laut.de-Kritik

Schon gewusst? Wir sind reich.

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"Everything Is Love": Die Carters wollen mit diesem Album demonstrieren, dass sie ihre Querelen hinter sich gebracht und das Vertrauen ineinander wiedergefunden haben. Schließlich haben Jay-Zs Fremdgänge und Betthupferl zu einer mittleren bis schweren Ehekrise mit Gattin Beyoncé geführt (die wiederum dafür verantwortlich war, dass die Carters die Hochzeit von Best Buddy Kanye West versäumten, weswegen Hova und Yeezy jetzt doch keine Freunde mehr sind). Bereits auf Beys letztem Soloalbum "Lemonade" wurde das Thema ausführlich analysiert und diskutiert, etwas spärlicher auf Jay-Zs "4:44". "Everything Is Love" klingt daher wie das finale Kapitel des Ehedramas.

Doch weit gefehlt: Statt Liebes- und Vertrauensbekundungen fixieren sich die beiden manisch auf ihren Reichtum und erwecken dabei den Eindruck, dass sie den "Erfolg" ihrer Beziehung nur in materiellem Erfolg messen können. Gefühle bleiben dabei völlig auf der Strecke. Dabei startet "Everything Is Love" wirklich vielversprechend. "Summer" klingt entspannt und soulig, legt den Fokus auf ein smoothes Bass-Spiel. Das Arrangement klingt zeitlos und das Zusammenspiel zwischen Beyoncé und Jigga wirkt sehr harmonisch.

Bereits hier schimmert allerdings durch, was bald in den absoluten Fokus rückt: Materialismus hat oberste Priorität. Hält die Sängerin sich noch an klassischere Formulierungen für Liebeslieder, vergleicht der Rapper seine Frau lieber mit Bier: "She tastes like Corona light, sweet / Even the lime gotta squeeze". Es vergeht keine Spielminute, in der die Carters nicht betonen, wie unglaublich viel Geld sie haben und wie luxuriös sie ihren Lifestyle fahren. "He got a bad bad bitch / we livin lavish, lavish / I got expensive fabrics / I got expensive habits", rappt Beyoncé auf "Apeshit", das sehr Trap-lastig durch die Boxen rollt. Jay-Z legt auf "Boss" nach, das zwar mit einem entspannt-treibenden Sound zwischen R'n'B, Soul und Brass begeistert, inhaltlich aber nur erzählt, dass die beiden die Größten sind: "Hundred Million Crib, Three Million Watch, all facts / No caps, false, nigga you not a boss you got a boss". Ah ja, Beyoncé hält nochmal fest, nur für alle Fälle: "My great-grandchildren already rich".

Aber keine Panik, sollte wer nach dem dritten Song immer noch nicht so ganz überrissen haben, WIE reich die Carters jetzt wirklich sind, kann es sich auf den verbleibenden sechs Titeln noch einmal ganz in Ruhe erklären lassen. Tatsächlich tanzt "713" da ein wenig aus der Reihe. Über einem Boombap-Beat erzählt Hova, wie er seine Angetraute kennen und lieben lernte. Über das erste Date witzelt er wehmütig: "I brought my dude to play it cool / my first foolish mistake".

Beyoncé hat in dieser Beziehung eindeutig die Hosen an. Zumindest, was die Präsenz auf dem Album angeht. In sechs von neun Tracks hat sie das erste Wort (und in der Regel auch das letzte) und wenn sie Jay-Z den Anfang überlässt, übernimmt sie dafür zwei Parts. In "Nice" gibt sie sogar noch einen an Kumpel Pharrell ab, dessen wenige Zeilen mehr Gehalt aufweisen, als die des Ehepaares zusammen.

Dass der Seitensprung doch noch nicht ganz so vergeben und vergessen ist, wie die beiden uns glauben lassen möchten, schimmert in "Lovehappy" durch. In dem erneut Boombap-lastigen Song hält Beyoncé ihrem Mann vor: "You fucked up the first stone, we had to get remarried", woraufhin dieser leicht genervt entgegnet: "Yo, chill!". Überhaupt tritt die Sängerin auf Albumlänge sehr kühl und distanziert auf, inszeniert sich mit einem übersteigerten Selbstbewusstsein, das gar keine lyrische Tiefe zulässt.

"Friends" verdeutlicht diesen Umstand sehr passend. Während Bey sich darauf beschränkt, mit Floskeln wie "My friends, real friends, better than your friends / That's how we keep poppin' out that Benz, yeah / No foes, real friends, we ain't even got to pretend, yeah" beschränkt, füllt Hova diese Freunde mit Namen und Geschichten. Und bringt spannende Vergleiche: "Tight circles, no squares, I'm geometrically opposed to you / Y'all like to try angles, y'all like to troll, do you?".

Mit "Everything Is Love" vergeben die Carters die Chance, einen wirklich zeitlosen Fußabdruck in der Musikgeschichte zu hinterlassen. "Wir haben alles", wollen Beyoncé und Jay-Z uns sagen, denn: "Wir haben Liebe." Doch statt sich auf Marvin Gaye'sche Weise an der musikalischen Aufarbeitung ihrer Ehe zu versuchen, prahlt das Paar lieber mit Besitztümern. Dass Geld allein nicht glücklich macht, stellen sie mit ihrem ersten gemeinsamen Album umso mehr unter Beweis.

Trackliste

  1. 1. Summer
  2. 2. Apeshit
  3. 3. Boss
  4. 4. Nice
  5. 5. 713
  6. 6. Friends
  7. 7. Heard About Us
  8. 8. Black Effect
  9. 9. Lovehappy

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9 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    bahh, nein. Nichts gegen Jigga und seinen Heldenstatus ( auch wenn ich seit gefühlten 15 Jahren in die neueren Werke wenig bis keine Ohren riskiert habe) aber ich brauche keine crinchy Reißbrettdramedy. Allein schon der plakative Titel und Interpretenname lässt mich diese "Carters" mit großflächig gezackten Lebkuchenherzen aus Damaszener Stahl bewerfen

    Eine einzige Heuchelei gepresst auf unschuldigen Rohlingen, die man besser als remastered Editionen eines R.O.D-Tapes verwendet hätte. Die beste Antwort auf so eine berechnende Pathosscheiße

    Was da auch immer drauf sein mag ist völlig uninteressant. Boombap? Bitte? Bei solchen Schmonzettpriestern, hör mir auf. Hat er sie betrogen, sie ihn und warum ist da Stroh? Wen juckts das denn schon in deren Micky-Maus-Blase wo sich jeder selbst beweihräuchert. Nein, lieber eine Operette von den Geissens als ein Album von den Carters und den "zeitlosen Fußabdruck" kann er gerne in den Allerwertesten haben. Und Sie auch, mit ganz viel "lyrischer" Tiefe

  • Vor 6 Jahren

    Ich kann nicht reinhören. Jay hab ich mal wirklich lieb gehabt. Von 1996 bis 2005. Aber Beyonce ist mir so abgehoben, oberflächlich und arrogant, dass ich aus Prinzip eine Hörprobe verweigern muss.

  • Vor 6 Jahren

    Hab ein paar mal versucht, das Ding durchzuhören, aber es nie bis zum Ende geschafft...ist mir irgendwie alles zu Beyoncé-lastig. Hovs Rapparts sind in Ordnung, aber halt alles nix Besonderes. Inhaltlich eine Mischung aus Geprolle und kitschigen Liebesbekenntnissen, wirkt es von der ganzen Aufmachung her wie ein Versuch, auf den derzeitigen Kollabo-Trend (Marke X x Marke Y) aufzuspringen. Dazu die Tatsache, dass es vorerst nur über Spotify Premium und Tidal zu streamen ist (erinnert etwas an Magna Carta... und Samsung damals). Dabei war ich mit "4:44" echt noch einverstanden (ist für mich eines der besseren Hip-Hop-Releases des vergangenen Jahres).