er gerne etwas länger als geplant.

Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheint, als sei der 64-Jährige ein Spätberufener: Musik macht der Sohn eines Diakons schon seit seiner Kindheit. Im Gospel und Blues verwurzelt, zog es Finley als Helikoptertechniker der US-Army nach Deutschland, wo er die Militär-Band leitete. Später widmete er sich der Tischlerei, musste diesen Job aber wegen seiner Erblindung aufgeben. Er wurde zufällig auf einem Festival entdeckt, nachdem er einen Verantwortlichen überredet hatte, einen Song spielen zu dürfen. Dank der "Music Maker Relief Foundation" kam Finley in Kontakt mit dem Label Fat Possum Records und nahm dort vor zwei Jahren sein Debütalbum auf. Dann entdeckte ihn Black Keys-Mastermind Dan Auerbach – und holte ihn zu sich ins Studio. Auerbach, der Finley als "Stimme der Welt" bezeichnet, ist für den neuen, grandiosen Longplayer "Goin' Platinum!" verantwortlich, für den er auch eine hochkarätige Band zusammengestellt hat.

Robert, gehen wir zurück zu Ihren Anfängen. Wie sind Sie aufgewachsen und welche Rolle spielte Musik in Ihrer Kindheit?

Ich bin auf einer Farm aufgewachsen. Mein Vater war ein Farmpächter, außerdem war er Diakon in einer Kirche. Ich bin also in einem sehr religiösen Umfeld aufgewachsen. Wir durften zu Hause keinen Blues im Radio hören oder in seiner Anwesenheit singen. Meine Mutter schaltete manchmal das Radio an, wenn Vater weg war, aber sobald wir ihn kommen hörten, schalteten wir schnell wieder ab oder wechselten den Sender. Sonntags lief eine Gospelshow aus Nashville und ich begann mich zu fragen, was das war, das sie von mir fernhalten und verstecken wollten. Da musste doch was dran sein, an diesem Blues. Mein Vater nannte es Teufelsmusik. Als Kind glaubt man dann, dass einen sofort der Teufel holt, wenn man Blues hört, das war schon ziemlich schaurig. Aber wenn ich zu Besuch bei Nachbarn war, hörten die auch Blues.

Ich wurde getauft, als ich sieben Jahre alt war, und habe schon immer im Chor gesungen. Ich erinnere mich, dass mein Vater mich auf seinem Knie sitzen ließ und mit mir sang, das machte mich glücklich. Wenn in der Kirche gesungen wurde, klatschten alle und freuten sich. Ich fragte mich immer, wie mein Vater das schaffte. Wenn man klein ist, eifert man seinem Vater nach – und ich hatte immer diesen Drang in mir, aufzutreten. Ich liebte es, zu singen. Wir hatten ein Familienquartett, ich sang mit meinen Geschwistern, sie alle sangen im Chor und tun das heute noch. Ich bin der einzige meiner Familie, der den Blues singt und spielt.

Später zog es Sie zum Militär. Sie wurden Helikoptertechniker, waren in Deutschland stationiert.

Nach dem Tod meines Vaters entschied ich, dass ich etwas aus meinem Leben machen muss. An meinem 19. Geburtstag ging ich zum Militär. Nach dem Grundtraining kam ich nach Deutschland. Dort hatte ich die Chance, zur Army-Band zu stoßen. Ich kam an einem Freitag an und am Samstag gabs ein Picknick – ihr Gitarrist verließ die Army, und so suchten sie verzweifelt nach einem Musiker. Ich durfte sofort mitspielen. So traf ich gleich an diesem Wochenende alle wichtigen Leute des Bataillons. Den Leuten gefiel die Show, und das hat mir die Türen geöffnet.

Später musste ich innerhalb des Militärs den Beruf wechseln. Helikoptertechniker wurden nicht mehr gebraucht, weil der Krieg plötzlich vorbei war. Mein Job war es damals unter anderem, die Raketen abzubauen und für die Sicherheit zu sorgen. Plötzlich war für mich nichts mehr zu tun – und dann bekam ich die Gelegenheit, als Programmdirektor und Unterhalter des Militärs zu arbeiten. Sie erlaubten mir, die Show zu planen, neue Soldaten vorzustellen, sie herumzuführen. Ich sollte herausfinden, welche Talente sie besitzen und mich um deren Verwirklichung kümmern.

"Es war ein 52 Jahre langer Kampf, hierher zu kommen"

Berufsmusiker wollten Sie später dennoch nicht mehr werden. Nach dem Militär lebten Sie als Tischler in einer Kleinstadt.

Es war schwer, eine Band zusammenzustellen. In der Armee sind alle diszipliniert, wer nicht zur Probe erscheint, bekommt ein Problem. Aber im normalen Leben macht jeder, was er will, das war schon etwas frustrierend und zu viel Stress. Also sang ich wieder alleine und arbeitete als Tischler wie mein Vater. Nur gab es damals große Konkurrenz, alles war sehr kompetitiv. Deswegen zog ich in eine kleine Stadt namens Bernice in Louisiana, wo die meisten Tischler schon sehr alt waren und gewisse Arbeiten nicht mehr verrichten konnten, auf Hausdächer steigen, zum Beispiel.

Die Leute mochten meine Arbeit und das sprach sich herum. Ich blieb also beim Tischlerberuf und spielte am Wochenende in der Kirche meine Musik, wurde auch wieder Teil eines Gospelquartetts. Musik spielte immer eine große Rolle für mich. Durch sie lernte ich Leute kennen. Ich spiele seit ungefähr 52 Jahren Gitarre. Für die Welt scheint es so, als wäre ich aus dem Nichts gekommen, aber es war ein 52 Jahre langer Kampf, um hierher zu kommen.

Welche Künstler haben Sie in Ihrer Jugend beeinflusst?

Ich liebte Tyrone Davis, B.B. King, James Brown, Al Green. Alle, die damals im Scheinwerferlicht standen und das taten, was ich tun wollte, habe ich bewundert. Elvis Presley war großartig, weil er mit den Ladys umgehen konnte, die Beatles, die hier herkamen und sich vor den Mädchen verstecken mussten. Ich erinnere mich an einen Cartoon, den ich in meiner Kindheit sah: Da rannten die Beatles dauernd vor Mädchen weg. Ich habe mir damals gesagt, wenn ich mal da bin, dann werde ich nicht wegrennen, sondern mich fangen lassen (lacht). Irgendwann später habe ich herausgefunden, dass es doch besser ist zu rennen – allerdings dachte ich nie, dass ich jemals in diese Position kommen würde. Es gab so viele, die mich inspiriert haben – Aretha Franklin, die Staple Singers, ich könnte da lange drüber reden. Ich habe B.B. King leider nie getroffen, aber immer gefühlt, dass wir auf einer Wellenlänge gelegen hätten.

"Ich war das new kid on the block"

Wie kam es, dass Sie entdeckt wurden – und später Dan Auerbach trafen?

Ich habe die "Music Maker Relief Foundation" auf einem Festival getroffen. Zuvor hatte ich gerade die Diagnose erhalten, dass ich erblinden würde, ich verlor meinen Führerschein und litt an einer Depression. Um auf andere Gedanken zu kommen, schleppte mich ein Freund auf das Festival. Ich wollte unbedingt spielen und machte den Bühnenmanager ausfindig. Ich war sehr beharrlich. Er erlaubte mir dann, vor dem regulären Programm einen Song zu spielen. Ich war also der erste auf der Bühne, sang einen Song, und die Leute versammelten sich. Dann hieß es, ich solle noch einen spielen, und dann noch einen. Beim letzten Song war da eine ganz schön große Menschenmenge, nur die Zeit war um.

Der Typ fragte mich, ob ich mit einer Band auf der Jamsession spielen wolle. Ich kannte aber niemanden und spielte allein. Ich sang "Age Don't Mean A Thing" und ein bisschen Delta Blues. Dann wurde ich nach North Carolina eingeladen und kam später zu Fat Possum Records, weil der Typ von der "Music Maker Relief Foundation" da jemanden kannte. Später traf ich im Studio fantastische Musiker, die die Songs bereits kannten. Der Drummer spielte auf Al Green-Platten, ein paar der Jungs hatten mit Elvis Presley gespielt und mit Aretha, das waren alles Profis. Jimbo Mathus kannte ich damals auch nicht, aber wir verstanden uns sofort. Nach der ersten Platte wusste ich sofort, dass das klappen würde. Wir hatten vier Tage im Studio, nach anderthalb Tagen war ich fertig. Ich fragte die Jungs, ob ich heimfahren könnte und sie machten das ganze Ding fertig, spielten Bläser ein und machten Edits.

Zu dieser Zeit kam auch Dan Auerbach zu Fat Possum. Ich wusste nicht, wer er ist, und bekam ein Flugticket, um ihn zu treffen. Wir trafen uns in seinem Studio. Er hatte die besten Leute bei sich, da gabs keine Amateure, nur Jungs in ihren 70ern und 80ern, die genau wussten, was sie taten, und immer noch rockten. Trotzdem hatte ich keinen Schimmer, wer er eigentlich war. Ich sah im Studio die ganzen Grammy Awards stehen und sagte nur: "Mann, ich brauch ein paar von denen für mein Haus." Dan antwortete: "Na, dann gehen wir ins Studio und beginnen, daran zu arbeiten." Sie lasen mir den Text vor, da ich selbst ihn ja nicht sehen kann, es verschwimmt sofort alles vor meinen Augen. Dann meinte Dan: "Ich sag dir, was du singen sollst, und sing es einfach so, wie du es meinst. Wenn du ein Wort auslassen willst, tu das. Erzähle einfach die Geschichte." Im Kopfhörer hatte ich links Dan und rechts die Musik. Das nahm viel Druck von mir.

Als ich heim kam, erzählte ich meiner Tochter von den Aufnahmen, sie ging ins Internet und meinte: "Dad, weißt du eigentlich, mit wem du da arbeitest? Dan Auerbach ist ein Rock'n'Roll-Star, der über 30 Millionen Platten verkauft hat. Du wirst jetzt überall Rock'n'Roll spielen." Ich war baff. Dann hörte ich mir seine Musik an und aus irgendeinem Grund liebte ich den Song "Stand By My Girl" sofort. Je mehr ich anhörte, desto mehr verstand ich.

Dan wollte aber nicht, dass ich es so mache, wie er es tun würde. Es sollte meine Platte werden: Blues und Soul. Die Zeit im Studio war toll, 95 Prozent der Fehler kamen von mir, ich war das new kid on the block. Aber sie hatten viel Geduld mit mir.

Wie lief die Aufgabenverteilung mit den anderen?

Für die Musik sind die Kollegen verantwortlich. Als ich mit dem Gesang dran war, machte ich mein Ding und Dan liebte es. Leute scheuten kurz rein und meinten "Mann, du hast es raus." Was jetzt gerade passiert, muss ich noch richtig verarbeiten. Ich versuche mein Bestes. Ich sage oft: Den Hut habe ich schon vorher getragen, aber jetzt trage ich ihn, um meinen Kopf nicht zu verlieren. Das passiert schnell, wenn man Erfolg hat: Leute schnappen über, wenn man ihnen auf die Schulter klopft und ihnen Komplimente macht. Sie werden arrogant und keiner will mehr mit ihnen arbeiten. Ich versuche, entspannt und fokussiert zu bleiben. Ich bin stolz darauf, dass alle begeistert sind. Ich bin froh, da zu sein, wo ich jetzt bin. Ich bin aber mein größter Kritiker: Denn wenn du jemals mit dir selbst zufrieden bist, wirst du nie besser in dem, was du tust. Es gibt immer Platz für Verbesserung.

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