laut.de-Kritik

Wagen Sie doch einfach mal was, Herr Kaiser!

Review von

"Ich habe da keine Berührungsängste." Sehr im Gegensatz zu Casper, der hörbar einschnappte, ging Roland Kaiser vollkommen gelassen damit um, dass das jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung seine Zeilen mit denen des Rappers verglich. "Zumal, und da haben Sie ja auch Recht mit Ihrer Gegenüberstellung: So weit auseinander sind wir ja nicht."

Spätestens da ließ sich ahnen: Kaiser schlägt Casper in der Disziplin Coolness um Längen. Wobei die Battle schon ein wenig unfair war: Schließlich schreibt, anders als Casper, der Schlagersänger seine Texte nicht selbst. Er hat also vermutlich eine deutlich weniger innige Bindung zu der von ihm dargebotenen Dichtkunst. Das entschuldigt dann vielleicht auch Kaisers deutlich schlichter gestrickte Reimstrukturen. Zumindest ein bisschen. Er trägt zumindest nicht die volle Schuld an Pillepallelyrik des Kalibers "Das Leben ist 'ne Achterbahn, und du bist immer mitgefahr'n."

Wobei ... nein. Eigentlich lässt sich das nicht entschuldigen. Ein, mit Verlaub, alter Hase im Geschäft in einer Position, wie Roland Kaiser sie zweifellos inne hat, von dem darf man schon wenigstens ein klein wenig Wagemut erwarten. Es verlangt ja niemand, dass er gleich seine angestammte Fanschar verschreckt. "Unser ganzes Tun zielt auf Geliebt-Sein", schon klar.

Aber Schlagerfans sind treu. Die würden sich schon nicht gleich schaudernd abwenden, schürfte man zur Abwechslung ein bisschen tiefer, als fortlaufend die alten abgedroschenen Geschichten von der wiedergefundenen Sommerliebe, dem ach so sündigen Seitensprung oder der umwerfenden Erkenntnis "Liebe ist Leben" wiederzukäuen.

Dass das geht, zeigt etwa der Titeltrack, der das Altern und den Umgang mit Erfahrungen und zuweilen schmerzhaften Erinnerungen zum Thema hat: "Seelenbahnen zeichnen mein Gesicht. Ich trau' mich nicht, sie zu verwischen." "Meine Welt Hat Zwei Gesichter" zeigt die Kluft zwischen der glänzenden Fassade und den Schatten dahinter und die Sehnsucht nach Aufrichtigkeit.

In beiden Fällen stammen die Texte von Kathleen Oesterreich. Ihr hätte Roland Kaiser vielleicht öfter vertrauen sollen - oder gleich Till Lindemann, der für "Ich Weiß Alles" den lyrisch mit weitem Abstand anspruchsvollsten Beitrag zu "Seelenbahnen" leistet. Da kann Roland Kaiser mit gesprochenem Intro und Interlude noch so auf verführerischen Barry White machen: Wer hier die gähnenden Abgründe von Abhängig- und Hörigkeiten nicht erkennt, hält vermutlich auch "Every Breath You Take" noch immer für ein nettes Liebeslied.

Leider bleibt diese Nummer ein Einzelfall. Der große Rest erscheint platt, schon tausendmal gehört, und erstickt vor allem in der komplett drögen Umsetzung. Die geht mindestens in der Hälfte der Tracks auf das Konto von Maite Kelly und Götz von Sydow. Alter Vatter! Als sei - inhaltlich wie musikalisch - die Zeit in den frühen 80ern stehen geblieben und jemand habe uns in der ZDF-Hitparade eingemauert.

Radiopop von gestern, mit Knödelgitarre, laschem Drumsound und gelegentlich sogar - Himmel hilf! - Saxophonsoli: für diese Kombination abgewirtschafteter Versatzstücke müsste das Wort "zopfig erfunden werden, gäbe es das nicht längst: harmlos, zahnlos, stillos. Könnte man Roland Kaiser, in dessen Stimme zweifellos irgendetwas mitschwingt, das ihm die Frauenherzen zufliegen lässt, nicht ein wenig gediegener in Szene setzen? Gerne mit ein bisschen Revue-Glitter. Der stünde ihm jedenfalls besser als dieser Mehrzweckhallen-Mumpf.

Unter einem Duett verstehe ich eigentlich einen Dialog zwischen zwei Sängern und ihren Stimmen. Maite Kelly und Roland Kaiser singen in "Warum Hast Du Nicht Nein Gesagt" - wieder so eine bemüht anrüchige Der-ewige-Stenz-Scharade - stattdessen einfach nur gleichzeitig nebeneinander her. Doch auch das scheint ein chronisches Leiden von "Seelenbahnen" darzustellen. An gleich mehreren Stellen ersticken mitträllernde Frauenstimmen den Charme, den Roland Kaisers Gesang entfalten könnte, ließe man ihm den Platz dafür.

"Du brichst mit jeder Gewohnheit, die der Sehnsucht die Flügel raubt", lobpreist "Du Bist Ein Engel" die Unvorhersehbarkeit der angesungenen Holden. Ein bisschen weniger Routine, mehr Klasse, wenigstens hin und wieder ein Abweichen von den schartig ausgetretenen sicheren Pfaden, und die Sache sähe deutlich besser aus. "Ich weiß, was es heißt, was zu wagen." Na, dann ... wagen Sie doch einfach mal was, Herr Kaiser!

Trackliste

  1. 1. Sag Bloß Nicht Hello
  2. 2. Seelenbahnen
  3. 3. All Die Jahre
  4. 4. Ich Weiß Alles
  5. 5. Ich Fege Die Sterne Zusammen
  6. 6. Du Bist Ein Engel
  7. 7. Warum Hast Du Nicht Nein Gesagt mit Maite Kelly
  8. 8. Josephine
  9. 9. Liebe Verlernt Man Nicht
  10. 10. Meine Welt Hat Zwei Gesichter
  11. 11. Ich Bereue Nichts
  12. 12. Nie Wieder Vielleicht
  13. 13. Als Ich Nich Single War
  14. 14. Es Wird Langsam Zeit Für Mich Zu Geh'n
  15. 15. Und Sie War Die Musik

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4 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Ach da werden doch nicht wirklich ernsthaft Reimstrukturen kritisiert und Schlager mit HipHop verglichen? Das ist immer noch sachte Rentner-Musik, die mit der Melodie + Refrain steht und fällt. Mehr nicht.

    • Vor 10 Jahren

      willst doch wohl nicht ernsthaft roland kaiser die relevanz im "game" absprechen ? unerhört, schlägt ja wohl dem faß den boden aus !

    • Vor 10 Jahren

      Er ist bestimmt relevanter als das x-te Discofox Abziehbild mit Wichsfrisur und Kinderriegelgrinsen. Und er hat auch schon paar Songs gehabt die man super mitgröhlen kann mit zehn Bier intus. Aber bei Schlager nach irgendwelchen künstlerisch wertvollen Elementen zu suchen ist doch absurd. Bei Uwe Boll Filmen weiß man doch auch was man bekommt.

    • Vor 10 Jahren

      ja und zwar eins auf die schnauze, wenn man als kritiker so dämlich ist und mit ihm in den ring steigt :-)

    • Vor 10 Jahren

      Und als Zuschauer bekommt man Scheißfilme. Die Making Ofs sind aber unterhaltsam. Da rechtfertigt er sich immer und bezeichnet jeden seiner Filme als genial. Nur die Leute verstehen es nicht!!!1

    • Vor 10 Jahren

      habsch noch nie gesehen.fand eigentlich alles beschissen von dem bis auf postal.aber den hab ich auch spät am abend in geselliger runde gesehen.
      aber evt. ist die menscheit ja noch nicht soweit, bollfilme zu würdigen.sowas erfolgt ja meist immer erst posthum.und warum auch nicht, gibt ja schliesslich auch genügend deppen, die sich michael bay filme anschauen und dafür auch noch geld bezahlen, anstatt welches zu bekommen.ist ja eigentlich wie boll, nur eben in teuer.

    • Vor 10 Jahren

      Ja, das stimmt im Prinzip. Uwe Boll Filme sind in der Hinsicht aber immer sehenswert, um sich über die sauschlechten Dialoage, den billigen Animationen, den lächerlichen Darstellern usw. zu amüsieren. Empfehlenswert auf jeden Fall Far Cry mit Til Schweiger und Dungeon Siege 2 mit - Achtung - Dolph Lundgren (!) in der Hauptrolle.

  • Vor 10 Jahren

    Warum hast du nicht Nein gesagt mit Maite Kelly....uaaaaaaaaargh!!

    @Pokusa: Solche Kacktexte könnte man trotzdem ruhig mal selber schreiben, hätte Rolli bestimmt hinbekommen. Er ist der Bushido des Schlagers! :D

    • Vor 10 Jahren

      Das wundert mich allerdings auch, dass es tatsächlich Leute gibt, die hauptberuflich Schlagertexte schreiben . Einfachster Job aller Zeiten. Ich hab mal gelesen, dass Jürgen Drews seine Songs zusammen mit nem Studenten an nem Klavierflügel "komponiert" und nen halbes Jahr später sich dumm und dämlich verdient mit irgendwelchen kranken Auswüchsen eines Menschen der die meiste Zeit kifft und Mikrowellenfutter in sich reinschiebt.

  • Vor 10 Jahren

    Dem gehört für "Sieben Fässer Wein" das Bundesverdienstkreuz verliehen.

  • Vor 9 Jahren

    Ein sehr talentierter Künstler.
    Das häufigere Rezensieren von Interpreten dieses Kalibers würden dem öffentlichen Erscheinungsbild von Laut.de sehr gut zu Gesicht stehen.