laut.de-Kritik

Das wahre Ende der dunklen Album-Trilogie.

Review von

Jetzt ist es soweit. Robert Smith trägt The Cure ganz offiziell zu Grabe. Er wollte die Band ursprünglich auflösen, sobald er 30 ist, stattdessen schenkte er der Welt Alben wie "Disintegration" und "Wish". Der Erfolg kam und ging, auch die guten Songs, Smith haderte, er wurde 40, haderte weiter und beschäftigte sich so ausgiebig mit CD-Deluxe-Editions seiner glorreichen Vergangenheit, bis ihm endgültig nichts Neues mehr einfiel.

Das war kurz tragisch, aber schnell egal, denn The Cure reihten ihre alterslosen Songs live weiterhin zu nicht altersgerechten Überlängensetlists aneinander. Niemand vermisste etwas, ihr Back Catalogue erreicht scheinbar mühelos Menschen, die bei der Veröffentlichung von "Friday I'm In Love" gerade mal geboren waren.

Trotzdem: Man stelle sich vor, "4:13 Dream" wäre das finale Album-Statement von The Cure gewesen. Das kann doch kein Romantiker, ergo Cure-Fan, wollen. Die ganze Vision hinter "4:13 Dream" blieb schleierhaft. Das Album klingt, als hätte man einer KI aufgetragen, generische Songs im Stile von "Kiss Me Kiss Me Kiss Me" und "Wish" zu schreiben, die man bereits beim Ausfaden vergessen hat. Smith betrat nach eigener Aussage anschließend zehn Jahre kein Studio mehr.

Erst jetzt wird deutlich, wie wichtig diese auf 16 Jahre angewachsene Pause für ihn war. Seine lange Suche nach dem perfekten Zeitpunkt zum Loslassen bereichert "Songs Of A Lost World". Selten konnte man ein Album treffender als Alterswerk bezeichnen, und zwar nicht weil Smith 65 Jahre alt ist, sondern weil er das Altern selbst ins Zentrum rückt und aus verschiedensten Blickwinkeln seziert.

"This is the end of every song that we sing": Das bereits bekannte "Alone" zeichnet das Ende allen Seins noch etwas verschwommen am Horizont. Der voluminöse Keyboard-Sound über typisch schwerem Cure-Endzeit-Kreuzschritt erinnert mehr an "Disintegration" als das von Smith so gepriesene Trilogie-Schlusskapitel "Bloodflowers" aus dem Jahr 2000. Rückblickend war es nur eine Fingerübung, "Songs Of A Lost World" ist das wahre Ende der identitätsstiftenden Cure-Trilogie aus Schwermut, Hoffnungslosigkeit und Finsternis.

Schon die Eröffnungszeile von "Alone" wirkt wie die altersweise Entgegnung auf seinen vor vier Jahrzehnten juvenil herausgebrüllten Adoleszenz-Hass "It doesn't matter if we all die" aus "One Hundred Years". Jetzt schwingt nicht nur das Ende der Band mit, sondern auch jenes der Welt, schließlich befinden wir uns im Zeitalter der Polykrisen, in dem eine Band wie The Cure als systemrelevant gelten muss.

Die schwelgerische Stimmung nimmt der majestätische Piano- und Keyboard-Beginn von "And Nothing Is Forever" unmittelbar auf, der die Abschiedsszenarien im Kopf weiter befeuert, bevor man von Simon Gallups verzerrtem Bass wohlig umarmt wird. Inhaltlich ist es gewissermaßen ein Sequel zu "Lovesong", in dem es hieß: "However long I stay / I will always love you". Mit der Adressatin dieses Songs, seiner Frau Mary, ist Robert immer noch zusammen, das gemeinsame Leben biegt nun sanft auf die Zielgerade ein, die Wünsche verändern sich: "Promise you'll be with me in the end."

"A Fragile Thing" löst die eisige Stimmung auf, Gallups Bass und Jason Coopers losgelöste Drums wirken wie Anti-Depressiva. Der schnellere Beat stellt Smiths Stimme in ein neues Licht, und man glaubt auch weiterhin nicht, dass hier ein 65-Jähriger singt. Gitarrist Reeves Gabrels hält sich auf seinem Cure-Albumdebüt vornehm zurück, womöglich hören wir hier aber auch Perry Bamonte, der 2022 zurückkehren durfte, zumal der Song die poppige "Wish"-Ära in Erinnerung ruft.

Im "Warsong" stehen dafür mindestens zwei Gitarristen auf dem Distortion-Pedal, während Smith sich fragt, warum es der Menschheit nach wie vor nicht gelingt, Differenzen, Kämpfe und im übertragenen Sinne Kriege zu überwinden. Der Song selbst ist eine zähe Angelegenheit, überaus passend zum Sujet, kommt aber leider kaum in Fahrt. Gabrels Feedback-Eskapaden wirken ziellos und überzogen, die sporadischen Keyboard-Tupfer lieblos und nur Smiths intensiver Vortrag retten die Nummer halbwegs.

Besser gelingt das ebenfalls rockige, aber strukturiertere "Drone:Nodrone", für das Gallup einen giftigen Basslauf beisteuert. Coopers aggressives Drumming harmoniert mit Gabrels Wah-Wah-Gitarre, die noch ein fieses Gniedelsolo nachlegt und Robert kotzt sich aus über eine Drohne, die eines schönen Tages vor seinem Haus über ihn hinweg flog - eine wahre Geschichte.

Womöglich war es ein Sommertag mit 35 Grad und Smith brachte gerade im Unterhemd den Müll raus, jedenfalls bringt ihn der Vorfall noch Jahre später in Rage: "It disturbed me, it actually really pissed me off", erinnert er sich an das Gefühl von Übergriffigkeit und Überwachung. Der Song reflektiert die devote Hingabe des Menschen an die moderne Technik und hinterfragt die eigene, schlimmstenfalls altersbedingte Abneigung, die Smith an sich selbst beobachtet hat. Sein "Down - Down - Down" im Refrain erinnert in der Tonlage an "Hey - Hey - Hey" aus "Hot Hot Hot!", Roger O'Donnells Einfingerspiel am Keyboard wiederum an "From The Edge Of The Deep Green Sea". Nerd-Einschub Ende.

"I Can Never Say Goodbye" knüpft an die Verzweiflung von "And Nothing Is Forever" an, handelt vom überraschenden Tod von Smiths älterem Bruder Richard und beschreibt den letzten Tag, den sie gemeinsam verbracht haben. Entsprechend eindrücklich geraten die Lyrics: "Thunder rolling in to drown / November moon in cold black rain / As lightning tears the sky apart / I'm whispering his name / He has to wake up". Smith hat schon als junger Kerl viel über den Tod gesungen, vor dem Hintergrund seiner persönlichen Verlust-Erfahrungen - er verlor auch seine Eltern - erreicht sein altbekanntes Lamentieren ein neues emotionales Niveau. "Something wicked this way comes, sealing away my brother's life – I can never say goodbye."

In "All I Ever Am" beklagt Smith zwar auch das rasende Fortschreiten der Zeit, der von Gallup im New-Order-Stil angetriebene Song wirkt jedoch wie ein letztes Aufbäumen vor dem Grande Finale. "Endsong" beginnt, als würden The Cure "The Hanging Garden" in Zeitlupe spielen, dazu gesellen sich zentnerschwere "Disintegration"-Keyboards, die einen endlich wieder mit voller Wucht in den Abgrund ziehen. The Cure erreichen hier eine freudlose Vehemenz, die an sehr alte Zeiten erinnert.

Damals kam Smiths Angst vor der Sterblichkeit seinen Songs zwar auch schon zugute, doch ohne juvenile Romantisierung knallt es halt einfach mehr. Erst nach sechs Minuten schaltet sich Smith ein: "I'm outside in the dark / wondering how I got so old", greint er, und weiter: "It's all gone, it's all gone / Nothing's left of all I loved." Eigentlich kann, eigentlich sollte diesem existenziellen Vorzeige-Cure-Track mit passendem Titel nichts mehr folgen, doch Smith hat bereits andere Pläne. Mindestens einen Album-Nachfolger stellte er bereits in Aussicht. Freuen wir uns. Denn wann The Cure beerdigt werden, entscheidet immer noch Robert Smith.

Trackliste

  1. 1. Alone
  2. 2. And Nothing Is Forever
  3. 3. A Fragile Thing
  4. 4. Warsong
  5. 5. Drone:Nodrone
  6. 6. I Can Never Say Goodbye
  7. 7. All I Ever Am
  8. 8. Endsong

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Cure,the – Songs Of A Lost World (Std. CD) €19,98 €3,00 €22,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen The Cure – The Cure, Neues Album 2024, Songs Of A Lost World, CD €36,90 Frei €39,90

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT The Cure

Man mag vom dauergeschminkten Mann mit dem zerzausten Haar halten, was man will. An der Tatsache, dass sich Robert Smiths Band The Cure neben britische …

4 Kommentare mit 2 Antworten