laut.de-Kritik

Unter der aufgeräumten Schlichtheit lauert Barbarei.

Review von

Irgendwann im Jahr 1992 sprach eine böse Königin einen Fluch über die Einwohner von New Jersey aus, worauf die Uhren stehen blieben und sich fortan keine Sekunde weiter bewegten. Anders lässt sich der wunderbar rückwärts gewandte Sound von "Rose Mountain", in dem sich Sonic Youth und The Breeders mit dem vibrierendem Gesang einer Grace Slick vereinen, kaum erklären.

Auch in ihrer Entwicklung gehen die Screaming Females einen geradezu klassischen Weg, der heute nur noch wenigen Gruppen gegönnt wird. 2005 gegründet erspielen sich Marissa Paternoster, Jarrett Dougherty und King Mike von Album zu Album eine stetig wachsende Fangemeinde. Den bisherigen Höhepunkt machte das 2012 veröffentlichte und wild heulendem "Ugly" aus. Ein zusammenfassender Longplayer, der ihre bisherige Entwicklung auf den Punkt bringt. Nun ist es Zeit weiter zu gehen.

"Rose Mountain" bildet den nächsten Schritt in der Screaming Females-Evolution. Als Produzent übernimmt Matt Bayles (Caspian, Mastodon, The Sword) den Staffelstab von Urgestein Steve Albini (Pixies, Nirvana, PJ Harvey). Er sortiert all die Flausen, fixiert die Songideen. Mit ihm konzentriert sich der flotte Dreier auf seine Stärken und schöpft sein volles Potenzial aus. Unterhalb der aufgeräumten Schlichtheit und der zeitweise eine Spur zu blank polierten Oberfläche bleiben die Screaming Females immer noch eigensinnig und verlieren nichts von ihrer Barbarei und Punkrock-Haltung.

Paternoster überstrapaziert die anarchische Schrulligkeit in ihrer Stimme nicht mehr. Deutlich geordneter bleibt sie zeitgleich laut, forsch und grobkörnig und sticht jederzeit aus der breiten Masse heraus. Ihre düsteren Gitarren-Riffs und dreckigen Soli finden durch den rumpelnden Takt der beiden in ihrem Hintergrund stehenden Herrn der Rhythmussektion erst die nötige Absicherung. Gemeinsam gelingt ihnen mit "Rose Mountain" eine Platte voller vor Kraft strotzenden Songs und mitreißenden Refrains.

Mit "Empty Head" startet "Rose Mountain" einen gewaltigen Opener. Eine knirschende und wütend glühende Hymne mit packendem Refrain. "Ripe" setzt die Klinge am Hals noch fester an. Ein rippenbrechender und aggressiver Ausbruch mit pulsadernaufreißender Gitarre und grotesk grazilem Basslauf. "I said peel the skin raw / pinch till the feelings gone." Hunderttausend heulende Höllenhunde!

"Wishing Well" nimmt sich zeitweise zurück und entwickelt mit seiner sich verschiebenden Energie und seiner Indie-Pop-Ästhetik eine phänomenale Dynamik. Bis Paternosters deformiertes Solo einsetzt, scheinen The Screaming Females fast in Harmonie zu ertrinken. Das traurige "Hopeless" lässt ein einziges Mal einen betörenden Blick hinter die raue Schale zu.

Das gnadenlos breitschultrige "Criminal Image" stolpert zuerst mit Ecken und Kanten gespickt voran, hält aber letzten Endes die größte Überraschung bereit. Für einen kurzen Moment ertönt inmitten der spartanischen Instrumentierung ein leises Piano. Schamhaft, fast als wäre es von dem gewaltigen Lärm um sich herum eingeschüchtert, folgt es einer bangen Melodie, bevor wieder Zeter und Mordio ausbrechen.

Plötzlich mag ich alter Sack gerne noch einmal jung sein und mich unbezwingbar, wütend, hasserfüllt und verloren fühlen. Ich mag noch einmal randalierend die Geburtstagsparty meiner besten Freundin sprengen und stockbesoffen in die dunklen Ecken der alten Batschkapp kotzen. Ich mag einen U-Turn auf der nächtlich verlassenen Bundesstraße machen und dabei die Reifen meines Mercedes-Benz 240 D quietschen hören. Eine Band gründen, ohne was zu können, Feuerlöscher klauen, in Briefkästen pinkeln und auf einer Räuberleiter NPD-Plakate anzünden. Ich mag einfach noch einmal so trotzköpfig wie The Screaming Females auf "Rose Mountain" sein.

Trackliste

  1. 1. Empty Head
  2. 2. Ripe
  3. 3. Wishing Well
  4. 4. Burning Car
  5. 5. Broken Neck
  6. 6. Rose Mountain
  7. 7. Hopeless
  8. 8. Triumph
  9. 9. It's Not Fair
  10. 10. Criminal Image

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LAUT.DE-PORTRÄT Screaming Females

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3 Kommentare

  • Vor 9 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 9 Jahren

    hatte das mal so im hintergrund durchlaufen lassen,konnte aber leider überhaupt nicht bei mir punkten.
    der grundtenor ist mir zu brav bzw. zu monoton,zuviel indie zu wenig punk.auch ist mir die aggression dieses album verborgen geblieben, welche dich zum schreiben des letzten absatzes inspiriert hat.
    gut, fairerweise muss man sagen, ich habs halt gar nicht bis zu "criminal image" geschafft, aber so anders kann das ja dann auch nicht sein.

    edit:so ne editierfunktion hätte schon was für sich.

  • Vor 9 Jahren

    Ich kannte die Band zuvor gar nicht und bin absolut begeistert. Großartiges Album. Zum Glück nicht zu viel Punk und mehr Indie :)

    Höre seit einer Woche kaum noch was anderes. Auch "Ugly" ist sehr empfehlenswert.

    Vor 10 Jahren hätten die mit dieem Album richtig erfolgreich werden könnem.