laut.de-Kritik
Beethovens Fünfte? Pah! Spidergawds Fünfte!
Review von Ingo ScheelAlle Spotlights auf die Kanne: Ein paar Takte lang könnte man zu Beginn von "V" tatsächlich glauben, es mit einer Neuauflage von The Damneds "Phantasmagoria"-Opener "Street Of Dreams" zu tun zu haben. Dieses isolierte Warmspielen des Saxophons, verjazzt heranwehend, mit leichtem Hall, als würde Rolf Martin Snustad mit seinem Instrument an der Straßenecke unter der Laterne stehen. Dann aber wickelt sich Kenneth Kapstad das Samurai-Stirnband um den Kopf, rührt die Voodoo-Toms, Per Borten streut ein paar Gitarren-Akkorde drüber wie einst Bobby Flitter aufs Brautpaar - und schon ist man unverkennbar mitten drin im fünften Oeuvre von Spidergawd.
Dass die Norweger sich grundsätzlich anschicken, den geneigten Hörer im Sturm zu nehmen, ist nichts Neues. Da trifft es sich gut, dass "All And Everything" nicht nur programmatisch betitelt ist, sondern genau das bietet: Alles. Hier. Jetzt. Und noch mehr. Hatten sich Spidergawd auf den ersten zwei, drei Alben noch im Kreuzpunkt Stoner, Alternative, Punk-Versatz und Retrorock warmgespielt, bestätigt das Quartett diesmal den eingeschlagenen Weg des Vorgängers "IV". Das räudige Drängen der New Wave of British Heavy Metal, dazu das nie so wirklich böse Vocals-Geröhre, wie es auch ein Herr Grohl in Perfektion beherrscht, getragen von Bortens Gitarrenschichten, mal pittoresk perlend, dann dickhosig dezibelstark, chronisch im Kreuzpunkt von Druck und Emotion.
"Ritual Supernatural" erweist sich an der zweiten Stelle des Album als so gemeingefährlich süchtigmachend, dass die Replays dieser Hymne Tage in Anspruch nehmen, bis man sich dem Rest der Platte widmet. Das Intro zitiert (gewohnt authentisch) Thin Lizzy, dann folgen diese gegabelten Riff-Kaskaden, klanggewordene Grüße an Hellacopters, Kvelertak, TSOOL et al, also jene Bands im hohen Norden, die diese unwiderstehlichen Läufe zur Perfektion getrieben haben. Luftgitarren-Stoff, zu dem man sich in Hulk-Manier das Shirt aufreißen möchte, um sich danach Herz, Anker und Kreuz mit Schattenwurf quer über die Brust tätowieren zu lassen. "Come on", screamt Borten und fragt: "Tell Me Where Do We Go?" Alter, egal, möchte ich ihm antworten, solange die Batterien im Ghettoblaster noch Saft haben, das Bier kalt ist, die Straßen frei sind. Abfahrt! Come oooooooon! Und wie dann kurz vor Ende dieses Solos from outer Space alles kurz stoppt, um vorgezogen wieder in den Song zu kicken, gute Güte, es geht nicht besser.
"Twentyfourseven" klingt dann fast, aber nur fast, nach dem zähnezusammenbeißenden Dampfrock der frühen Accept, mit angespannten Downstrokes, abgeschmeckt mit einer Prise Motörhead zu "Beer Drinkers"-Zeiten. "Green Eyes" bestätigt, was sich der geneigte Hardrocker schon immer gedacht hat: Wenn man Songs von Boston und Iron Maiden übereinanderlegt, dann klingt das ziemlich, ich muss das so plakativ sagen: ziemlich geil! Erst die Akustikklampfe, dann die dicken Gitzen-Akzente, gefolgt vom galoppierenden Drumbeat, alles irgendwie bekannt und gelernt, von Spidergawds ungebrochenem Furor jedoch zu neuen, ungeahnten Höhen geprügelt.
"Knights Of GCR" ist Black Sabbath pur, im ersten Viertel dräuend und zäh, dann in die Spur gezogen mit erhöhter Schlagzahl, getoppt von einem dieser Trademark-Refrains, in dem sich großes Maul und bebende Unterlippe auf Zunge küssen, bis von oben wieder eines dieser typischen Gitarren-Soli herabregnet, "Avatar" ist klanggewordene Schlaghose mit eingenähtem Cord-Keil, "Do I Need A Doctor" zum Abschluss hochoktaniger Maidenismus mit Faust-in-die-Luft-Chorus, Plastikbürste in der Brusttasche der Jeansjacke und nihilistisch-durstmachenden Morgen-mach-ich-blau-Kick. Jetzt muss man nur noch bis zur Tour im März durchhalten. Beethovens Fünfte? Pah! Spidergawds Fünfte!
5 Kommentare mit 3 Antworten
Erstes Jahreshighlight
Zweites, nach Ouzo Bazooka
Ouzo? Zu hippiesk. Die V ist aber definitiv unter den Platten des Jahres.
Vielleicht bin ich da der Einzige, aber mir kommt die Produktion seltsam flach vor. Als fehlt da der entscheidende Kick in den Tiefmitten und Tiefen, der die Gitarren, den Bass und das Schlagzeug so richtig reindrücken lassen könnte. Die sanfteren Stellen sind ja schön, aber es fetzt einfach nicht, wenn es fetzen sollte.
Dachte ich am Anfang auch und war sogar etwas enttäuscht, aber die Produktion macht Sinn. Und es ist ein Grower vor dem Herrn. Es geht nicht um das eine fette Riff, oder das oberfette Ludwig Schlagzeug sondern um den Flow des Songs. Höre sie gerade zum 10ten mal. Bin sehr verliebt mittlerweile.
Jo, find sie mittlerweile auch gut. Es könnte zwischendurch wirklich mal was auf die Eier geben, aber insgesamt ist diese 80er-orientierte Produktion doch ganz sinnvoll. Zumal hier auch keine Superhits und Vollkracher drauf sind, sondern eher die ganze Platte im Fokus steht.
Finde die Produktion auch eher gelungen. Sehr songdienlich
Wer immer behauptet, der Rock ist im Arsch wird hier eines besseren belehrt. Geiler Scheiss!