laut.de-Kritik

Das uneheliche Kind von Zappa, Mozart und Miles Davis.

Review von

Die Hippie-Progger von der Insel vollführen auf ihrem 11. Studiowerk einen Vielseitigkeitstanz aus Canterbury-Prog, Rock, Klassik, Fusion und Funk. Bandkopf und dezent ergrauter Rotschopf Andy Tillison nimmt insbesondere Anstoß an seiner Heimat England, der er zwischen bezaubernden Landschaften und verstörender Brexit-Angst ein halbstündiges Epos widmet.

Die Wahl des Albumtitels versprüht den Hang zu Schönheit bei gleichzeitiger philosophischer Fragehaltung. "Auto Reconnaissance" bedeutet Selbsterkenntnis und man sieht angesichts des derzeitigen Weltgeschehens die Fragezeichen auf Tillisons Stirn: Wer zur Hölle sind die Menschen eigentlich? Das nicht festgelegte Tier oder doch die Schaumkrone der Schöpfung, ein Tropfen im ewigen Meer oder ein kurzes Aufflackern in der Dunkelheit? Der Engel der Geschichte blickt fassungslos auf Äonen von Mord und Totschlag und kann eine winzige schöne Begegnung diese schreckliche Welt vergessen lassen.

Der sechzig-jährige Multiinstrumentalist vertraut bei der musikalischen Umsetzung auf seine bewährte Hintermannschaft. Bassist Jonas Reingold findet zwischen den Touraktivitäten bei Steve Hackett ausreichend Zeit, seine pulsierenden wie filgranen Bass-Ornamente einzutüten. Luke Machin, ehemaliger Student von Saiten-Aristokrat Guthrie Govan, bespielt stil- und zielsicher sämtliche Genres. Holzbläser Theo Travis hat bereits für 99 Prozent der Prog-Künstler gespielt, man denke vornehmlich an Steven Wilsons "Raven".

Tillison selbst ist das uneheliche Kind von Zappa, Mozart und Miles Davis. Er beherrscht die Klaviatur im popformatigen Schweinsgalopp wie im lebensumspannenden Krieg und Frieden-Epos. Die kurzen Stücke gemahnen an fluffigen Rock ("Life On Hold"), sanften Soul ("Under Your Spell"), während bei "The Tower Of Babel" der brünftige Brasssound von Tower Of Power durchschlägt. Als Bonus-Track spendiert das Quintett den Ambient-Jam "Proxima", der vom Namen her die Brücke zum Vorgänger "Proxy" schlägt.

Für die beiden Longtracks wählt Tillison je unterschiedliche Konversationsformen. "Jinxed in Jersey" ist ein wahnwitziger Dialog über das Amerika der Ostküste und beschreibt ähnlich der meisterhaften Vertonung eines Arbeitstages auf "Le Sacre Du Travail" skurrile Alltagssituationen. Dabei flicht die Band viele Sprechpassagen ein. Der sperrige Song erhält in der zweiten Hälfte mit einer verzerrten Jazzrock-Einlage den Absurditätspreis.

Das oben angesprochene "Lie Back & Think Of England" ist als innerer Monolog angelegt und schwankt zwischen romantischer Verklärung und vernünftiger Ablehnung. Die musikalische Umsetzung gelingt fantastisch, das zarte Piano bildet die Klammer. Dazwischen watet die Band durch die tiefsten Tiefen und erreicht schließlich die höchsten Höhen in einer schlichten Folk-Weise mit Monsterhook. Der von Stings "The Soul Cages" bekannte Dudelsack passt hier wie der Kilt ans Hinterteil und mit feucht-wässrigen Augen pflichtet man still-lauschend der Feststellung Tillisons bei, dass man außer ein wenig Grün und Sonne eigentlich nix zum Glück benötigt. Aus der an Highlights nicht armen Historie von The Tangent sticht dieser Track noch hervor.

Trackliste

  1. 1. Life On Hold
  2. 2. Jinxed In Jersey
  3. 3. Under Your Spell
  4. 4. The Tower Of Babel
  5. 5. Lie Back & Think Of England
  6. 6. The Midas Touch
  7. 7. Proxima

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