4. September 2006

"MySpace wird immer wichtiger!"

Interview geführt von

Nachdem Silber 2003 ihr gleichnamiges Debüt vorgelegt hatten, wurde es bald wieder relativ ruhig um die Jungs aus Mainz und Köln. Was wohl nicht zuletzt daran lag, dass sich beim Neue Zeiten-Label und vor allem dessen Mutterkonzern Sanctuary diverse finanzielle Probleme offenbarten. Anstatt aber den Kopf in den Sand zu stecken, haben sich Guido Winter und seine Jungs lieber auf ihre Stärken besonnen und sich darauf konzentriert, alles in die eigene Hand zu nehmen.Eines schönen Tages liegt also der zweite Longplayer der Band bei mir im Briefkasten, und schon 24 Stunden später meldet sich Guido bei mir, um über das neue Album, die vergangenen drei Jahre und den Grund für die lange Abwesenheit aus dem Musicbiz zu palavern. Das Wetter ist angenehm, die Kehle trocken, und so treffen wir uns an einem Montag Abend im Quartier Mayence und köpfen das erste Tannenzäpfle.

Guido, fass doch mal kurz zusammen, was in den letzten drei Jahren passiert ist.

Das Ganze hat damit angefangen, dass bei Neue Zeiten (ehemaliges Label, Anm. d. Red.) in Sachen Support einfach nicht viel passiert ist. Erst sollte hier über längere Zeit etwas aufgebaut werden, aber nach einem dreiviertel Jahr wurden sämtliche deutschen Mitarbeiter gefeuert. Damit war das Label ebenfalls Geschichte, und wir standen ohne Deal da. Das ist für eine Band natürlich mehr als nur frustrierend, vor allem, da wir von dem Material überzeugt waren und sind und damit auch touren wollten. Wir haben uns also überlegt, wie wir weiter vorgehen wollen und uns dazu entschieden auf eigene Faust weiterzumachen, um endlich mal alle Entscheidungen in der eigenen Hand zu haben. Das ist zwar einerseits sehr angenehm, aber andererseits auch nicht so leicht zu bewältigen. Schließlich musst du das Album erst mal aufnehmen, dann fertig produzieren, ein Cover anfertigen und drucken lassen, den Vertrieb regeln. Das ist schon alles ein enormer Aufwand, leider auch finanziell gesehen.

Allerdings haben wir zum Glück gute Freunde, die in den Bereichen Tontechnik, Grafik, Fotografie und so weiter arbeiten, und diese haben uns alle miteinander unterstützt. Es ist ein großartiges Gefühl, eine solche Sache mit seinen Freunden zusammen auf die Beine stellen zu können. Da wir außerdem schon eine Zeit lang im Musicbiz unterwegs sind, konnten wir einige bestehende Kontakte nutzen. Anfangs wollten wir auch sämtliche Pressebelange selber in die Hand nehmen, doch uns wurde schnell klar, dass wir in diesem Bereich besser auf Leute mit entsprechender Erfahrung zurückgreifen sollten. Jan von Gordeon Promotion kennen wir schon länger, er und seine Kollegen wissen einfach genau, was sie tun. Wir haben hier das Gefühl in guten Händen zu sein, und das ist uns sehr wichtig. Wie man sieht, hast du "Hier Und Jetzt" ja auch schon vorliegen.

Die Aufnahmen und die Produktion des Album habt ihr also selbst gehandhabt?

Bis zu einem gewissen Grad, ja. Allerdings wäre die ganze Sache kaum ohne die Unterstützung unserer Freunde möglich gewesen, die teilweise sehr viel Freizeit geopfert haben, um mit uns an dem Album zu arbeiten. Da wir aber relativ druckfrei waren, haben wir nichts übers Knie gebrochen, sondern uns mit dem jeweiligen Thema auch die entsprechende Zeit genommen, bis alles so gepasst hat, wie wir es wollten. Vor allem die Aufnahmen liefen einfach unglaublich entspannt ab, da hier die richtigen Leute zusammen am Start waren. Da hat eben nicht wie früher ein Label versucht reinzulabern, was immer zu extrem unsinnigen und zeitraubenden Diskussionen führt. Wir waren bisher mit keinem Album so glücklich wie mit diesem, auch wenn das jetzt nach einer typischen Phrase klingt, hahaha.

Als das dann alles unter Dach und Fach war, sind wir noch einen Schritt weiter gegangen und haben unser eigenes Label gegründet. Das war natürlich auch noch mal ein ziemlicher Aufwand und Papierkrieg, aber wir denken, es hat sich gelohnt. ZYX hat nun den Vertrieb übernommen und unterstützt uns beim Marketing - das sieht bisher alles sehr ordentlich aus.

Ich nehme mal an, dass ihr zumindest bei euch im Proberaum schon so was wie eine Vorproduktion gemacht habt, oder?

Ja, das lief schon im Proberaum ab. Wir haben da inzwischen einen abgegrenzten Regieraum und arbeiten dort mit einem kleinen ProTools-System. Damit haben wir den Songs schon einen ganz ansprechenden Sound verpasst und konnten gut an dem Arrangement arbeiten, aber die eigentliche Produktion hat dann erst im Studio begonnen. Das war auch bei einem Freund von uns, und so lief der komplette Aufnahme- und Mix-Prozess wie gesagt einfach nur relaxt und angenehm ab.

Das merkt man dem Album auch sehr schön an.

Das finde ich auch. Was im Zusammenhang mit uns ein Novum ist, ist die positive Grundhaltung des Albums. Nimm nur mal einen Song wie "Lass Es Gehen". Ich glaube nicht, dass wir so einen Song früher geschrieben hätten. Inzwischen sind wir musikalisch im Alternative Rock-Bereich angekommen und fühlen uns damit sehr wohl. Stilistische Grenzen und Veränderungen musst du eben nicht fürchten, wenn dir kein Label im Nacken sitzt. Wir haben die Musik geschrieben und aufgenommen, nach der wir uns gefühlt haben, deswegen ist die ganze Sache einfach stimmig. Wir klingen eine gute Ecke härter als der typische deutsche Rock-Kram, den du im Moment oft im Radio hörst, haben uns aber auch von dem düsteren Einschlag entfernt, den unsere Musik früher mal hatte. Unser neues Album geht einfach straight nach vorne.

War das eine bewusste Entscheidung, dass ihr euch von dem Sound gelöst habt?

Nein überhaupt nicht. So hört sich das mittlerweile einfach an, wenn ich mich hinstelle, die Gitarre einstöpsel und wir zusammen anfangen zu spielen. Eine bewusste Entscheidung war allerdings, dass wir keine Keyboards mehr dabei haben wollten. Das Album sollte geradeaus rocken, und da reichen eben Gitarren, Schlagzeug, Bass und Gesang. In vielen Fällen machen Keyboards bei einer Rockband sogar den Sound kaputt.

"Selbst das Fotoshooting war dieses Mal witzig"

Ihr habt aber immer noch keinen festen, zweiten Gitarristen in der Band.

Nö, aber wir haben live Tobias Jensch als zweiten Gitarristen dabei. Der Kerl ist eine ziemliche Granate an der Klampfe, und wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Momentan funktionieren wir gut so wie es ist. Da ist es auch nach wie vor kein Problem, dass Tom, unser Sänger, in Köln wohnt und der Rest von uns hier in Mainz.

Das ist jetzt auch nicht so die Entfernung. Bei Flotsam & Jetsam wohnt der Basser inzwischen in Chicago und der Rest der Band noch in Arizona.

Das ist dann doch was anderes, hahaha. Aber die werden wohl hauptsächlich per MP3-Files ihre Songs hin und her schicken. Wir treffen uns dann doch lieber regelmäßig, um gemeinsam zu proben. Dabei entsteht ja durchaus auch hin und wieder der eine oder andere Song. Es ist nicht so, dass ich die Stücke alleine ausarbeite und den anderen dann präsentiere. Manch ein Song ist schon bei einer ganz spontanen Jamsession entstanden, und das ist auch wichtig für uns.

Was hat es mit dem kurzen Instrumental "16:57" auf sich? Woher stammt der Titel?

Da ist keine große Geschichte dahinter. Ich hatte eine lange, harte Nacht hinter mir, und als ich aufgewacht bin, hatte ich nur noch den Drang, so schnell wie möglich daheim rauszukommen. Ich hab mir also meine Gitarre geschnappt, bin in den Proberaum und dort auf die Idee für diese kleine Nummer gekommen. Als ich damit fertig war, das ganze Ding in einer Rohversion aufzunehmen, war es gerade 16:57. Das Stück hat die Stimmung dieses Moments einfach perfekt wiedergegeben, deswegen bin ich bei dem Titel geblieben, hahaha. Wir haben das Teil dann mit aufs Album genommen, um einen kleinen Ruhepol in der Mitte der Scheibe zu schaffen. Außerdem bekommt der Song danach eine ganze andere Stimmung als die, die er ohne das Stück hätte.

Das Layout von "Hier Und Jetzt" ziert ein asiatisches Schriftzeichen, und auch euer Schriftzug hat diesen Einschlag. Liegt da eine bestimmte Bedeutung dahinter?

Dabei handelt es sich eigentlich primär um eine graphische Sache, die uns schlicht und ergreifend sehr gut gefiel. Der Typ, der für das Layout verantwortlich ist, hat längere Zeit in Asien gelebt und dort auch als Grafiker gearbeitet. Das ist also ein bisschen so was wie sein Stempel, und es hat uns im Kontext mit dem Album und dem Titel einfach gut gefallen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Schriftzeichen sogar nur um einen Teil der eigentlichen Kaligraphie. Frag mich jetzt aber nicht, was das Teil bedeutet, hahaha.

Selbst das Fotoshooting war dieses Mal ganz witzig. So was nervt uns normalerweise eigentlich nur, aber die Fotografin war dieses Mal eine gute Freundin von uns. Wir wollten auch bei den Fotos mal was anderes ausprobieren und sind einfach abends zusammen weggegangen. Wir waren in einem Club, in dem ein paar Bands gespielt haben und sie hat den ganzen Abend lang Bilder geschossen. Die ganze Sache hat einfach nur Spaß gemacht, und vor allem sind dabei ein paar sehr authentische Sachen rumgekommen. Da ist nichts gepost oder so was, sondern das sind einfach nur wir selbst. Das Foto in der Mitte vom Booklet stammt beispielsweise vom Morgen danach, und da sehen wir alles andere als fit aus, hahaha.

Das dachte ich mir allerdings auch, als ich das Teil zum ersten Mal gesehen habe, aber wie du schon sagst, so was ist wenigstens ehrlich und authentisch.

"Jede Newcomer Band ist doch darauf aus, einen Deal mit einem Label zu bekommen"

Aber jetzt, nachdem ihr gemerkt habt, wie harmonisch und relaxt das alles ablaufen kann, wenn ihr es selbst in der Hand habt: Käme für euch die Rückkehr zu einem Label noch in Frage?

Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Wir arbeiten zwar, wie schon gesagt, mit ZYX zusammen, was Vertrieb und Marketing angeht,. Aber die Kontrolle über den Entstehungsprozess und sämtliche weiteren Entscheidungen wieder aus der Hand zu geben, das wird wohl nicht passieren. Das hieße ja, zu einem Zustand zurückzukehren, von dem wir froh sind, weggekommen zu sein.

Würdest du sagen, dass sich die Zeit der Labels allgemein eher dem Ende zugeht?

Glaube ich eigentlich eher nicht. Selbst wenn die Verträge, die dir mittlerweile angeboten werden, eigentlich nur noch ein Witz sind, so ist doch jede Newcomer-Band darauf aus, einem Deal mit einem Label zu bekommen.

Aber ihr zeigt doch eigentlich recht deutlich, dass es ohne Label durchaus machbar ist.

Ja schon, aber wie ich schon gesagt habe, ist das vor allem finanziell eine sehr heikle Gratwanderung. Es ist zwar nicht mehr so das Problem, eine gute Aufnahme mit bezahlbarem Equipment zu fabrizieren, aber du musst ja noch einen zeitgemäßen Mix hinbekommen, die CDs pressen lassen, Cover entwerfen und drucken und dann hast du auch noch keinen Vertrieb und das alles. Von der GEMA will ich da gar nicht erst sprechen. Da bin ich schon eher bereit zu sagen, dass die Zeit der CD im klassischen Sinne so gut wie vorbei ist. Fakt ist jedenfalls, dass die meisten Plattenlabels in den letzten Jahren sämtliche Entwicklungen verschlafen haben und nie bereit waren, den Musikhörern mit den CD-Preisen entgegen zu kommen. Die Quittung bekommen sie jetzt, aber draus gelernt haben sie eigentlich nichts. Aber das soll nicht mehr unser Problem sein, hahaha.

Ihr seid ja auch bei MySpace am Start. Das scheint gerade für Bands mehr und mehr der erste Weg zu sein, sich zu präsentieren und Kontakt mit den Fans aufzunehmen.

Ganz klar. Für Bands ohne Deal ist es ideal, sich hier einfach mal mit ein paar Songs vorzustellen, und auch für etablierte Bands wird MySpace immer wichtiger. Ich weiß gar nicht, wie viele Bands ich schon über MySpace entdeckt habe, die mir sonst nie im Leben untergekommen wären. Die Möglichkeiten die sich damit auftun, sind natürlich immens. Mit dem Silber-Profil habe ich erst vor ein paar Wochen angefangen. Das Profil selbst gab es schon ein paar Monate länger, ein Fan von uns hat es betrieben. Das ist der selbe, der auch unsere englischsprachige Fanpage betreut. Ich hab ihn dann angeschrieben und gesagt, dass wir das Profil gerne übernehmen würden, und er war dann so freundlich, uns die URL zu überlassen. Das ging verdammt unkompliziert und schnell. Es sei denn, der Server bei denen kackt gerade mal wieder ab, hahaha. Alles in allem finde ich MySpace klasse, der Haken ist nur, dass es die schlimmste Zeitverschwendungsmaschine der Welt ist.

Allerdings, hahaha. Was ich dich aber mal noch fragen wollte. Kannst du jedes Mal nachvollziehen, was Tom mit seinen Texten ausdrücken will?

Mittlerweile schon. Früher fand ich das hin und wieder ganz schön schwierig, aber deswegen nicht weniger interessant. Auf diesem Album finde ich es um einiges einfacher. Ich denke, wenn man einfach gut zuhört und vielleicht auch mal den Text mitliest, ist es ziemlich deutlich, auf was Tom jeweils hinaus will. Natürlich formuliert er das so weit wie möglich offen, um noch Raum für Interpretationen zu lassen, aber generell sind die Texte doch um einiges direkter als noch auf dem Vorgänger.

Kam es auch schon vor, dass du dir mit Tom nicht so ganz einig warst, wie Text und Musik miteinander passen?

Oh Mann, wenn du wüsstest, hahaha. Da gab es schon so einige Diskussionen, keine Frage. Die werden dann auch immer bis zum bitteren Ende ausgefochten, aber bisher sind wir am Ende immer zu Potte gekommen. Die Songs, die es letztendlich auf das Album geschafft haben passen von Musik und Text her genau so zusammen, sonst hätten wir sie nicht auf die Scheibe gepackt. Oder wär dir da was aufgefallen?

Nö, ganz im Gegenteil. Bei mir in der Band kratzt das nur normalerweise kein Schwein, über was man da singt. Deswegen wollte ich einfach mal wissen wie das bei euch ist. Wie siehts denn mit Konzerten aus? Bis auf den Gig in Köln steht noch nicht viel an, oder?

Nein, das ist bislang das einzige Konzert. Wir haben uns auch von unserer alten Booking-Agentur getrennt und sind inzwischen bei Extratours untergekommen. Die waren auch unser Wunschkandidat, aber da brauchst du eben eine CD in der Hinterhand, und deswegen ist das noch alles relativ frisch. Sobald der Andreas aber unsere CD hat, hoffen wir, dass dann auch in Sachen Tour was geht.

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