laut.de-Kritik

Sprengt einen mächtigen Krater in den Einheitsbrei.

Review von

Eine einzige Regel hat sich Rockstah für "Cobblepot" selbst auferlegt: "Mach' alles, was aktuell in der deutschen Musikszene passiert, bitte nicht." Damit erspart er uns auf jeden Fall schon einmal den x-ten Abklatsch von "Palmen Aus Plastik" und den nächsten Giesinger-Klon. Danke dafür.

Für alle, die seinen Werdegang seit "Pubertät" mit mindestens einem halben Auge verfolgt haben, dürfte dieses Album noch heftiger aus dem Nichts gekommen sein als für alle anderen. Ich hätte jedenfalls allerlei dagegen gewettet: Zu oft, zu deutlich, zu glaubwürdig hatte Rockstah seiner Verbitterung ob seines (ausgebliebenen) Erfolgs im Musikgeschäft Ausdruck verliehen. Zu gut liefen andererseits - ausgleichende Gerechtigkeit? - seine mannigfaltigen Aktivitäten auf Rap- oder überhaupt Musik-fernen Gebieten.

Gut möglich, dass die hier erfahrene Bestätigung eine Platte wie "Cobblepot" überhaupt erst ermöglicht hat. Um so gründlich mit wirklich allen ungeschriebenen Rapgesetzen zu brechen, braucht es tatsächlich mehr als ein wütendes Komplexkind, das bockig mit dem Fuß aufstampft und in Richtung einer Szene auskeilt, die es einfach nicht mitspielen lassen will.

Zumindest braucht dieses wütende Komplexkind, das zweifellos immer noch drinsteckt und überall mitplärrt, für einen so harten Bruch mit den Gepflogenheiten ordentlich Eier. Wirklich alle Erwartungen in den Wind zu schießen, das muss man sich erst einmal trauen. Die ersten Vorboten auf "Cobblepot" jedenfalls warfen jedenfalls gleich die Grundsatzfrage auf: Wird das überhaupt ein Rap-Album?

Den Unterschied zwischen einem Schurken und Superschurken, das wissen Eingeweihte spätestens seit "MegaMind", macht jedenfalls nur eins aus: "Presentation!". Diesbezüglich legte Rockstah mit der ersten Single einen Paradeauftritt hin. "Der Pinguin" steht repräsentativ für das komplette Album, das ihm noch folgen sollte.

Dunkel, bedrohlich, getränkt vom Dauerregen im ewig nächtlichen Gotham spannt Produzent Phil Koch da die Kulisse auf, in die der Protagonist stilecht per großem, schwarzen Zeppelin einrauscht, um zu wahrlich superfettem Sound nicht etwa zu rappen, sondern zu singen. Ein bisschen nölig, ein bisschen schief, auf jeden Fall so, dass man mit der Darbietung einfach erst einmal fremdeln muss.

Wie find' ich denn das? Keine Ahnung, gleich nochmal hören - und schon hat er mich am Wickel, dieser Schlawiner. Spätestens beim dritten Durchlauf nämlich keimt die Ahnung, dass das noch länger hängen bleiben wird als die erstaunlich langlebigen Tracks auf "Pubertät".

Beeindruckend auch, wie völlig unbeeindruckt und unbekümmert Rockstah hier wieder gegen die schon mehrfach getroffene Feststellung ansingt, dass an ihm keineswegs der größte Sänger unter der Sonne verloren gegangen ist. Na, und? Ich schrieb es schon: Es scheint ohnehin keine Sonne, in Gotham.

"Kein Interesse am Spiel um den Thron": Derlei Desinteresse trägt Rockstah vielleicht ein bisschen zu plakativ vor sich her, als dass man es wirklich einhundertprozentig glauben könnte. Noch weniger als irgendetwas nur deswegen zu tun, weil es Erfolg verspricht, kommt für ihn aber offensichtlich nur eins infrage: irgendetwas, auf das er Bock hat, zu lassen, weil es sich eventuell ja doch drohendem Erfolg vielleicht in den Weg stellen könnte.

So hält sich der wahre Prinz von Hessen gar nicht damit auf, in irgendwelchen Rap-Kontexten zu bleiben. Für die Produktionen verpflichtet er einen Indierocker. Klingt aber gar nicht so, weil besagter Phil Koch sich ebenfalls nicht von seinen heisskalten Indie- und Punk-Wurzeln einschränken lässt.

Er klatscht in einem Moment ("Mond") eine eingängige Melodie über finsteres Brummen, Fiepen und Störgeräusche. Im nächsten ("Bergen Aan Zee") lässt er den weichen, melodischen Einstieg zu dringlichem Synthiesound mutieren, die verheißene Idylle erweist sich als trügerisch.

Für die wenigen Featureparts bemüht Rockstah, passend dazu, ebenfalls keine Rapper. Das Intro spricht Vierkanttretlagersänger Max Richard Lessmann, der mit seiner düster-futuristischen Erzählung in "2049" vor zunächst minimalistischem, sich dann aber immer bedrohlicher zusammenballendem Sound ganz merkwürdiges "Metropolis"-Gefühl heraufbeschwört. Sein erneuter Einsatz im abschließenden "Snow Ball '84", klammert das gesamte Album stimmig zusammen.

Außerdem setzt Rockstah auf Lilli Fichtner, im Hauptberuf eigentlich Schauspielerin und Hörspielsprecherin. Sie übernimmt den weiblichen Gegenpart in "Highscore", einem Stück 80er-Synthiepop, das (wie der Abschlusssong) direkt aus der Arcade von "Stranger Things" gepurzelt sein muss. Überhaupt scheint die Serie mit ihrem nostalgischen Retro-Vibe entgegen den ersten Eindrücken, die "Cobblepot" (auch per Titelgebung) vermittelt hat, deutlich stärkeren Einfluss genommen zu haben als Batmans Heimatstadt.

"VHS" beschwört spooky Videospiel-Ästhetik, die volle Neonbeleuchtung knipst "Snow Ball '84" an - wieder so ein Gruß in Richtung "Stranger Things". Als "richtiger Raptrack", an dem auch die Genrepuristen wenig zu meckern finden dürften, geht allenfalls "Rote Fässer" durch, der in jeder Hinsicht härteste Beitrag auf "Cobblepot".

Ist das nun also ein Rapalbum? Ich weiß es nicht. Ihr dürft ankreuzen:

[ ] Ja.
[ ] Nein.
[ ] Vielleicht.
[ ] Nur Eis essen.

Wenn ihr mich fragt: Nehmt das Eis. Der Rest so scheißegal, wie "Cobblepot" Bombe ist. Rockstah sprengt damit einen mächtigen Krater in den Einheitsbrei. "Von keiner Szene jemals akzeptiert, ich suche nur Liebe, vielleicht find' ich sie ja hier." Hier? Ganz sicher.

Trackliste

  1. 1. 2014 (von Max Richard Lessmann)
  2. 2. Der Pinguin
  3. 3. Mond
  4. 4. Highscore feat. Lilli Fichtner
  5. 5. Alle Meine Gang
  6. 6. Undertale (Interloot)
  7. 7. Bergen Aan Zee
  8. 8. VHS
  9. 9. Love, Sex & Videogames
  10. 10. Rote Fässer
  11. 11. Will Russell
  12. 12. Snow Ball '84 feat. Max Richard Lessmann

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