laut.de-Kritik
Unterschichtenmusik für die Dorfdisco um die Ecke.
Review von Michael SchuhHört hört: "Naughty But Nice" besticht mit Up-Tempo-Nummern, intensiven Soul-Facetten und diesmal auch Gitarren-Riffs. Man müsste wohl morgens anstelle des firmeninternen Kaffee- den Bier-Automaten plündern, um solch einen Satz vor dem musikbegeisterten Leser zu rechtfertigen. Da ich diese Arbeitsweise aber Kollege Edele überlasse, bediene ich mich angesichts der in Wahrheit erneut ideenlos-peinlichen Vorstellung Frau Connors lieber eines lustigen Statements des beigefügten Album-Pressezettels.
Zugabe gefällig? "Gleich mit ihrer ersten Single nach der Pause, 'Living To Love You', schaffte sie den musikalischen Hattrick und stürmte nach 'Music Is The Key' und 'Just One Last Dance' zum dritten Mal in Folge auf Platz 1 der deutschen Single-Charts. Eine Meisterleistung, die zuletzt in den 80er Jahren erzielt wurde." 80er Jahre, da treffen Sarahs Marketingleute doch tatsächlich mal eine meiner dem Albumtitel geschuldeten Assoziationen. Denn schon damals jauchzte die ebenfalls vor allem durch optische Reize zu Ruhm gekommene Samantha Fox: "Naughty girls need love too."
Sam Fox ist denn auch aus lyrischer Sicht ein weitaus treffenderer Vergleich als die der damaligen Meisterleistung verdächtigen Kollegen Michael Jackson oder Madonna. "Boy, put your trust in me", fleht Sarah in "Paradise", ein Song lautet gleich unmissverständlich "You are my desire", und selbst mit Humor kann Sarah punkten: "Keep on movin' to the top, once we're groovin' it won't stop." Groovin'? Nicht in diesem Leben!
Auf "Naughty But Nice" regiert mal wieder eine hochgradig lächerliche Phrasendrescherei, die verunsicherten Teenies Liebeskummer-Stütze und Zeigefinger-Lebenserfahrung vorgaukeln will - kennt man ja schon alles von Sarahs vorangegangenen Alben. Für das Phänomen Sarah Connor spricht nämlich wirklich nur eines: der Erfolg. Die Delmenhorsterin begeistert die Massen mit einem in seiner biederen Machart einzigartigen Dance-Pop, der höchstens folgende Umschreibung des eingangs erwähnten Zitats verdiente: "Naughty But Nice" bietet 15 für die Klingelton-Industrie hergestellte Träller-Nummern, und natürlich sucht man Gitarren-Riffs in diesen ideenarmen Soul-Adaptionen genauso vergeblich wie gute Beats.
Wie weit "Naughty But Nice" dann von einer ordentlichen US-Produktion der Marke Aguilera entfernt ist, verriet schon die Single "From Zero To Hero", ein stumpfsinniges Fitness Studio-Konstrukt aus piependen Computer-Sounds mit sinnentleertem Wegwerf-Text. Spielte man den Neptunes beispielsweise die Beats von "Keep Imagining" vor, Pharrell und Co. bräuchten wohl ein ganzes Sauerstoffzelt, um wieder Luft zu bekommen. Im deutschen Raum scheint dies aber nach wie vor alles keine Rolle zu spielen, hier wird weiter kommentarlos zu Connors Billig-Beats gehüpft, zu den weniger vorhandenen Balladen geschmachtet, und sich über das erste Kind der Protagonistin gefreut.
Musikalisch bleibt Sarah auch mit "Naughty But Nice" höchstens ein Vorbild für Leute wie Jeanette Biedermann, die in den USA noch kein Bein auf den Boden gebracht haben, sich ansonsten aber auch recht professionell um die Weiterentwicklung eines ganz besonderen Genres verdient gemacht haben: Unterschichtenmusik. Auch in der Dorfdisco bei dir um die Ecke. Jedes Wochenende. Let's get back to bed, boy!
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