laut.de-Kritik
Der Pop-Teufel lädt zum Tanz.
Review von Rinko HeidrichSupport-Act für Maroon 5 und George Ezra und ordentlicher Push dank einer Vodafone-Kampagne: Es gibt gar nicht mal so viele Gründe, als kritischer Musikhörer die Norwegerin Sigrid direkt in sein Herz zu schließen. Eher überwiegt die Skepsis. Dass Sigrid Solbakk Raabe mehr als nur banale Wegwerfware darstellt, machte schon die Platzierung auf der BBC Shortlist und der grandiose Pop-Song "Sucker Punch" klar. Endlich kommt nach längerer Zeit ein catchy Hit daher, der mit seiner gekonnten Mischung aus Electro, Hip Hop und Synthie-Pop über die Radio- und Genre-Grenzen hinaus begeistert.
In der Zwischenzeit hat sich ein Produzenten-Team der jungen Frau angenommen: Martin O., eher für intime Folk-Produktionen bekannt und Martin Sjølie, der schon mit Sam Smith zusammen arbeitete sowie Emily Warren aus der Hitschmiede von Dr. Luke (Katy Perry, Jessie J, Rihanna). So folgt dem Hit das gleichnamige Album, das genau zwischen diesem Wechselspiel aus Songwriting und EDM-Gemeinschaftsgefühl funktioniert.
Stücke wie das bekannte "Strangers" fangen als brummende Adele-Soul-Pop an und gleiten langsam rüber in einen beatlastigen Dance-Track, der von eingängigen Hooks getragen wird. Das ist so simpel und funktioniert so unverschämt gut. Fast könnte man meinen, hier kehrt die Achtziger-Hitmaschine Stock Aitken Waterman wieder an den Regler zurück, die mit ihrer todsicheren Erfolgsformel im Wochentakt goldene Platten für Rick Astley, Kylie Minogue und Dead or Alive produzierten.
"Sucker Punch" verdichtet auf ähnliche Art alles, das in den Clubs gerade funktioniert in kurze dreiminütige Songs. In "Sight Of You" setzen nach ein paar flirrende Sekunden Streicher ein und Sigrid singt rehäugig über Teen-Probleme eines einsamen Mädchen. Der Pop-Teufel lädt zum Tanz, jeglicher Widerstand ist zwecklos. Die Stimme von Sigrid klingt einfach zu gut, das Timing ist zu perfekt und jeder Baustein sitzt genau dort, wo er sein soll. Genau in dem Moment, wo die Dance-Masche zu offensichtlich wird, kehrt "In Vain" als Folk-Song ungewöhnlich spät zu den Wurzeln des Albums zurück. Der Akustik-Teil klingt substanzieller als bei Angus & Julia Stone, die Konfetti-Pop-Kanone einfach wuchtiger als Coldplay.
Ausgerechnet der letzte Song "Dynamite" schließt dieses gelungene Debüt nicht mit dem großen ekstatischen Dance-Knall ab. Wo zum Schluss eigentlich noch einmal ein großes Bombast-Finale zu erwarten war, führt ein ruhiger Klaviermoment alles zu einem melancholischen Moment, in dem Sigrid über Liebesschmerz singt. Schon auf der "Raw-EP" von 2018 stach die sehr ähnliche Akustik-Ballade "Focus" heraus und auch diesmal dreht sich der Text um das Ende der großen Liebe. "Not the same destinations / will stay when you get off the train". Liebe ist Illusion, Pop auch. "Sucker Punch" lässt uns mit seiner unverschämte Hitdichte noch einmal daran glauben, dass es mit Pop am Ende des Jahrzehnts vielleicht doch nicht so schlecht steht.
1 Kommentar mit einer Antwort
Vorhin blind bestellt.
Erster Song ist schon recht fein.
Wundert mich, dass Agunt nichts hierzu sagte, sollte dass doch genau ihren/seinen bisher hier an den Tag gelegten Geschmack bedienen.
Weil ich das Album nie gehört habe (obwohl ich es mal erwogen hatte). Danke für den Tipp jedenfalls; ich sollte wohl doch mal reinhören.