4. August 2005

Nie wieder Katerstimmung!

Interview geführt von

The Bravery-Bassist Dirt schrieb im britischen Musik-Klatschblatt NME einen Artikel über "debauchery" - sein ausschweifendes Sex, Drugs and Rock'n'Roll-Leben in einer Band. So wundert es mich dann auch nicht, dass er im Interview damit protzt, keinen Kater mehr zu bekommen. "Ich trinke einfach jeden Tag, da bekommt man keinen Kater mehr, dein Körper wird immun." Damit wäre der Ton ja schon mal vorgegeben.

Böse Zungen beschreiben The Bravery als Projekt, für das der Kunststudent Sam Endicott bewusst Statisten an den Instrumenten aussuchte, die nichts zu sagen hätten. So könne er seinem Konzept nachgehen, habe Jungs an seiner Seite, die mit der Zuverlässigkeit einer Schweizer Uhr nicht widersprächen ... und die er mit dem überschwänglichen Partyleben auf Tour ruhig stellen könne. Vielleicht haben diese Leute gar nicht so unrecht. Vielleicht.

Gitarrist Michael Zakarin zum Beispiel wirkt während eines Interviews so in sich gekehrt und gelangweilt, dass man erstens seine Antworten kaum versteht und zweitens ständig Angst haben muss, der Gute falle während einer Frage oder gar seiner eigenen Antwort in einen friedlichen Dornröschenschlaf. Ganz anders Bassist Dirt. Eyeliner: in auffälligen Farben großzügig auf die Lider gezogen (dazu später mehr) redet er aufgeweckt über das wahnsinnig spannende Leben inmitten einer einzigen, nicht enden wollenden Party.

Sams Masterplan würde sich wohl keiner der beiden bewusst in den Weg stellen. Es könnte höchstens passieren, dass er den einen schlafend auf dem Klo, den anderen besoffen im Apartment eines niedlichen, wahrscheinlich ziemlich jungen, weiblichen Fans verliert.

Von einem Masterplan der Band weiß Dirt im Interview vor dem ersten von zwei ausverkauften Konzerten im Berliner Magnet-Club nichts zu berichten. Dafür um so mehr von einem aufregenden, ausschweifenden Leben, das er im Moment in großen Zügen genießt.

"Könnte es sein, dass eure Band viel mehr ein Kunstprojekt sein soll?", frage ich Dirt. "Die Art, wie ihr euch stylt, eure Musik und der Background auf Art-Colleges haben mich auf diesen Gedanken gebracht", erkläre ich. "Außerdem schaut ihr immer so ernst auf Bildern, lacht nie. Basiert das alles auf einer Art Plan, Kunst mit der Musik und eurem Äußeren darzustellen?"

Die Frage scheint ihm eine Nummer zu hoch zu greifen, so flüchtet er ins Naheliegende und erklärt sich selbst. "Ich mag es einfach nicht, wie ich aussehe, wenn ich lächele." Ach, so einfach ist das? Und dann kommt doch noch mehr. Es geht um Langeweile, viel mehr gehen The Bravery gegen diese an: Bands, die einfach nur so aussähen wie dein Durchschnitts-Nachbar, könnten nie das gewisse Etwas haben, das eine Band zum Erfolg brauche.

"Außerdem hatten wir ja alle schon unseren eigenen Stil, als wir zusammen kamen. Wir haben das dann einfach alles zusammen geschmissen." Dirt zum Beispiel ist mit Rockabilly aufgewachsen, trug schon in der Schule eine Tolle "aber die ist so schwer zu machen, und ich wurde ein wenig faul. Erst als wir mit der Band auftraten, begann ich die Tolle wieder zu tragen", erklärt er - und klingt dabei richtig erleichtert.

Bei der ersten Show, die sie spielten, dachte er sich außerdem "jetzt habe ich endlich eine Grund Make Up zu tragen" - und fand das äußerst großartig. Davor "im normalen Leben" hat er sich noch vor den ungläubigen Blicken der Leute versteckt, die ihn schräg anschauten, wenn er mit Make Up auf der Straße herumlief. Auf der Bühne ist das natürlich etwas ganz anderes.

Bevor er als professioneller Musiker durch die Welt tourte, arbeitete Dirt in einem 24-Stunden-Restaurant. "Ich war da so eine Art Bar Tender." Ob seinen Eltern nicht lieber gewesen sei, er wäre bei einem relativ bodenständigen Job geblieben, statt mit einer Band herum zu reisen? Seine Familie sei glücklich, dass er überhaupt was tue. "Meine Mutter macht sich ein wenig Sorgen um mich. Naja, wenn ich nicht so viel trinken würde, würde wohl auch das wegfallen."

Womit wir bei der Bandgeschichte sind - da muss noch mit einer kleinen, kunstvollen Lüge in der Plattenfirmen-Bio aufgeräumt werden: Es stimmt zwar, dass Dirt - bevor er zu The Bravery kam - noch nie einen Bass in der Hand hielt. Was sich in der Band-Biografie wie ein Märchen anhört, verschweigt allerdings die Tatsache, dass Dirt vor seiner Zeit bei The Bravery sehr wohl schon Gitarre spielte - "it was an easy switch", schmunzelt er.

Inzwischen hat er sich mit dem neuen Instrument identifiziert, er mag es nun sogar lieber, Bass zu spielen. Aus einem simplen Grund: "Es ist einfacher". Er war nicht so gut an der Gitarre, gibt er leise zu, nur um mit Nachdruck hinzuzufügen: "Ich denke, der Bass passt einfach besser zu mir." Darauf könnten wir doch anstoßen. Aber stopp: "Ich kann nicht vor einem Gig trinken. Da könnte ich keine einzige Note mehr spielen."

Allerdings reiche es, jede Nacht zu trinken. "Wenn du wirklich keinen Tag Pause machst, dann kommt auch der Kater nicht mehr. Wenn du aber trotzdem einen bekommst, empfehle ich einen Bloody Mary, das ist wahrscheinlich das beste Heilmittel."

Seit wann er schon so lebt, frage ich vorsichtig nach. "Das kommt immer, wenn wir auf Tour sind." In seiner freien Zeit in New York spüre er auch den Kater wieder, kommt er auf sein Lieblingsthema zurück. Betrunken, erzählt er, habe er sich auf der Co-Headlining-Tour mit Ash auch einmal auf der Bühne ausgezogen. Er habe am Tag davor, ebenfalls betrunkenen, eine Wette verloren. "Gott sei Dank habe ich bisher keine Fotos davon gesehen."

"Ist dir das nicht irgendwann zu viel, die ganze Zeit mit der Band im Bus, andauernd fertig und unausgeschlafen?", möchte ich wissen. "Ich denke schon manchmal, dass ich das Tourleben satt habe", überlegt Dirt, "Aber wenn ich dann mal einen Tag frei habe, fange ich schon an, mich zu langweilen. 'Man', denke ich dann, 'vielleicht bin ich ja doch gerne auf Tour'."

Immerhin streiten sich die Jungs von The Bravery nicht. Eigentlich. Es sei denn, sie sind verärgert und betrunken, was ja scheinbar nicht die Ausnahme darstellt. "Dann kann das schon mal passieren, dass ich John eine klatsche. Ohne guten Grund. Aber am nächsten Tag ist wieder alles gut." Zu einem richtigen Fight eskaliert es angeblich nicht - ob Mädchen schon Grund für solche Kabbeleien waren - dazu möchte Dirt dann doch lieber nichts sagen. Seine Ausrede: "I was too drunk, I don't remember", passt da bestens ins Klischee.

Was er am Bandleben - außer der never ending party - noch so möge, möchte ich wissen. "Wir mögen es, wenn die Leute bei unseren Shows tanzen - dann kommen mehr Mädels! Wenn Shows so langweilig sind, dass die Band nur auf ihre Schuhe guckt, wie soll denn da das Publikum Spaß haben?" Das Credo von The Bravery ist simpel: Sie möchte den Leuten genau das bieten, was sie bei den Shoegazers nicht finden - dass sie tanzen können und Spaß haben. "For Girls I'd like to say something sexual, aber ich tu es lieber nicht. Trinkt und tanzt zu unserer Musik und macht mal ne Pause von dem, was euch sonst so beschäftigt."

Ob Dirt das mit dem arty Masterplan einfach nicht verstanden hat? Oder ob das nur ein überhöhtes Hirngespinst einiger kreativer Journalisten ist? Sicher ist eins: Ohne die verschiedenen Bandmitglieder mit ihrem ganz eigenen Stil wäre Sam nichts. Es gäbe keinen Rahmen, keine Charaktere, keine Geschichten.

Nach ein paar Tönen auf der Bühne des Magnet-Clubs schüttet Dirt das erste Bier auf Ex. Prost!

Das Interview führten Dennis Kastrup und Vicky Butscher

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