11. Januar 2012

"Erfolg verkraften viele Jazzer nicht"

Interview geführt von

Die reine Swingphase scheint Vergangenheit. Das Experimentieren mit unterschiedlichen Stilen läutet für Roger Cicero eine neue Karrierephase ein: With a little help from his friends - like Jools Holland.Wir treffen Roger Cicero am frühen Abend im 'Vinylraum' eines Hotels der Hamburger Hafencity. Roger, lässig gekleidet und mit Schiebermütze auf dem Kopf, tippt gerade eine SMS. Die Location ist trefflich gewählt für ein Musiker-Interview - die Hüllen unzähliger Langspielplatten zieren den kleinen, heimeligen Raum.

Es war bereits ein langer Interview-Tag für Cicero, den unser Gespräch beschließt, doch von Müdigkeit oder einem Wunsch nach Feierabend keine Spur. Der Musiker zeigt sich gleichermaßen aufmerksam und konzentriert, locker und entspannt.

Kommen wir gleich zum aktuellen Album: In Sachen Stilvielfalt hat sich eine Menge getan, im Gegensatz zu den swinglastigen ersten Werken. Wie kams dazu?

Nun, ich habe die ersten drei Alben ziemlich direkt nacheinander produziert, in einem 1 1/2-Jahresrhythmus und zwischen den Alben immer ausgiebig getourt. So sind inzwischen rund fünf Jahre ins Land gegangen. Es hat sich homogen und natürlich angefühlt, nach dem dritten Album zu sagen: 'So, nun nehmen wir uns mal ein bisschen Zeit'.

Es hatte nicht den Grund, dass ich nicht mehr konnte oder unbedingt eine Pause brauchte. Ich habe mir eigentlich auch keine Auszeit in dem Sinne genommen, sondern viele Sachen gemacht in der Zeit, für die endlich auch mal ein wenig Raum da war.

... und bist auch Vater geworden ...

Genau, Vater bin ich auch! Da hat man auch keinen Urlaub. Es war insgesamt eine sehr ereignisreiche Phase und ich habe mir nun einfach ein wenig mehr Zeit fürs neue Album genommen. Mir war sehr schnell klar, dass ich auf jeden Fall eine Entwicklung hörbar machen möchte. Zum einen wollte ich den Big Band-Sound ein wenig aufbrechen, etwas modernisieren, ohne aber dabei auf meine Band zu verzichten. Ich wollte sie anders inszeniert haben. Und habe mir neue Produzenten gesucht, mit denen ich diese Ideen verwirklichen konnte.

Der bewährte Lutz Krajenski ist also nicht mehr dabei?

Lutz war unser Arrangeur, für die eigentlichen Produktionen waren Matthias Haß und Frank Ramond zuständig.

Und auf die Textarbeit von Frank Ramond hast du diesmal auch verzichtet?

Nicht ganz! Für ein Stück ist er dabei: "Was Weißt Du Schon Von Mir". Das ist ein typischer Ramond-Titel, produziert hat diesmal vor allem auch Kiko Massbaum aus Köln. Für drei Titel ist Roland Spremberg zuständig, jemand, den ich schon sehr, sehr lange kenne. Ich habe mit sehr vielen verschiedenen Leuten zusammen Musik geschrieben und komponiert. Dabei sind eine Menge Stücke zusammengekommen und später habe ich mich dann mit mehreren Textern zusammengesetzt und versucht, die Themen, die ich vorher hatte, auszuformulieren. Mit jedem musste ich auch irgendwie wieder von vorne anfangen.

Überhaupt wird Ramond im Gegensatz zu früher ein wenig außen vor gelassen, auch bei Annett Louisan. Hat das einen besonderen Grund?

Wir haben uns nicht abgesprochen, soviel kann ich verraten! (lacht) Nein, es war so: Wir haben zusammen drei Alben gemacht, mit sehr intensiver Zusammenarbeit. Es war genau der richtige Moment zu sagen: 'Jetzt brauchen wir mal neue Einflüsse'. Er hat mir gerade vor ein paar Tagen eine sehr liebe Mail geschrieben, hat das Album quergehört und viele lobende Worte gefunden.

"Jazz oder Pop? Ich bin beides!"

Das eigentliche Texten überlässt du lieber anderen, oder sind da auch eigene Sachen dabei?

Im Gegensatz zu früher habe ich mich dieses Mal selbst sehr in das eigentliche Texten hineingekniet. Und wenn ich mal selbst nicht aktiv dabei war, habe ich immer genaue Briefings gegeben. Was für ein Song es werden soll, was für eine Geschichte. Teilweise habe ich auch eine Art Dramaturgie vorgegeben. Es ging darum, alles passend zur Komposition auf die Silbenanzahl zu packen und in Reimform zu bringen. Und mit einer Sprache zu versehen, die mir entspricht.

Sehr wichtig war alles, was die Produktion angeht, wir sind da ebenfalls noch tiefer eingetaucht als früher. Da passte es natürlich, dass Kiko und Roland zwei Produzenten sind, die sehr sehr penibel und genau arbeiten - was meiner persönlichen Arbeitsweise sehr entspricht! Bei den letzten Alben war es so, dass ich einige Kompositionen separat beigesteuert habe.

Das habe ich dann immer alleine gemacht, eben zuhause fertiggeschrieben. Jetzt bin ich da anders rangegangen. Wir haben Ideen ausgetauscht, uns gegenseitig inspiriert, die Bälle untereineinander hin- und hergeworfen. Das ist eine kreative Arbeit, die mir extrem entspricht, wie ich jetzt herausgefunden habe.

Du hast mit einer großen Anzahl von Gastmusikern kollaboriert, etwa Rea Garvey. Auch von Juli war jemand dabei.

Das war der Gitarrist, Simon Triebel. Er hat gemeinsam mit Tom Albrecht einen Text verfasst.

Sehr gelungen finde ich die Beteiligung von Jools Holland auf "Zu Zweit". Wie kam es dazu?

Jools ist in England seit über zwanzig Jahren eine absolute Koryphäe. Nun wollte er erstmals im deutschsprachigen Raum ein Album herausbringen. Für frühere Arbeiten hat er sich ja immer eine Menge Weltstars eingeladen, mit denen er besondere Songs aufnahm. So dann auch für "Jools Holland & Friends". Da sind Herbert Grönemeyer zu finden, Ina Müller, die Baseballs, und auch ich bin mit von der Partie. Er hat bei mir angefragt, und da fühlte ich mich natürlich unglaublich geehrt.

Wir haben uns kurz danach persönlich getroffen, und uns für den Titel entschieden, der jetzt auf seinem Album zu hören ist. Ich war zwei Mal in London, bin sogar mit seiner Band zusammen bei einem Konzert aufgetreten. Ein paar Tage später waren wir dann in seinem Studio und haben dieses Stück aufgenommen.

Als ich später mitten in der Arbeit zum Album steckte, "Zu Zweit" fertig war und wir in die Produktionsphase gingen, dachte ich mir: 'Mensch, das wär' doch super, wenn Jools da Klavier spielen könnte'. Dann habe ich natürlich gefragt, ob er Lust hat und ihm den Song geschickt. Ein paar Tage später schon kamen seine Files zurück. Und jetzt ist er auf meinem Album mit drauf, was mich natürlich sehr, sehr freut.

Wenn du dich selbst einschätzt: Siehst du dich mehr als Pop- oder Jazz-Sänger?

Tja. Also, ich glaube, ich bin eigentlich beides! Sagen wir mal so: Jazz ist mein musikalischer, familiärer Hintergrund, und Pop ist etwas, das ich auch schon immer sehr geschätzt habe. Von meinen sängerischen Ambitionen her bin ich eher ein Jazz-Sänger. Ich muss mich zusammenreißen, um schnörkellos und geradeaus zu singen. Einen Song wie "In Diesem Moment" einzusingen, war eine besondere Herausforderung.

Ich habe noch nie so geradeaus interpretiert wie dort, also ohne wahnsinnige Verzierungen, womöglich hier noch einen Trick, da noch einen Triller eingebaut. Denn das sind so Sachen, die mir liegen, weil ich sehr verspielt und improvisationsfreudig bin. Ich habe auch viele Chöre auf dem Album, habe mich da auch ein wenig ausgetobt, was wahnsinnig viel Spaß machte.

Vor einiger Zeit sprach ich mit einem Kollegen über dich und deine Musik, und er meinte: 'Ich glaube, der Roger Cicero leidet ein wenig darunter, dass er von den echten Jazzern nicht so richtig ernst genommen wird'. Hat er recht?

Ich weiß nicht, welche Jazzer er meint! (lacht) Das war mir eigentlich bisher nicht so bewusst. Keine Ahnung. Das ist dann auf jeden Fall etwas, was ich noch gar nicht richtig mitbekommen habe, weil ich offensichtlich gar nicht in Kontakt zu so beinharten Jazzern stehe. Da leide ich auch definitiv nicht drunter.

Gerade im Jazz ist es oftmals so: Wenn jemand anfängt, Erfolg zu haben, verkraften das manche Musiker nicht. Das ist halt leider nach wie vor so. Mein Vater hat mir vorgemacht, wie man E- und U-Musik miteinander verschmilzt und er wurde teilweise auch dafür angefeindet. Insofern ist es etwas, was mir bekannt ist, mich aber nicht davon abbringt.

"Max Raabe finde ich großartig"

Was ist das Geheimnis deines Erfolges?

Das würde ich auch gern mal wissen! Da müssen natürlich immer viele Faktoren gut zusammenkommen. Der Zeitgeist, eigenes Timing, das ist immer schwer zu sagen. Im Nachhinein kann man sich das zwar irgendwie erklären, aber planen kann man das gar nicht.

Du hast ja auch vor deinem eigentlichen Durchbruch immer Musik gemacht. Aber dann auf einer ganz großen Bühne zu stehen, ist doch erst mal sicher auch nicht einfach zu verkraften?

Das ist eine ziemlich große Anspannung, da muss man auch reinwachsen, wenn man zum ersten Mal vor 4000 oder 5000 Leuten steht. Bis 1000 Zuschauer gilt: Das ist viel, aber noch irgendwie überschaubar, finde ich. Das soll nicht borniert klingen! Doch man erkennt: Das fängt hier an, und man kann noch sehen, wo es aufhört, das hat man noch einigermaßen im Blick. Was mehr ist, wird dann schon schwerer greifbar. Für mich war es der erste Gig, als wir damals in der Köln-Arena spielten, da waren so 4500 Leute. Das war absolut überwältigend.

Arenen sind auch noch was anderes als große Theatersäle. In Arenen musst du richtig rein und geben, geben, geben! Doch wenn der erste Funke überspringt, kann man das noch gar nicht richtig spüren auf der Bühne. Man braucht eine wesentlich größere Reaktion vom Publikum, bis etwas zurückkommt. Das kann sehr verunsichern. Man steht die erste halbe Stunde auf der Bühne und denkt: 'Mach' ich etwas falsch? Ist irgendwas doof? Bin ich raus? Oder was ist hier los?'

Wenn man nur Club- oder Theaterkonzerte gewohnt ist, bemerkt man jede kleine Reaktion vom Publikum ganz schnell. Bei großen Arenen musst du erst ein bisschen vorinvestieren. Irgendwann verselbstständigt sich das, und dann bekommt man es zurück. Das ist so groß, das ist extrem überwältigend, das ist fantastisch.

Hat Roger Cicero, wenn er alleine daheim ist, womöglich besondere Hör-Vorlieben, die man ihm gar nicht zutraut? Hip Hop vielleicht?

Ich bin Hip Hop durchaus nicht abgeneigt und mag auch guten deutschen Hip Hop ...

... Lady Bitch Ray vielleicht?

Lady Bitch Ray und so, also, da bin ich jetzt nicht so auf dem Laufenden. Da kenne ich nur so ein paar Dinger, finde die auch ganz amüsant. Aber beispielsweise dieser ganze Gangsta-Rap, das ist nicht so meins. Gut, die Grooves finde ich klasse. Ich find' Peter Fox großartig. Fantastische Texte, super produziertes Album, das habe ich sehr gern gehört.

Bei den Newcomern ist es momentan Flo Mega, der ein sehr guter, energetischer Sänger ist. Das gefällt mir einfach, ich mag die Musik, die schön produzierte Platte. Ich bin da offen, was anderes angeht. Ansonsten höre ich natürlich meine alten Heroes Stevie Wonder, Prince, Ray Charles, Al Jarreau, George Benson - das ist eine lange Liste. Max Raabe finde ich auch großartig. Er ist einzigartig in seinem Genre, konkurrenzlos und macht das super. Ich fand' ihn schon vor zwanzig Jahren klasse.

Hast Du für die Zukunft Lust, mal ein wirklich reines Jazz-Album einzuspielen?

Das habe ich schon gemacht, früher! Mit After Hours, das ist ein Jazz-Quartett, mit denen ich 2005 eine ziemlich straighte Jazz-Platte aufgenommen habe. Die sollte auch noch erhältlich sein.

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