1. November 2005
"Entweder liebst du uns, oder du hasst uns"
Interview geführt von Vicky ButscherDer Stereophonics-Sänger Kelly Jones redet über Eigen- und Selbständigkeit und darüber, wie es ein Uraltsong dank der Strokes aufs aktuelle Album geschafft hat.Dass die Stereophonics nicht gerne Interviews geben, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Ob sie dann bei einem Gespräch übers Telefon etwa patzig werden? Nein: Während unseres Interviews saß Sänger Kelly Jones in Zürich und schien sich ziemlich wohl zu fühlen. Etwas kurz angebunden war er vielleicht, von Unfreundlichkeit jedoch keine Spur.
Ihr wart gerade mit den Dead 60s unterwegs, einer jungen Band, die den Retro etwas anders interpretiert als die meisten Musiker in Großbritannien. Inspirieren euch die Bands, die ihr im Vorprogramm eurer Shows spielen lasst?
Unsere Inspiration ist es, gute Musik zu machen. Eine Suche nach neuer Energie und neuem Leben, das in die Musikindustrie eintritt, ist immer gut, das inspiriert jeden indirekt. Ich kaufe gerne neue Platten von neuen Bands. Die Dead 60s waren eine der Bands, denen wir die Möglichkeit geben wollten, bei einigen unserer Shows dabei zu sein. Und sie waren gut.
Als du selber jünger warst, was brachte dich dazu, ein Instrument lernen zu wollen, was weckte deine Faszination für Musik?
Mein Vater war Sänger. Vor allem war es aber die Langeweile. Wir lebten in einer kleinen Stadt, also spielte man Fußball und in einer Band. Nichts bedeutenderes. Ich liebte es, die Platten meines älteren Bruders anzuhören, bekam mit zehn oder elf eine Gitarre gekauft und war mit zwölf in meiner ersten Band. Ich machte das einfach, weil es mir Spaß machte.
Wenn du heute Songs schreibst - machst du das immer noch, um Spaß daran zu haben, oder möchtest du inzwischen eher eine bestimmte Message oder ein Gefühl rüber bringen?
Meine Songs drückten immer aus, wie ich mich fühle. Ich schrieb sie nie, um einen Plattenvertrag zu bekommen oder eine Number One-Single zu haben. Viel mehr forderte ich mich beim Songschreiben selbst heraus, versuchte auszudrücken, wie ich mich fühle. Ich versuche immer ein bisschen weiter zu gehen, um Dinge zu haben, die mich immer weiter begeistern und antreiben.
Du möchtest deinem Publikum also nicht direkt etwas erzählen, es geht mehr um Gefühle ...
Ich möchte das, was ich erlebe, mit meinem Publikum teilen, das ist der Schlüssel zu guten Geschichten und großartigen Songs. Du musst so schreiben, dass es nicht so klingt, als würde es nur um dich gehen. Du musst die Stücke so aufbauen, dass sie von jedem aus seine Art und Weise interpretiert werden können. Dabei können total unterschiedliche Dinge herauskommen. Du musst die Songs vielschichtig halten, das ist die Kunst daran. Und trotzdem schreibe ich die Songs aus meiner Sicht und mit meinen Erfahrungen, über das was mir und den Leuten um mich herum passiert.
Von Blondie zu den Strokes
Als ich euer neues Album hörte, fielen mir viele Blues- und Soul-Einflüsse auf. Tauchen die automatisch in den Songs von Bands auf, wenn die Mitglieder älter werden?Auf dem neuen Album? Ich weiß es nicht, ich denke, man kann eine ganze Menge Einflüsse auf dem Album finden. Es gibt auch viele elektronische Geräusche auf dem Album, das Album davor war meiner Meinung nach wesentlich Blues- und Soul-orientierter. Ich denke, dieses Album ist wesentlich direkter. Aber ich schnappe die Einflüsse überall auf. Ob das nun ältere oder neuere Bands sind ... Wenn ich die jetzt alle nennen würde, würde das Interview ewig dauern. Es ist einfach ein Gefühl, das man beim Produzieren der Platte bekommt, das dich an einen Ort bringt, an dem du zuvor noch nicht warst.
Mit diesen elektronischen Elementen, die nun in euren Songs zu finden sind - hat sich der Songwriting- oder Aufnahmeprozess geändert?
Nein, der Prozess ist bei beiden der selbe geblieben. Es ist nur das, was du innerhalb dieses Prozesses machst, das sich ändert. Ich bin immer noch ins Studio gegangen, hab da genau so viel und mit den selben Produzenten wie beim letzten Album gearbeitet. Dabei habe ich ein paar neue Sachen ausprobiert. Aber ich habe mich in keinster Weise dazu gezwungen gefühlt, etwas zu ändern. Dieser Prozess fühlte sich sehr normal an. Du machst nicht noch einmal, was du das Mal davor getan hast, weil du dich nicht wiederholen möchtest. Aber du weißt nicht von Anfang an, wo das alles mal enden wird. Du stolperst deinen Weg entlang und es passieren glückliche Zufälle und du findest raus, welche der Spielereien du magst.
Ich habe gelesen, dass du "Deadhead" schon mit 19 geschrieben hast. Warum passt der Song gerade auf euer neues Album, warum habt ihr ihn nicht schon auf einem früheren Album gehabt?
Der Song ist von diesem ganzen New York-Ding, Blondie und so beeinflusst. Es hat nicht gepasst, als wir mit unserer ersten Platte rauskamen. Aber heute, mit dieser Szene um die Strokes, scheint dieser Song wesentlich passender, als er damals war.
Dieses Album war eure vierte Nummer eins in England, es erreichte in einer Woche den Platin-Status, wie geht ihr mit diesen ganzen Superlativen um?
Ich denke eigentlich nicht in Dimensionen wie den Charts oder Verkäufen über mein Album. Natürlich bin ich sehr glücklich darüber, dass es erfolgreich ist, aber ich kümmere mich nicht all zusehr um so etwas. Wir waren sehr selten in England, wenn eins unserer Alben auf eins ging, da wir so viel in der Welt umher touren. Du nimmst die Platte auf, entwickelst eine Leidenschaft dafür und hoffst, dass es sich gut macht. Dann gehst du auf Tour uns spielst es den Leuten vor. So haben wir das immer gemacht.
Also ist es wichtiger für euch, die direkten Reaktionen auf eure Musik bei einem Konzert zu sehen?
Ja, also ich bin wirklich froh, dass unsere Platten sich gut verkaufen. Ich bin dem gegenüber natürlich nicht gleichgültig, denn wenn die Plattenverkäufe nicht gut laufen, bekommst du nicht die Chance, weitere zu machen. Aber das ist es nicht, was uns dazu bringt, Platten zu machen. Das wird dir alles erst bewusst, wenn die Platte rauskommt. Du denkst da nicht drüber nach, während du die Platte aufnimmst, darum sorgst du dich erst, wenn du die Platte in die Läden stellst.
Die eigene Nische gefunden
Was macht die Musik der Stereophonics deiner Meinung nach einzigartig?Es klingt nach den Stereophonics und wie niemand sonst. Wir haben uns unsere eigene Nische erarbeitet. Das ist eigentlich alles, was ich dazu sagen kann. Wir sind, was wir sind. Entweder liebst du uns, oder du hasst uns. Wir haben unseren eigenen Sound, unsere eigene Stimme und unsere eigenen Songs. Das, was uns immer dazu gebracht hat, weiter zu machen ist die Kraft unserer Songs. Das ist bei jedem Künstler so: Je besser deine Songs sind, desto länger möchtest und darfst du spielen.
Ihr entscheidet über euer Artwork, über eure Videos u.s.w. Denkst du, dass ihr eines Tages euer eigenes Artwork entwerfen werdet oder eure eigenen Videos drehen?
Wir hatten immer einen großen Einfluss auf das Album-Artwork, das T-Shirt- und Website-Design und solche Sachen. Wir haben unsere eigenen Video-Treatments geschrieben und die Regisseure seit 1998 selber ausgesucht. Aber das Wichtigste ist die Musik, die wir gemacht haben. Es geht nicht darum, auf welchem Cover du schon warst oder so. Es geht allein darum, was du als Künstler hinterlässt. Deshalb sollte man auch die Möglichkeiten, die Artwork und die Videos mit sich bringen, nicht ignorieren. Das ist die Identität der Band, wie sie die Leute sehen. Wir haben großartige, merkwürdige und armselige gemacht, aber man lernt ja dabei und es macht Spaß.
Du warst der erste in der Band, der Vater wurde, oder? Hat das in der Band oder in der Art zu Arbeiten etwas geändert?
Es hat mich als Person geändert. Es hat mich viel stärker gemacht. Ich sehe manche Dinge nun aus einer anderen Perspektive, es ist ein schöner Ausgleich in meinem Leben, den ich genieße. Aber sonst hat es nicht viel geändert. Wir haben in diesem Jahr mehr Shows als je zuvor gespielt. Es bremst die Band nicht. Ich vernachlässige weder das eine, noch das andere.
Arbeitet ihr schon an einem neuen Album?
Ich habe schon an ein paar Songs gearbeitet, aber ich habe noch nicht entschieden, wo die mal hingehen sollen. Sie sind noch sehr schemenhaft, noch nicht ausgereifte Ideen. Wo die sich mal hin entwickeln werden, sehen wir später. Wahrscheinlich nächstes Jahr, wenn die Tour vorbei ist.
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