3. April 2017

"Ein Hurricane-Slot um 1 ist das Schlimmste"

Interview geführt von

Gerade haben SDP ihr neues Album "Die Bunte Seite Der Macht" veröffentlicht, eine akustische Wundertüte aus Rock, Funkpunk, Ulk und HipHop. Dass dieser Mix nicht jedermanns Sache ist, bewies nicht zuletzt die nicht unbedingt wohlwollend ausgefallene laut.de-Review der Platte. Dass Meinungen aber auch verschieden sein können, beweist das Album mit Platz 2 der deutschen Albumcharts.

Wir trafen das Duo, bestehend aus Vincent Stein und Dag-Alexis Kopplin in Berlin zum Gespräch über ihr neues Album, Tierhaarallergien und ihr Verhältnis zu Die Ärzte.

Ihr habt kreativ wie geschäftlich bei SDP alle Fäden in der Hand. Habt ihr von Anfang an alles selbst gemacht?

Vincent: Beim allerersten Album waren wir bei Yo Mama in Hamburg unter Vertrag. Wir hatten einen Künstlervertrag. Beim zweiten Album, 2006, war ich aber bereits als Musikproduzent erfolgreich und habe gemerkt, dass es kein Hexenwerk ist, ein Album in die Läden zu bekommen.

Dag: Zu der Zeit, als wir angefangen haben, ging ja das Plattenindustrie-Sterben schon vor sich. Da war nichts mit "Jungs, wir machen Plattenvertrag, wir machen euch groß". Es war eher so: "Meh, was läuft denn überhaupt noch, was geht denn?"

Vincent: Vereinfacht gesprochen: Du brauchst 10.000 Euro und einen Vertrieb, dann hast du dein Album in den Läden. 2006 kam YouTube an den Start, und wir waren immer schon die, die eher mit kreativen Videoideen gepunktet haben. Dann haben wir im Mai 2006 – zwei Monate nachdem YouTube anfing, einen Account erstellt. Ich glaube, wir waren überhaupt die erste deutsche Band, die einen Account hatte.

Dag: Bevor es MySpace gab, haben die Leute unser Gästebuch wie ein Forum genutzt. Da bemerkten wir, dass sich da eine Fan-Community entwickelt.

Vincent: Das war wie der Wilde Westen, ohne Regeln. Auf einmal hast du gemerkt, okay, jetzt gibt es so etwas wie Facebook, deine Anlaufstelle für alle deine Fans. Und dann hast du da YouTube, dein eigenes Musikfernsehen. Wir waren immer eine Band, die YouTube genutzt hat, aber nie YouTuber, die auch Musik gemacht haben. Das war eine unserer besten Entscheidungen.

Also seid ihr 'early adopters'.

Vincent: Wahrscheinlich schon, ja. Bei Sachen, die neu entstehen, kennst du ja die Langzeitfolgen noch nicht, wie bei einer neuen chemischen Droge. Wir waren durch Zufall früh dabei, haben aber rückwirkend betrachtet den richtigen Mittelweg gefunden, um als Band betrachtet zu werden. Als wir angefangen haben, live zu spielen, da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. "Ach Festival, lass mal machen, Digger, wird schon gut gehen". Da kommst du Sonntag Morgen am Hurricane an, dein Slot ist um 13:00 Uhr. Das ist das Schlimmste, was man dir antun kann. Da kommst du morgens um 9 Uhr an und siehst, das Ding is leer. Klar, wie soll das jemals voll werden, die sind doch alle besoffen und gerade schlafen gegangen. Ich bin da mit einer so naiven Positivität reingegangen, das ist mir erst im Nachhinein bewusst geworden.

Dag: Das ist bis heute so geblieben, dass du gar nicht glauben kannst, dass sich so große Plätze füllen.

Über "Die bunte Seite der Macht"

Erzählt doch mal vom Entstehungsprozess des neuen Albums.

Vincent: Es ist bei uns nicht so, dass Platten an sich so wirklich entstehen. Dadurch, dass wir uns schon so ewig kennen, machen wir immer einzelne Songs. Ich beobachte das bei anderen Bands, ich produziere ja viel: Die haben ihren Rhythmus, machen ein Album, touren, dann machen sie Urlaub, danach gehen sie zwei Monate ins Studio und machen wieder ein Album. Bei uns ist das nicht so, wir haben jetzt schon Ideen fürs nächste Album. Die Maschine rattert die ganze Zeit weiter, wir machen einen Song, auf den wir Lust haben, dann einen nächsten – und irgendwann entscheiden wir, dass es genug neue Songs für ein Album gibt. Dann überlegen wir, wie könnte es heißen, wie könnte es aussehen. Das läuft alles parallel.

Dag: Die Alben fließen ineinander rüber, und manche Ideen trägt man lange mit sich rum. Die Idee für einen Song über Freundschaft, die hatten wir schon länger. Die Idee konnten wir nicht verpulvern: einen halbgaren Song über Freundschaft machen geht nicht. Deswegen sind wir vorsichtig und nehmen das sehr ernst.

Gibt es bei euch eine klare Arbeitsaufteilung?

Vincent: Eine klare Aufteilung nicht, aber hier ein Beispiel: Beim letzten Album liegt der Deluxe-Box ein kleines Buch bei. Das schreibt zu 99 % Dag, der hat Freude dabei und richtig Bock darauf. Ich finde es cool und lache mich kaputt, wenn ich's lese, aber ich könnte das gar nicht so. Deshalb setzen wir uns Anfangs zusammen und machen eine Art Inhaltsverzeichnis - aber dann quatsche ich ihm fast nichts mehr rein.

Dag: Diese Arbeitsaufteilung läuft aber nicht so, dass einer es machen muss und der andere nicht darf. Sondern es ist so: der eine hat vielleicht auf etwas keine Lust, der andere denkt sich aber, hey, das ist genau das, wo ich mich gerade verwirklichen kann. Deshalb kann Vincent auch seine Soundästhetik ausleben und ich mische mich da fast nicht ein - oder ganz selten. Ansonsten ist es für uns gefühlt wirklich 50:50, und jeder gibt immer 100 Prozent.

Vincent: Dazu kommt, dass wir keinen Produzenten haben, kein Management, keine Plattenfirma. Wir machen alles selbst. Mein bester Kumpel aus der Schulzeit macht die ganze visuelle Welt – alle Animationsvideos. Und ein anderer Kumpel, der macht die ganzen 'reellen' Videos. Ich bin wiederum für die ganze Geschäftsseite verantwortlich, spreche mich da aber natürlich mit Dag ab. Es ist immer sehr viel zu tun.

Dag: Wir sind schon unterschiedliche Typen, wir haben eine andere Herangehensweise.

Vincent: Das ist auch gut, wenn wir zwei Vincents hätten, würde das in einer Schlägerei enden. Als Musikproduzent macht man zwar einen der geilsten Jobs der Welt, aber trotzdem ist es auch viel Dienstleistung, viel Kompromiss. Für andere Künstler machst du Sachen, die du sonst nicht so machen würdest. Oder es läuft sehr technisch ab: abmischen, Dateien liefern. SDP war für mich immer ein Befreiungsschlag. Weil SDP zu 100 % das ist, worauf ich Lust habe. Ich meine, ab und zu muss ich mit dem hier [zeigt auf Dag] einigen, aber meistens sind wir sowieso einer Meinung.

Mit "So schön kaputt" habt ihr einen Hochglanz-Popsong auf der Platte.

Vincent: Ich finde den erst mal gar nicht so hochglanzmäßig, aber das ist eine Wahrnehmungssache. Ich glaube aber, ich weiß, was du meinst. Ich hatte ein Schlüsselerlebnis, das zur Entstehung des Songs beigetragen hat. Ich war letzten Sommer als Begleitung bei einer Hochzeit eingeladen. Ich kannte die Personen nur sehr oberflächlich, aber dachte, ich betrinke mich und beobachte die Hochzeit mal. Ich fand es interessant, was da für Musik lief – was für deutsche Songs werden in so einem speziellen Anlass angemacht? Da ist mir aufgefallen, dass nur so fünf deutsche Songs liefen: Von Ich + Ich "Soll Es Sein, So Kann Es Bleiben", von den Toten Hosen "Tage Wie Diese", von Andreas Bourani "Ein Hoch Auf Uns". Da fiel mir auf: Das ist eine bestimmte Art von Songs, die das Leben und die Gemeinschaft feiern. Aber diese Songs haben mich immer ein wenig abgestoßen, nicht böse gemeint. Diese Songs beschreiben immer etwas, das vermeintlich perfekt ist.

Schlager eben.

Vincent: Ja, aber auch inhaltlich. Aber das Leben ist doch gar nicht so perfekt und so schön. Es gibt Auf und Abs, und das ist doch gerade das Tolle am Leben. Das war mein Schlüsselerlebnis und da dachte ich: So einen Song muss man machen, aber unperfekter und realitätsnäher. Deswegen finde ich, dass der Song ja eher ungeschliffen daher kommt und eben nicht so perfekt.

Dag: Verglichen mit anderen Songs auf unserem Album ist er vielleicht Hochglanz, verglichen mit anderen Songs ist er aber ganz schön kaputt.

"Bullen, Schweine" - ein Tribut an Die Ärzte

Und da wäre natürlich die Single "Bullen, Schweine". Was hat es denn mit diesem Titel auf sich?

Vincent: Ich habe seit meiner Kindheit eine starke Tierhaarallergie. Das klingt erst mal lustig, ist aber durchaus dramatisch. Dag liebt zum Beispiel Katzen. Wenn man jünger ist, dann übernachtet man ja auch mal beim anderen, das konnte ich nie wegen meiner Katzenhaarallergie. Deshalb musste er immer bei mir pennen. Ich bin stark allergisch gegen alle Tiere, außer gegen Hunde.

Dag: Das ist natürlich ein ironischer Song, ich habe ja gar nichts gegen Tiere. Aber man geht ja aufeinander zu, das ist für mich ein Kompromiss. Ich trete im Video ja auch Schweine. Es ist außerdem der dritte Song, den wir mit gemeinsam mit Sido gemacht haben."

Im Video gibt es ja auch ein kleines Tribut an Die Ärzte. Die haben ja auch die legendäre EP "1-2-3-4 Bullenstaat".

Dag: Ja, das stimmt. Aber den Themensprung verstehe ich nicht – von Bullen auf Polizisten (lacht). Die Ärzte sind aber ein Riesenthema in unserem Leben. Vincent und ich haben uns in der siebten Klasse kennengelernt, und ein Mädchen meinte, der Vincent spielt auch Gitarre und ist auch Ärzte-Fan. Ich bin in der Pause rüber und meinte, "Du bist spielst auch Gitarre und hörst auch Ärzte?" — und das waren quasi unsere ersten Worte, die wir gewechselt haben. Als das "13"-Album rauskam, haben wir Schule geschwänzt und das Album gekauft.

Vincent: Wir haben übrigens letztens Bela getroffen, was auch ein krasses Ereignis für uns war. Wir hatten sogar ein bisschen Schockstarre. Wir machen vielleicht ein kleines Projekt zusammen, das mit Musik nicht viel zu tun hat. Mehr kann ich darüber nicht sagen, aber es ist ein Lebenstraum.

Wie werdet ihr die neue Platte live umsetzen?

Vincent: Da haben wir noch ein bisschen Zeit. Wir spielen diesen Sommer auf Festivals, und erst dann gehen wir auf eigene Tour. Auf Festival spielst du ja eher Best Ofs, eher die alten Alben. Die Festivalumsetzung der neuen Platte ist anders als die Umsetzung auf Tour. Auf Tour kennt ja jeder schon jeden Song, da kannst du viel mehr ins Detail gehen. Wir werden uns sehr, sehr austoben, es wird ein kunterbunter Abend werden.

Überlegt man sich die Umsetzung schon während der Produktion?

Vincent. Das geht Hand in Hand. Wenn du viel live spielst – und wir ballern jetzt ja schon das fünfte Jahr durch – dann erlebst du bewusst und unterbewusst so viele Dinge, bei denen du merkst, dass es funktioniert. Das wirkt sich definitiv im Unterbewusstsein auf die Songs auf. Du weißt schon, das ist ein Song, der wird live schwer umzusetzen. Oder umgekehrt: auf Platte knallt der noch nicht so, aber live: Alter!

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