10. Februar 2020

"Für 'Shrink' waren die Pet Shop Boys Vorbilder"

Interview geführt von

In unserer Meilenstein-Reihe ehrten wir gerade das The Notwist-Album "Shrink" aus dem Jahr 1998. Mit Recht? Fragen wir doch mal den Songwriter.

Lange nichts mehr gehört von The Notwist. So weit, so bekannt. Der letzte Longplayer der Indie-Institution aus Weilheim datiert von 2014. Für unsere Meilenstein-Reihe wählten wir gerade ihr 1998er Album "Shrink" aus und kontaktierten daher Sänger und Gitarrist Markus Acher, in der Hoffnung, er möge uns zu diesem besonderen Album der Notwist-Karriere ein paar Fragen beantworten.

Zur vereinbarten Uhrzeit sitzt Acher beim Friseur. Danach nimmt er sich jedoch ausgiebig Zeit. Gewohnt bescheiden lässt er Kritikerlob über sich ergehen und erzählt von den kürzlich absolvierten Konzerten in China in einem Tonfall, als handele es sich um eine Tour durch Unterfranken.

Markus, schön dass du dir die Zeit nimmst. Wie sitzt die Frisur?

Markus: Gut. Wie immer halt. Kürzer. Musste mal wieder sein.

Wir sprechen heute über "Shrink", euer Album von 1998, das wir als Meilenstein gekürt haben. Ist es auch deine Notwist-Lieblingsplatte?

Puh, keine Ahnung. Es gibt für mich nicht diese eine Platte. Die Lieblingsplatte ist wahrscheinlich immer die, die wir gerade machen. Ich sehe es eher als eine Art Kontinuum. Man hangelt sich von Platte zu Platte. Heute haben wir im Auto zum Beispiel nach einer Ewigkeit mal wieder "Close To The Glass" gehört. Da sind mir viele Stellen aufgefallen, die ich vielleicht im Rückblick nicht wesentlich anders machen würde, die aber im Vergleich zu den Songs, an denen wir gerade arbeiten, doch anders ausgestaltet sind. Deshalb kann ich die Frage tatsächlich gar nicht beantworten.

Wann hast du "Shrink" zum letzten Mal angehört?

Das ist noch gar nicht so lange her. Ein Freund erzählte mir, dass er die Platte gerade wieder recht oft höre und dabei fiel mir auf, dass ich gar nicht mehr genau wusste, was da alles drauf ist. Deshalb habe ich sie dann aufgelegt, aber eher so nebenher gehört. Also ich weiß jetzt wieder, welche Songs da drauf sind.

Das Spannende an der Platte ist ja die Fusion aus Samples, Elektronik, Rock und den Jazz-Bezügen durch die Bläser. Könnte man sagen, "Shrink" brachte das Soundtemplate, das Notwist bis in die Jetztzeit getragen hat?

Auf eine Art vielleicht schon. Der Jazz ist auf dieser Platte allerdings am extremsten, das haben wir später nicht mehr so ausformuliert wie in diesen Solos vom Johannes. Einzelne Elemente sind aber immer da.

Beim Vorgängeralbum "12" war Elektronik-Spezialist Martin Gretschmann 1995 noch als Gast bei euch im Studio. Der Legende nach wurde er später festes Mitglied, weil er den besseren Sampler hatte als euer Produzent Mario Thaler, richtig?

Der Martin hatte den ersten Sampler in Weilheim. Es gab damals diese Platte "The Day My Favourite Insect Died", ein Sampler auf Kollaps Records, wo Leute anfingen, sich an an einer zumindest entfernt elektronischen Ästhetik zu versuchen. Dafür habe ich dann gemeinsam mit Martin einige Stücke gemacht und das hat in den ganzen Prozess mit reingespielt und Notwist beeinflusst. Er war für die Samples zuständig, weil ich davon keine Ahnung hatte. Am Anfang hat er live eigentlich auch nur Samples gedrückt, wurde aber schnell immer besser und auf "Shrink" ging das dann alles auf und er brachte auch erstmals eigene Stücke ein. So kamen die elektronischen Elemente ins Spiel.

"12" war von Talk Talks letztem Album "Laughing Stock" beeinflusst. Welche Bands oder Platten inspirierten "Shrink"?

Extrem wichtig waren Postrock- und Krautrock-Bands, also Tortoise, Mouse On Mars und natürlich Stereolab, weil die Elektronik und Jazz zu einer für uns damals noch ganz neuen Popmusik gemacht haben.

Welchen Einfluss hatten Mario Thaler und Olaf Opal speziell bei "Shrink"?

Olaf hat als Person immer einen großen Einfluss. Er hört sehr viel Musik und hat immer eine definierte Meinung zu allem. Bei der "Shrink" brachte er sein Interesse an alten Synthesizern ein. Er besaß auch diesen legendären alten EMS-Synthesizer. Gerade heute hat er lustigerweise gesagt, wie sehr es ihn ärgert, dass er den später verkauft hat. Mario tickt da ganz ähnlich. Die Stücke oder deren grundsätzliche Linie kommt immer von uns, aber dann tauscht man gemeinsam Ideen aus.

Die Single "Chemicals" brachte euch erstmals auch mit MTV und solchen Sachen in Kontakt.

Damals war das noch sehr komisch. Wir kamen ja aus einer Hardcore-Punk-/Indie-Welt. Da wollte man mit sowas wie Fernsehen eigentlich nichts zu tun haben. Gleichzeitig war es aber auch interessant, weil wir gesehen haben, dass ja auch Stereolab Videos drehten oder mal eine ganze Sendung auf Viva hatten. Daher fanden wir es spannend, das Spiel nach unseren Regeln mitzumachen. Zum Beispiel, in dem man Videos dreht, in denen wir gar nicht vorkommen.

"'Neon Golden' verkaufte sich deutlich besser"

Wie empfandet ihr dann diese vergleichsweise glitzernde Fernsehwelt?

Es kam oft vor, dass wir dort auf Menschen trafen, die uns konkrete Anweisungen machen wollten. Die sagten dann sowas wie: Wir haben uns vorgestellt, dass ihr das so und so macht. Das fanden wir aber manchmal nicht so gut. Bis heute nehmen wir uns heraus, ehrlich zu sagen, was wir eben nicht machen wollen. Dafür geht man das Risiko ein, in bestimmten Medien nicht vorzukommen.

Wie viele Platten habt ihr von "Shrink" und vom 2002er Nachfolger "Neon Golden" ungefähr verkauft?

Keine Ahnung, tut mir leid.

Bei "Neon Golden" kursierte mal die Zahl von 150.000 Alben, das war allerdings vor zehn Jahren.

Ja, das Album hat sich mit Sicherheit am besten von allen verkauft, also deutlich besser als "Shrink".

War "Shrink" das Album, bei dem du das erste Mal gedacht hast: Das Musikerdasein könnte sowas wie ein richtiger Hauptjob werden?

Nein. Es gab einen bestimmten Punkt, aber das war viel früher. Schon als ich aufgehört habe zu studieren, oder vorgab zu studieren. Da war mir schon klar, dass ich eigentlich nur noch Musik machen will. Mit Notwist waren es dann ganz kleine Schritte in diese Richtung, denn das war ja im Endeffekt alles sehr lo-fi. So ist es bis heute auch geblieben. Man verdient jetzt nicht gerade sehr viel, aber man kommt schon durch. Ich würde sagen, bei "Shrink" hatten wir alle zum ersten Mal das Gefühl, dass wir musikalisch an einem Punkt angekommen sind, der in etwa das widerspiegelt, was wir machen wollen. Eben wie die Musik von Tortoise oder Stereolab, jetzt vielleicht nicht genau so gut oder wie auch immer, aber nach den Aufnahmen zu "Shrink" waren wir alle sehr zufrieden.

Du hast gerade das Thema Lebensunterhalt angesprochen. Als Musiker muss man heute ja auf Tournee gehen, um Geld zu verdienen. Notwist machen das allerdings eher selten. Auch die Tantiemeneinnahmen aus eurem Back Catalogue dürften eher überschaubar sein. Welche Nebentätigkeiten sind bei dir noch im Spiel?

Es ist eine Summe aus mehreren Bands und dann komponieren wir ja auch für Filme und fürs Theater, wobei letzteres schon sehr abgenommen hat. Dafür aber Filmmusik.

"Wir nehmen gerade die neue Notwist-Platte auf"

"Shrink" war seiner Zeit voraus, selbst Radiohead haben erst auf "Kid A" ähnliche Soundelemente vermischt. Was war das schönste Kompliment, das du für eure Musik bekommen hast?

Wir hatten Stereolab damals die "Shrink" zugeschickt, da wir Tim und Laetitia von einer gemeinsamen Tournee kannten und einen guten Kontakt hatten. Als sie uns dann antworteten, dass sie die Platte toll finden und sie sie auf ihrem Label Duophonic in England veröffentlichen wollen, hat uns das extrem gefreut.

Euer US-Label ging meines Wissens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung pleite. Martin Gretschmann erzählte uns, dass ihr damals in den USA mitunter vor zwanzig Leuten gespielt habt. Wie erinnerst du diese Zeit?

Meinst du das Label Zero Hour? Das war jedenfalls das erste amerikanische Label, das sich für uns interessiert hat. Der Besitzer war so ein Spekulant, der plötzlich enorm viel Geld hatte und nicht mehr arbeiten musste. Da er schon immer auf Rockmusik stand, hat er von allen möglichen Labels seine Leute zusammen gekauft und selbst eine Firma in einem großen Büro aufgemacht. Irgendjemand hat ihm dann gesagt, es gäbe da diese deutsche Band oder so. Der hat uns immer alle Flüge nach New York bezahlt, unsere Tour, auch mal ein paar Remixe von irgendwelchen Typen, extra angefertigt für den amerikanischen Markt. Alles ziemlich schräg. Der hat da ziemlich viel Geld reingesteckt. Aber er hat halt kaum Platten verkauft, insgesamt gesehen. Wobei da wirklich gute Bands dabei waren, aber unterm Strich war es halt doch zu Indie-mäßig. Ich glaube nicht, dass der Laden pleite ging, aber der Typ hat so viel Miese gemacht, dass er irgendwann keine Lust mehr hatte.

War das dann vor "Shrink"?

Weiß ich nicht mehr genau. Ich dachte die "Shrink" war noch bei Zero Hour, "Neon Golden" dann bei Domino und "Close To The Glass" bei Sub Pop.

Auf Songs wie "Chemicals" ist deine Stimme so weit im Vordergrund wie nie zuvor. Erinnerst du dich dran, wie es war, deine Stimme nicht mehr in einer Wall Of Sound verstecken zu können?

Ja, das war ein schwieriger Prozess. Das fand ich eigentlich nicht so gut. Davor haben wir ja viel Hardcore gehört und Dinosaur Jr, höchstens noch Neil Young. Da war es immer so, dass wir die Stimme leise haben wollten. Mit der "Shrink" fing es dann an, dass man auch Pop-Sachen gut fand und neue Vorbilder hatte. Die Pet Shop Boys etwa. Also nicht eins zu eins, aber eben übersetzt in unsere Welt.

Pet Shop Boys?

Ja, doch, die Pet Shop Boys fanden wir alle immer gut. Auf jeden Fall die frühen Sachen.

Wie siehst du rückblickend die Auswirkungen der Abgänge von euren Mitgliedern Martin Gretschmann und Martin Messerschmid auf die Band?

Mit Mecki Messerschmid ging es sowohl persönlich als auch was die musikalischen Interessen angeht auseinander. Das war irgendwann unumgänglich. Ein schwieriger Prozess, der uns letztlich aber geholfen hat. Denn der Andi Haberl kam dazu und das hat die Band schon verändert, da der aus dem Jazz kommt und ein sehr flexibler Schlagzeuger ist. Der hat uns nochmal in andere Richtungen getrieben. Mecki war auch ein toller Schlagzeuger, hatte aber an manchen Sachen einfach weniger Interesse. Mit Martin Gretschmann war persönlich alles gut, aber der war als DJ und mit seinen eigenen Sachen so sehr beschäftigt, dass das zeitlich nicht mehr zusammen ging und er sich irgendwann entscheiden musste. Mit Cico Beck, der diese Rolle seither eingenommen hat, kam gerade auch live eine neue Ebene in unserem Sound hinzu, da er auch Schlagzeuger und Percussionist ist. Aber selbst wenn Martin noch in der Band wäre, hätten wir uns weiter entwickelt. Das hat eigentlich bei "Shrink" angefangen, dieser Prozess, die neu hinzugekommenen Elemente immer wieder zu überdenken. Deshalb zieht sich dieser Aufnahmeprozess immer so in die Länge.

Ich erreiche dich gerade im Studio in München, woran arbeitest du gerade?

Wir nehmen gerade die neue Notwist-Platte auf, die im Herbst erscheinen soll. Wir sind auch schon relativ weit, das Ende ist in Sicht. Im Großen und Ganzen sind wir jetzt an dem Punkt angelangt, wo wir wissen, wie alles klingen soll.

Kannst du schon sagen, inwiefern sich euer Sound verändert hat? Vielleicht im Vergleich zu "Close To The Glass"?

Ich würde sagen, auf der letzten Platte waren sich die Stücke zwar auf eine Art recht ähnlich, das Soundbild hatte aber harte Schnitte, mitunter fast wie bei verschiedenen Bands. Hierin würde ich einen Unterschied festmachen, denn auf der neuen Platte ist es eher umgekehrt. Zwei bis drei Stücke haben wir so bisher noch nicht gemacht, auch vom Arrangement her. Dafür ist der Albumsound aber wieder durchgängiger. Die Stücke sind klanglich miteinander verbunden.

Kürzlich habt ihr auch in Peking gespielt, wie war das?

Ja, es war schon das dritte Mal, dass wir in China gespielt haben. Die Agentur New Noise China lädt regelmäßig ausländische, vor allem amerikanische und japanische Bands ein. Wir waren dort jetzt die einzige deutsche Band. Dahinter steckt ein total netter Belgier, der uns dort auch mal eine kürzere Club-Tour organisiert hat. Das war schon ganz toll, danach waren wir für zwei Festivals noch mal dort und jetzt wieder für zwei Festivals mit zwei anderen Bands. Daher waren viele Leute da und die Reaktionen sind auch total gut. Die Leute sind extrem freundlich, enthusiastisch und offen für das, was wir da machen.

Für Deutschland ist dieses Jahr nur ein Auftritt beim Elbjazz Festival in Hamburg geplant. Bleibt es dabei aufgrund eurer Arbeit am neuen Album?

Da wir noch nicht genau wissen, wann die Platte fertig wird, haben wir uns auch noch nicht über eine Tour unterhalten. Ich denke, das wird dann eher nächstes Jahr passieren. Wir spielen demnächst noch in Augsburg auf dem Brecht Festival.

Was ist eigentlich aus eurem Indie-Hip Hop-Projekt 13&God geworden, mit dem ihr vor 15 Jahren ein Album veröffentlicht habt?

Das wollten wir immer wieder mal für unser "Alien Disko"-Festival reaktivieren. Aber ein Problem ist, dass Adam, also der Rapper Doseone, davon gedanklich ziemlich weit weg ist. Der hat jetzt eine zweite Karriere gemacht, nachdem er frustriert war, dass er als Musiker kaum überleben konnte. Das ist in Amerika einfach viel schwieriger. Jetzt komponiert er Sounds für Computerspiele, hat eine Firma gegründet und ist damit sehr erfolgreich. Da gehen sicher 80 Prozent seiner Zeit drauf. Er macht zwar auch noch Musik und wir schreiben uns auch immer mal wieder, aber er ist eben nicht so flexibel, als dass er einfach mal für drei Konzerte nach Deutschland fliegen könnte. Eher ist er mit seiner Firma in Tokio. Gleichzeitig ist aber Dax Pierson immer noch sehr engagiert und wir sprechen oft darüber, noch mal etwas gemeinsam zu stemmen. Wir warten also auf den Moment, wo alle Zeit haben.

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