25. August 2014

"Nach Berlin umziehen? Niemals!"

Interview geführt von

Im Angesicht der einnehmenden Falsett-Melodien und der makellosen Produktionen des rätselhaften Newcomers SOHN konnte man sein Glück noch kaum fassen. Erst 2012 hatte der Londoner sein langjähriges Projekt Trouble Over Tokyo begraben und war kurze Zeit später einfach unter neuem Pseudonym zurückgekehrt.

Ein Image-Wechsel, der einem von außen ziemlich berechnend erscheinen kann. Andererseits legte Christopher Taylor mit "Tremors" nun mal ein Meisterwerk hin, das seine Vollkommenheit und Strahlkraft ohne den kreativen wie strategischen Neustart wohl nie erreicht hätte. Vor seiner nächtlichen Show beim MS Dockville trafen wir einen überaus sympathischen und gesprächigen Künstler.

Heute Abend bist du einer der Hauptacts. Welches war dein schönster Festival-Auftritt bis jetzt?

Wahrscheinlich das Melt!, weil es so riesig war. Das war verrückt. Ich hab noch nie vor so vielen Menschen gespielt. Am Ende müssten es circa ...

15.000?

Ja, so was müsste es gewesen sein. Fuckin' amazing. Danach habe ich mir Portishead angeschaut, da waren es sogar noch mehr Menschen.

Vor einigen Jahren bist du von London nach Wien gezogen. Was waren die Beweggründe?

Hauptsächlich wollte ich raus aus London. Und Wien war der einzige Ort, der sich wirklich mit mir connectet hat. Dort habe ich Freunde gefunden. Ich kenne ein paar Leute in verschiedenen europäischen Städten. Aber in Wien dachte ich: Hier würde ich gerne für eine Weile leben. Einfach um zu sehen, wie es ist.

Und dann bist du geblieben.

Genau.

Warum wolltest du London denn verlassen?

Puh ... es ist eben ziemlich scheiße. (lacht) Ich weiß nicht. Ich hatte dort mein ganzes Leben verbracht, mich aber nie mit der Stadt verbunden gefühlt, weil ich immer außerhalb wohnte. Ich hatte nie diesen City-Lifestyle. Das ist in Wien anders, da wohne ich mitten im Zentrum. Vielleicht ziehe ich ja bald noch mal um. Wir werden sehen.

Vielleicht nach Berlin?

(Voller Überzeugung) Nein! Das hätte früher passieren müssen. Ich will nicht der letzte Typ sein, der auf die Party kommt - sondern der erste, der wieder geht.

Lernst du in Wien eigentlich auch ein bisschen Deutsch?

Ja, ich spreche ziemlich viel deutsch. Sehr schlecht zwar, aber wenn ich betrunken bin, geht es ganz gut. Je mehr ich trinke, desto einfacher wird es. Da hatte ich schon größere Konversationen auf Deutsch.

Vermisst du London nie?

Nein.

Was sind für dich die größten Unterschiede?

Diese Geschäftigkeit. Wien ist im Vergleich ziemlich ruhig. Aber auch die Größe. London ist einfach zu groß. London ist schon eher eine Sammlung von Dörfern. Aber auch die Geschwindigkeit der Kommunikation ist in London einfach so viel schneller. Ich mag es, dass ich in Wien ein bisschen langsamer sein kann.

Warum hast du das deutsche Wort SOHN als Pseudonym gewählt?

Ich habe an viele verschiedene Dinge gedacht. Aber bei allen hatte ich gewisse Assoziationen. Bei SOHN merkte ich: Oh, das ist ein sehr starkes Wort von großer Bedeutung. Und dennoch weckt es in dir keine Gedanken an irgend etwas anderes. Du denkst dir nicht: Ah, der Typ ist wahrscheinlich so und so. Dieses Wort ist wunderschön, aber total blank. Es ist kurz, das mag ich auch. Und soft. Mir gefällt außerdem die Idee, dass ich der SOHN meiner selbst sein könnte.

Vor diesem Projekt hast du mehrere Alben als Trouble Over Tokyo veröffentlicht. Stimmt es, dass du darüber nicht reden magst?

Noch nie davon gehört. Was ist das? (lacht ausgelassen) Beantwortet das deine Frage?!

Ich glaube, da gab es diesen Kerl mit blonden Haaren und Brille ...

(lacht immer noch)

Willst du wirklich nicht drüber sprechen?

Ach, weißt du: Für mich ist das, wie wenn meine Eltern mir alte Fotos zeigen. Das ist dasselbe Gefühl. Ich hasse es - und sage immer nur: Weg mit diesen Fotos!

Das gilt auch für deine alte Musik?

Ja, komplett. Ich habe mir das jahrelang nicht angehört. Es ist wie ein Ex-Freundin. Ich habe damit abgeschlossen und es in eine Schublade gesteckt. Es ist weg, es existiert nicht mehr.

Und das an einem speziellen Tag?

Ja. Es war einfach so: Okay, cool. Done.

Wie viel Zeit verging anschließend, bis du als SOHN angefangen hast?

Ich weiß es nicht genau. In meinem Kopf ging es nicht sehr lange. Da ging es eigentlich sehr schnell. Ich hatte gemerkt, dass ich mit allem anderen durch bin. Auch im Privatleben. Das Kapitel ist jedenfalls vorbei. Es existiert nicht.

Im Netz gibt es nur wenige Infos zu deiner Person. Hast du auch daran gedacht, deine komplette Identität und dein Gesicht zu verbergen?

Nicht wirklich. Aber ja, das war ursprünglich schon Teil der Sache. Allerdings auch nur, weil man so eben aktuell seine Musik rausbringt. Hauptsächlich lag es an der mangelnden Zeit. Im August 2012 brachte ich meinen ersten Track "Oscillate" heraus. Mein Manager und ich erwarteten jedoch nicht, dass es danach so schnell losgehen würde. Zwei Wochen später veröffentlichten wir dann gleich "Warnings", weil es so gut lief. Das waren die zwei einzigen Songs, die ich hatte. Und wir dachten: Shit, wir sind ja schon mittendrin. Fotos gab es auch noch keine - aber nicht weil wir das nicht wollten. Nein, wir hatten einfach keine Zeit. Dieser mysteriöse Aspekt kam also eher zufällig. Als ich zum ersten Mal Shows spielte, war dann sowieso klar, dass ich mich nicht verstecken kann. Ich mag die Mischung aus beidem.

Es hat sich dann relativ schnell ein internationaler Hype entwickelt. Hat dich das jemals gestresst?

Nein. Denn ich bin mir dessen nicht wirklich bewusst.

Vielleicht ist das die perfekte Lösung.

Ja, das glaube ich auch. Das Ding ist: Ich bin mit den Gedanken immer schon beim nächsten Projekt. Dadurch bemerke ich oft nicht, dass ich eigentlich schon weit gekommen bin. Wahrscheinlich war der Melt!-Auftritt der erste Moment seit langem, in dem ich dachte: Warte mal. Sie lassen mich vor Moderat und Portishead auf der Main Stage spielen. Warum tun sie das? Dann siehst du all die Leute und realisierst: Fuck. Shit. Es scheint zu funktionieren.

"Ich singe meinem Telefon etwas vor"

Lass uns über dein Debütalbum sprechen. Wo habt ihr denn das Cover fotografiert? Ist das Island?

Genau, Island.

Ich hatte mich das nie gefragt, war aber letztens dort. Als ich dann das Cover noch mal sah, war plötzlich alles klar.

Stimmt, wenn du es einmal kennst, ist es offensichtlich. Aber ich war selber noch nicht dort.

Das bist also nicht du auf dem Cover?

Nee, das bin ich nicht. Ich war lange Zeit auf Flickr unterwegs und habe Bilder von verschiedenen Fotografen gesammelt. Von meinen Lieblingsfotografen kam ich auf deren Lieblingsfotografen, und so weiter. Eines Tages sah ich dann dieses Foto. Ich glaube, das war sogar im Büro von 4AD [SOHNs Label]. Das Album war fast fertig, aber um ein Projekt endgültig abzuschließen, brauche ich immer etwas Visuelles.

Ich habe mich durch die Fotos durchgeklickt und plötzlich wusste ich: Das ist es! Dann hatte ich direkt panische Angst: Was ist, wenn sie nicht wollen, dass ich es verwende? Also musste ich mit der Fotografin in Kontakt treten. Sie ist aus Spanien und heißt Carla Fernandez Andrade. Das Foto passt einfach perfekt. Ich muss definitiv auch mal nach Island. Das ist eine lebenslange Ambition.

Wo beginnst du eigentlich mit dem Songwriting? Am Klavier?

Am Telefon. Ich singe meinem Telefon etwas vor. Folgendermaßen … (kramt sein iPhone raus) Das könnte jetzt das 'Exclusive of the Day' werden. (SOHN spielt mir ein kurzes, aber eindrucksvolles A-Capella in Fantasiesprache vor.) Es sind nie richtige Lyrics. Und es ist auch nie ein richtiges Instrument dabei.

Wie geht es dann weiter?

Wenn ich mich an die aufgenommene Skizze später erinnere, ist sie gut genug. Dann höre ich sie mir erneut an. Anschließend habe ich so zwei bis drei Instrumente, mit denen ich immer anfange: einen Juno-Synthesizer, eine Drum-Machine. Wenn die Idee stark genug ist, spiele ich ein bisschen mit den Drums und dann geht alles wie von selbst. Die meisten Songs entstehen eigentlich an einem Tag. Es passiert einfach so. Und anschließend verbringt man Monate damit, sie zu mixen.

Wo nimmst du die Drum-Sounds her?

Die stammen entweder von meiner analogen Drum-Machine - oder man hört mich, wie ich auf Dinge schlage. In "The Wheel" sind es zum Beispiel Stifte auf einem Tisch. Die tune ich dann und spiele mit ihnen herum.

Mit Ableton?

Mit Logic. Logic 9! Nicht Logic X.

... das ja angeblich weniger gut ankam.

Aber ich habe mir gerade ein neues MacBook geholt und Logic X installiert. Ich will den Schritt jetzt machen, denn all die anderen Studios der Welt werden ihn auch bald machen.

Wie gehst du an die Lyrics ran? Verarbeitest du deine Biografie?

Ich weiß nicht, oft sind sie sehr unterbewusst. Ich muss sie selber nicht unbedingt verstehen, bevor sie fertig sind. Aber ich kenne einige Künstler, die etwas schreiben - und ein halbes Jahr später passieren die Dinge wirklich. So ist es bei mir auch ein wenig. Du schreibst auf, was dich beschäftigt, durchlebst die Dinge aber möglicherweise später. Ich habe während der Entstehung von "Tremors" zum Beispiel auch keine Trennung durchlebt - sondern in der Tat gerade eben. (lacht)

"Die meisten Gesangslehrer sind Bauernfänger"

Ich habe dich im April in Köln gesehen.

Oh, das war cool, das war der Tourstart.

Du warst vermutlich einer der besten Live-Sänger, die ich bisher gesehen habe. Manchmal habe ich mich sogar gefragt, ob da ein Pitch-Corrector im Spiel ist.

Nein, da ist nichts. Cool, danke.

Hast du mal Gesangsunterricht genommen?

Ja, ich glaube, es waren zwei Stunden. Da war ich zwölf. Aber ehrlich gesagt hat das nichts gebracht. Gesangslehrer sind oftmals nur Bauernfänger. Alle erzählen dir, was du tun sollst - aber ohne zu erklären wie. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Eine Zeitlang habe ich sogar mal daran gedacht, selbst zu unterrichten. Ich habe mal wenig Gitarre unterrichtet und hatte eine Gesangslehrerin als Kollegin. Sie hat mir dann eine Unterrichtsstunde darüber gegeben, wie man Gesang unterrichtet. Und nichts davon basierte auf irgendwelchem Wissen. Es basierte alles darauf: Wie bringst du eine Stunde rum, ohne dass jemand merkt, dass du keine Ahnung hast, worüber du redest? Es ist furchtbar. Sie sagen: Sing aus deinem Bauch heraus. Aber was heißt das? Sie erklären es nicht.

Du bist in die USA gereist, um mit Banks ihren Song "Waiting Game" zu produzieren. Wie seid ihr das angegangen? Hatte sie bereits eine Melodie oder gar Harmonien?

Nein, eigentlich war es genau wie immer. Wir haben uns zusammengesetzt und uns für eine gute Stunde unterhalten. Da konnte ich dann mein Wissen aus dem Gesangsunterricht anwenden: einfach eine Stunde nichts tun. (lacht) Dann gingen wir ins Studio und ich habe mich ans Klavier gesetzt und die Harmonien eingespielt, mit denen der Song jetzt startet. Dann hat sie einen Vocal-Loop eingesungen. Daraus haben wir dann den restlichen Track konstruiert.

Verbringst du viel Zeit in den USA?

Aktuell schon, ja.

Spielt ihr dort auch schon Shows?

Ja, nach dem Konzert in Köln hatten wir eine einmonatige Tour durch Nordamerika. Anschließend durch Asien und Australien. Großartig. Aktuell spielen wir keine richtige Tour, nur vier Shows oder so. Aber von September bis Mitte Oktober sind wir wieder unterwegs.

Wie viel Zeit bringst du derzeit noch in Wien?

Ich glaube, am Ende des Jahres werden es insgesamt sechs Wochen gewesen sein. Es ist wirklich verrückt.

Und wie sieht die Zukunft aus? Wie lange werden wir auf das neue SOHN-Album warten?

Keine Ahnung, ich habe seit der letzten Platte nicht einen einzigen Song geschrieben. Ich arbeite stattdessen gerade viel für andere Künstler. Ich habe gestern aber noch einen sehr guten Track gefunden, der nicht auf der Platte gelandet ist. Eventuell bringe ich den in den nächsten Wochen heraus. Wahrscheinlich gehe ich dann nach der Tour für ein paar Monate nach L.A. und versuche, das neue Album dort aufzunehmen.

"Tremors" entstand ja in Wien, oder?

Genau, hauptsächlich. Und so klingt es auch: kalt und düster.

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