laut.de-Biographie
Sweet Trip
Man stelle sich nur einmal vor, es seien die Neunziger. Man studiert in San Francisco und hat die richtigen Freundinnen und Freunde, die Instrumente spielen können und dazu noch wissen, was musikalisch gerade so auf der Welt passiert. Könnte man dann anders, als all die Wochenende in der Garage abzuhängen, Musik zu hören und irgendwann selbst eine Band zu starten? Sweet Trip zumindest geht es so, als Viet Le, Roberto Burgos und Valerie Cooper sich 1993 als Ophelia Satellite zusammenschließen. Noch besteht aus Gitarre, Bass und Drums, was bald zu einer der quintessentiellen Hipster-Bands der Musikgeschichte wachsen soll.
Das Ding mit der Gruppe, die sich bald in Sweet Trip umbenennen wird, ist: Während andere sich für Grunge, Hair Metal oder Indie begeistern und sich schnell auf einen Sound festlegen, interessiert sich das Trio wirklich für alles, was gerade im globalen Untergrund passiert. Für Shoegaze von My Bloody Valentine über Slowdive bis zu ein paar Sonic Youth-Alben bis zur britischen Raver-Szene, die Drum and Bass und Jungle Music hervorbringt. Während der Ophelia-Satellit nämlich mangels Bass noch auf ganze Songs wartet, spielt Burgos zuhause Demos mit elektronischen Instrumenten ein. Auf die schreibt er: The Sweet Trip.
Eine neue Band-Identität ist geboren – und plötzlich merken die Kids, dass da so viel mehr möglich ist, als das Band-Framework es ihnen nahelegen würde. Das Label Darla interessiert sich für die Sweet Trip-Demos und nimmt die Gruppe unter Vertrag, zusammen entwickeln sie aus den Skizzen die erste EP "Halica" und den Nachfolger "Alura", mit denen sie SXSW spielen und in die Label-Compilation "Little Daria Has A Treat For You" aufgenommen werden. Keine schlechte Presse für eine lokale Band.
Bis zum Debütalbum dauert es aber noch bis 2003, wo sie das vorwärts denkende und für die Zeit bis heute radikale "Velocity : Design : Comfort" veröffentlichen, ein musikalisches Mash-Up-Statement, das sich die Freiheit nimmt, sich überhaupt nicht zwischen Shoegaze, Indie und Electronica festzulegen. Es ist ein fantastisches Album, das hier und da Nischeninteresse weckt, den Mainstream und selbst die größere Indie-Bubble gänzlich kalt lässt. Im Line-Up hat es bis zu diesem Punkt auch schon ein paar Mal gerumpelt, so dass an diesem Punkt mache Mitgliederinnen und Mitglieder der Band aus- und zusteigen, wie es gerade kommt.
Kein Wunder also, dass das zweite Album dann noch länger auf sich warten lässt als ihr Debüt: "You Will Never Know Why" kommt mit minimalem Artwork und einem Sound, der sich viel konventioneller in den Indierock einordnen lässt. Auch wenn die Band heutzutage fast ein wenig apologetisch über das Projekt redet und man mutmaßen kann, dass sie im Nachhinein doch lieber auf die Radikalität fixiert haben, die sie zuerst auf die Karte gesetzt hat, hat auch dieses Album als süßes, zugängliches Dream Pop-Projekt ein paar meisterhafte Songs zu bieten, die überhaupt nicht schlecht gealtert sind.
Aber trotzdem bleibt die Sweet Trip-Geschichte überaus wechselhaft. Die Band scheint sich aufzulösen, allerdings ist auch unklar, wie man mit den wenig kommunikativen Musikern und Musikerinnen groß hätte in Verbindung treten sollen, wenn sie mal wieder mehrere Jahre nichts von sich hören lassen. 2013 erscheint auf Soundcloud die Single "Things To Ponder While Falling", die Burgos als den letzten je erscheinenden Sweet Trip-Song ankündigt.
Ganz so soll es doch nicht kommen, aber fürs erste scheint es doch so, als wäre hier Schicht im Schacht: Fast ein ganzes Jahrzehnt keine Meldung von Sweet Trip, die sich als kleines Phänomen, maximal als Fußnote in die Musikgeschichte abzustempeln scheinen. Aber "Velocity : Design : Comfort" beginnt gerade erst, in Online-Kreisen ein beachtliches Eigenleben zu entwickeln. Schnell gilt es als verlorenes Juwel, es verbreitet sich in der Post-Blog-Ära, Rateyourmusic zum Beispiel bezeichnet es als das beste Album des Jahres 2003. Und so viel Aufmerksamkeit geht auch an den Machern nicht vorbei: 2018 gibt es ein paar Interviews mit der Band und plötzlich heißt es, die Gruppe sei zusammen zurück im Studio.
"A Tiny House, In Secret Speeches, Polar Equals" heißt die Platte, die schließlich 2021 auf den Markt kommt und später von der Compilation "Seen / Unseen" begleitet wird. Leider wird die Freude über die Rückkehr schnell von anderen Neuigkeiten überschattet: Darla Records teilt ein Statement, in dem Valerie Cooper ihr Abschließen mit der Band verkündet, weil Burges ihr "schmerzhafte und traumatisierende" Dinge angetan habe. Die alten Platten werden noch einmal aufgelegt, die Archive werden gelüftet, aber damit scheint es es diesmal wirklich mit Sweet Trip gewesen sein. Ihr Erbe haben sie mit Sicherheit hinterlassen, und gerade einer so talentierten Musikerin wie Cooper ist nur zu wünschen, dass sie das Gute in ihrer Arbeit auch weiterhin schätzen kann und abseits davon Heilung und Frieden findet.
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