laut.de-Biographie
Sohn
In Zeiten der Remystifizierung von Popmusik stellt der Bandname heute die vorderste Hürde auf. Antithetisch zur Informationsflut, die sich bei der Eingabe sonstiger Künstlerpseudonyme in die Suchmaschine ergießt, nennt sich der moderne Act dann !!!, ? und Stars. Oder eben SOHN.
So ist es auch dem verschlüsselten Namen zu verdanken, dass selbst ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung der Debüt-EP "The Wheel" (Aesop, November 2012) so gut wie gar nichts über SOHN bekannt ist. Der Südlondoner, der später in Wien lebt, sich den deutschen Namen gibt, den aber auch noch durch Leerzeichen chiffriert, scheint reichlich exzentrisch. Könnte man bei all der Falltürstrickerei jedenfalls meinen.
Ob dem tatsächlich so ist, wissen 2013 nur wenige Eingeweihte. Denn außer der Tatsache, dass der Wahlwiener plötzlich auftaucht und ebenso plötzlich Fanmassen akkumuliert, dringt fast nichts nach außen. Erst später wird offenbar, wer hinter dem Projekt steht: ein gewisser Toph Taylor.
Und der ist beileibe kein Neuling im Musikgeschäft. Schon in den mittleren 2000ern, da ist er gerade selbst Mitte zwanzig, tritt Taylor als Trouble Over Tokyo in Erscheinung. Sein erstes Album unter dem Pseudonym erscheint 2006 und heißt "1000". Ein zweites folgt zwei Jahre später, nachdem er von England nach Österreich übergesiedelt ist.
Von diesem und womöglich anderen Unternehmen will der Brite heute aber nicht mehr sprechen. Auch wenn er mit Trouble Over Tokyo durchaus ebenfalls als falsettiger R&B-Sänger im Indie-Electronica-Kleid auftritt - man denke Thom Yorke trifft Justin Timberlake -, soll das SOHN-Werk für sich sprechen.
Wie bei grob Artverwandten wie James Blake oder Jamie Woon zelebriert Toph Taylor ungebrochene, isolationistische Atmosphäre. Mit solch menschheitsgeschichtsalten Qualitäten erobert der Engländer beim Booker-Festival Eurosonic Anfang 2013 erst die Fachpresse, kurz darauf auch den Rest der Musikwelt.
Inklusive Lana Del Rey, die ihren Song "Ride" remixen lässt. All diese Vorschlusslorbeeren ernten Taylor und das Traditionslabel 4AD gemeinsam, als im Frühjahr 2014 das durchweg großartige SOHN-Debüt "Tremors" erscheint.
Packender, gefühlvoller Gesang umfließt darin organische Drum Machines und minimalistische Synthielinien, während der Multiinstrumentalist mit viel Fingerspitze die Beats und Bässe reindreht und den Song aus der Kammer auf die Tanzfläche hebt. Spuren von Intelligent Dance Music durchkreuzen den Glitch-Soul und -R&B ebenso wie das UK Bass-Erbe aus der alten Heimat.
Bei allem Untergrundappeal wohnt in den Stücken ein Riesengespür für Eingängigkeit. "Bloodflows" und "The Wheel" sind durch und durch Popsongs, die aber nie den einfachsten Weg ins Ohr suchen. Die oft chopped and screwed SOHN-Stimme lässt sie sanft durch geschlossene Augenlider gleiten.
Bevor sein zweites Album erscheint, verschwindet der Musiker von der Bildfläche. Hier und da dringen Studio-News um Banks oder Rihanna ans Licht, doch ein neuer SOHN-Song erscheint erst im Spätsommer 2016. Die Rückkehr gleicht jedoch einem Paukenschlag: Hollywood-Star Milla Jovovich ("Das fünfte Element") visualisiert den zurückgenommenen R'n'B-Synth-Track "Signal".
Im Januar 2017 erscheint sein Nachfolger "Rennen", das daher rührt, dass er die vergangenen zwei Jahre stets für andere Künstler gearbeitet hatte, "running nonstop that whole time". Für das Songwriting zog er sich schließlich für einen Monat mitsamt Equipment in eine abgelegene Gegend Nord-Kaliforniens zurück.
Im Juni 2020 erscheint das Live-Album "Live with the Metropole Orkest", das 2019 in Amsterdam mit dem 54-köpfigen niederländischen Jazz- und Poporchestra Metropole Orkest und dem Dirigenten Hans Ek aufgenommen wurde. Im Jahr 2022 folgt sein dritter Streich "Trust", bei dem er sich bewusst dafür entscheidet, eher Richtung Indie-Folk zu gehen, mehr Balladen einzustreuen und eine sehr sensible Seite zu zeigen.
Sohn gehört zu der Sorte Musiker, die extrem modernen Indietronica zelebrieren, zu der seine sanfte Stimme perfekt passt. Er ist experimentierfreudig, scheut sich nicht vor Überraschungen und zeigt eindrucksvoll, dass Anspruch und poppige Hooks sehr wohl Hand in Hand gehen können.