18. Oktober 2004

"Ist es kontrovers, weil es schwul ist?"

Interview geführt von

Joel Gibb bestätigt wieder einmal diese Vermutung, dass Kanadier die besseren Nordamerikaner sind. Er besitzt kein Handy (was das spontane Treffen nicht unbedingt vereinfacht), redet viel und gern über kanadische Sozialpolitik und besticht mit selbstkritischem Humor. Allein die Tatsache, dass wir uns zum Gespräch im Kartoffelhaus am Alex treffen, gibt mir zu denken. Hier sagt der Wirt noch "Wohl bekomms!", und beschallt wird der Gast mit Ace Of Base. Dessen ungeachtet ergibt sich schnell ein Gespräch über sein Leben als Musiklehrer, unpatriotischer Kanadier und Kritiker der USA.

Hi Joel! Was treibst du hier in Berlin?

Ich bin mit einem Großteil der Band hierher gekommen, wir wollen einfach ein bisschen hier abhängen. Morgen treffen wir unsere Tourmanagerin und fahren nach Frankfurt, wo wir unsere Tour starten. Dann gehts für drei Dates nach Schweden, und dann sind wir schon wieder hier in Berlin.

Ein kleiner Umweg über Schweden.

Ja, wir werden verdammt viel rumfahren. Von Göteborg müssen wir in einem Tag nach Berlin fahren, hier eine Show spielen und am nächsten Tag müssen wir dann schon wieder in Brüssel sein. Es ist irre.

Wie viele werdet ihr denn sein?

Das kommt auf die Show an. In Schweden spielen wir mit einem Mädel namens Lotta. Sie spielt Viola und hat in Schweden schon mit uns gespielt. Sie kommt auch mit nach Berlin, muss dann aber wieder zurück nach Hause. Meistens werden wir zu siebt sein. Meine Managerin kommt auch bei ein paar Songs auf die Bühne, dann sind wir schon acht, mit Lotta sind wir neun. In Frankfurt lebt ein Freund von uns, der wird uns am Xylophon unterstützen. Er kann mit vier Klöppeln spielen, er hat eine klassische Ausbildung. Er ist super! Ein weiterer Freund von uns aus Schweden wird Tambourine spielen, dann sind wir schon elf!

Klingt als wäre das ziemlich kompliziert zu organisieren.

Das wird immer einfacher. Ich habe unserem Kumpel in Frankfurt die Platte geschickt, und wir üben morgen noch ein wenig. Lotta hat ja schon mit uns gespielt, sie kennt die Songs ziemlich gut. Aber wir proben trotzdem. Aber das kümmert mich nicht so. Ich finde es wichtig, dass im Studio alles richtig läuft, während der Aufnahmen. Aber live geht es mir mehr um die Energie. Einmal ist es mir passiert, dass während einem Konzert ein Zuschauer mein Mikro geklaut hat und den ganzen Song gesungen hat. Das hat mich fast schon ein bisschen geärgert. Naja, nicht wirklich! Bei Live-Musik geht es sehr viel um den Moment, und um die Zuschauer.

Mit wieviel Leuten warst du denn schon unterwegs?

Wenn wir in Toronto spielen, können es schon eine ganze Menge sein. Aber es ist auch einer der Grundsätze der Band, dass wir nicht statisch sind. Die Leute kommen und gehen, wie es ihnen passt.

Das könnte man ja fast schon eher ein Kollektiv nennen.

In einem Kollektiv fällen die Leute gemeinsam Entscheidungen. Das passiert bei uns nicht. Also ist es eigentlich mehr ein Soloprojekt von mir. Ich habe das mit dem Kollektiv schon überlegt. Aber die anderen haben kein Problem damit.

Also sind sie mehr wie Session-Musiker, die ins Studio kommen und ihr Ding machen.

Ja, aber sie sind auch meine Freunde. Viele von ihnen sind ja noch nicht einmal Musiker. Ich habe ihnen die Instrumente beigebracht. Wenn wir touren, ist es nicht so, dass unsere Egos miteinander kämpfen. So ist es doch bei einer regulären Vier-Mann-Band. Du hast vier Egos, und nach zwei Alben ist Schluss, weil sie zu große Differenzen haben. Meine Freunde haben noch andere Bands, oder sie sind Schauspieler, oder Comedians, Schriftsteller, Aktivisten. Sie bauen die Band in ihr Leben ein, aber ihr Leben hängt nicht daran. Wenn es ihr Leben wäre, dann müssten wir Dinge aushandeln.

Um was für Aktivisten handelt es sich da?

Mezz, ist ein alter Freund von mir. Es ist das erste Mal dass er mit auf Tour ist. Er ist ein Aktivist für den öffentlichen Raum.

So eine Reclaim-The-Streets Sache.

Ja, so in etwa. Er kämpft gegen Werbung im öffentlichen Raum. Er hat auch schon einen Film mit Naomi Klein (Globalisierungskrititkerin und Autorin des Buches "No Logo", d. Red.) gemacht, solche Dinge eben. Zwei von uns arbeiten für die NDP, die linksliberale Partei in Kanada. Wir haben Glück, eine solche Partei zu haben, in den USA gibt es so etwas gar nicht.

Wäre das so etwas wie die Sozialdemokraten hier?

So ähnlich. Als Linker muss man ja auch Kompromisse machen, und die NDP ist ein guter Kompromiss. In den USA gibt es nur Liberale und Konservative. Wir in Kanada hingegen haben Liberale, Konservative und die NDP. Bei uns wurden gerade Wahlen abgehalten. Darum konnte Maggie auch nicht mit uns auf Tour kommen. Mikey ist ein Schauspieler, einen Comedian/Künstler/Musiker haben wir auch noch in der Band.

Rekrutierst du sie für die Band, oder kommen sie zu dir und fragen, ob sie mitspielen dürfen?

Ich kenne die Leute schon Ewigkeiten. Es ist vielleicht kein typisches Bandgefüge, aber ich kollaboriere auch nicht so gerne mit Menschen. Ich muss nicht so viele Kompromisse eingehen.

Kommst du dir nicht manchmal wie ein Musiklehrer vor?

Ja, total. Aber es macht Spaß. Ich habe dabei keinen pädagogischen Ansatz, ich bringe ihnen Musik auf meine Art und Weise bei.

Kümmert es dich eigentlich, ob sich dein Album gut verkauft?

Na, ich hoffe schon, dass es sich nicht allzu schlecht macht.

Es ist ja schon ein wenig kontrovers. Man kann in die Lyrics viel herein interpretieren.

Ist das so? Mir fällt nur ein Song ein, in dem es um das Trinken von Urin geht. Meinst du, es ist kontrovers, nur weil es schwul ist? Weil ich davon singe, dass ich einen Typen liebe? Ich sehe das nicht als provokativ an.

Na, im großen Musikmarkt USA wird es doch sicher Leute geben, die damit ein Problem haben.

Aber ich bin Kanadier.

Macht es das einfacher für dich?

Ja, ich will kein Amerikaner sein. Ich möchte dort nicht mal auf Tour gehen. Ich mag die USA nicht, ich mag keine Amerikaner. Es ist immer schwer, ins Land einzureisen. Sie ficken mich jedes Mal. Und dann sind sie so nationalistisch. Ich hasse jede Art von Nationalismus. Das ist so super an Kanada. Wir kennen keinen Nationalismus. Ein bisschen patriotisch sind wir, aber wir denken nicht, dass wir die Besten sind. Wir mögen einfach Eishockey und Bier. Wir haben kein Militär. Ich bin gerne Kanadier. Kanada ist cool. Es hat ein gutes Sozialsystem.

Bist du politisch aktiv? Oder interessiert?

Ich bin nicht wirklich aktiv. Aber ich mache mich gern für Kanada stark. Viele Leute wissen so wenig über mein Land, weil wir immer im Schatten der USA stehen.

Denkst du, dass du dasselbe machen würdest, wenn du Amerikaner wärst?

Keine Ahnung. Ich denke, es hat mehr mit deinem Umfeld und deiner Familie zu tun. Ich bin liberal erzogen worden, in einem christlichen Umfeld. Aber es war nie homophob oder rassistisch. Das hat mehr Einfluss auf dich als dein Herkunftsland. Wenn du in New York City aufwächst, bist du ein Anderer, als wenn du im ländlichen Kanada groß wirst.

Du hast in der Tat viele religiöse Motive in deinen Texten. Gleichzeitig ist Sex sehr vordergründig vertreten. Wie passt das zusammnen? Ist Sex ein religiöser Akt? Oder ein Religionsersatz?

Auf eine gewisse Weise, ja. Aber da müsste man erst einmal Religiosität definieren. Wenn man in einer religiösen Tradition erzogen wird, und sich dagegen auflehnt, dann muss man das irgendwie ersetzen. Einige ersetzen es mit Atheismus, andere mit Existenzialismus, oder Romantik. Nur weil man sich entscheidet, kein Christ zu sein, heißt das ja nicht, dass man aufhört, sich über solche Dinge Gedanken zu machen.

Du hast deine Musik mal als Gay Folk Church Music bezeichnet. Man könnte es auch Hippie-Musik nennen. Das passt ja fast in die Retro-Welle. Dass jemand den Hippie-Sound zurück bringt. Belle & Sebastian oder The Polyphonic Spree würden da auch reinpassen.

Ich denke nicht schlecht über Hippie-Musik. Aber sie hat ein schlechtes Image, warum auch immer. Ich will uns gar nicht modern nennen. Es gibt doch genug Bands, die neu klingen wollen, aber einfach nur Scheiße klingen. Ich mache einfach gerne Musik mit akustischen Instrumenten und Streichern. Die Kunst des Songwriting geht im Moment ein bisschen verloren, finde ich. R'n'B ist momentan ja sehr populär. In den Sechzigern war im R'n'B die Avantgarde des Songwriting vertreten, heute geht es da nur noch ums Kopieren und Kollaborieren. Es geht nicht mehr um den Song.

Wir müssen noch über den Albumtitel reden, "Mississauga Goddam". Rebellion gegen den Ort, in dem du aufgewachsen bist, oder Hommage an den Song "Mississippi Goddam"?

Letzteres.

Hat sich das Touristenbüro von Mississauga schon bei dir beschwert? Oder bedankt?

Nein, ich glaube, die wollen nicht mit mir reden. Aber ich will in Mississauga auftreten. Ein alter Schulfreund arbeitet jetzt für die "Mississauga News", er hat mich interviewt. Das war komisch. Ich bin mit ihm aufgewachsen, und jetzt sitze ich ihm gegenüber und ziehe über unsere Heimat her. Ich habe gesagt, dass Mississauga ein kulturelles Loch ist.

Wie muss man sich Mississauga denn vorstellen?

Wie eine typische nordamerikanische Kleinstadt. Stell dir Malls vor. Mississauga ist längst weiter. Die haben nur noch Mega-Stores. Große, hässliche Kästen, die auf einer großen Fläche verstreut sind. Und du fährst dann mit dem Auto von Laden zu Laden. Es ist wie eine Mall für Autos. Es ist nicht für Menschen gebaut, sondern für Autos. Es hat nichts mehr mit der Gemeinde zu tun, sondern nur noch mit Geld. Sie bauen so billig wie möglich, dann hast du die Autos, die alles verschmutzen. Nicht so kleine Kisten wie die hier, sondern große, hässliche Autos.

Danke fürs Gespräch.

Das Interview führte Mathias Möller

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