laut.de-Kritik
Rückkehr in drei Akten.
Review von Eberhard Dobler2018 kehrten The The nach anderthalb Jahrzehnten Pause live zurück: Ausverkaufte Konzerte und Festivalslots zeugten von der Sehnsucht der über die Jahre offenbar recht stabilen Fangemeinde. Deren Jubel lässt sich während des relativ roh gespielten Gigs in der Londoner Royal Albert Hall, das Kultregisseur Tim Pope auch als Konzertfilm in Szene setzte, nicht überhören.
Ein Grund für die Begeisterung: The The-Kopf Matt Johnson hat zeitlose Songs auf Lager, die besonders von seinen intensiven Vocals leben. Ein Umstand, der in den ausgefeilten Studioversionen noch deutlicher zum Tragen kommt als on stage. Fürs Live-Comeback begrüßte Johnson alte Bekannte aus verschiedenen Schaffensphasen im Line-up: Bassist James Eller und DC Collard (Keys) waren schon Ende der Achtziger dabei, Drummer Earl Harvin kam 2000 ins Boot. Neu ist Gitarrist Barrie Cadogan, der gleichwohl vom alten The The-Kollaborateur Johnny Marr empfohlen wurde.
Die gut zweistündigen Konzerte, so Johnson im Rolling Stone-Interview, sollten einen Karriereüberblick bieten, ein Mix aus Hits und Kuriositäten, gegliedert in drei Akte: "Political", zum Beispiel ein Song wie "Sweet Bird Of Truth", der 1986 das Handeln der USA im Nahen Osten thematisierte. Dann "Personal" mit Stücken wie "Dogs Of Lust", die von Liebe und Sex handeln, sowie die Rubrik "Metaphorical" (etwa "Bugle Boy").
Der Opener "Global Eyes" lässt direkt einen der wichtigen musikalischen Einflüsse Johnsons anklingen, den Blues. Bandklassiker wie besagtes "Sweet Bird Of Truth" kommen akustisch schön rough, auch wenn Earl die Snare hätte härter schlagen dürfen. Auch später, beim schnellen "I've Been Waiting For Tomorrow (All Of My Life)", klingen die Drums zu schmalbrüstig. Mit der "Heartland"-B-Seite "Flesh & Bones" folgt an dritter Stelle das erste Kuriosum in der Setlist: Ein starker Refrain trägt den Song, der damals eigentlich auch für einen Albumtrack gut gewesen wäre.
Das gemächlich groovende und Hook-lastige "Heartland" selbst ist eines jener eingangs erwähnten Stücke, die Johnson zu einem zeitlosen Songwriter machen. Das swingende "The Beat(en) Generation", das sozusagen als Ambientversion dargeboten wird, gehört zu dieser Riege genauso wie das harmonisch groovende "Helpline Operator" oder der starke Closer "Lonely Planet".
"This Is The Night" verströmt im 6/8-Takt zwar Pub-taugliches Schunkelfeeling, kommt aber an den Akustikpop des vielleicht größten The The-Hits kaum heran: Kaum zu glauben, dass ein damals 21-Jähriger einen dermaßen reif wirkenden Song wie "This Is The Day" so authentisch zu Papier bringen konnte. Keyboarder Collard hat seinen Auftritt beim ausladenden Tastensolo des fast zehnminütigen "Uncertain Smile".
24 Tracks in der Royal Albert Hall später darf man resümieren: ein Must-Have für Fans der ersten Stunde. Selbst, wenn einen öfter das Gefühl beschleicht, dass in Sachen Mixing beziehungsweise Lautstärkeverhältnisse der Instrumente untereinander mehr drin gewesen wäre - gerade bei Hits wie "Dogs Of Lust" oder "Infected". Und natürlich wären die Augen noch größer geworden, wenn sich das Line-up der "Mind Bomb"-Phase Ende der Achtziger komplett wiedergefunden hätte: neben Eller und Collard (Live-Keys) eben Johnny Marr und Drummer David Palmer.
Dies soll die Leistung der anderen Beteiligten aber nicht schmälern. Gerade Cadogans körniger Gitarrensound prägt den rauen Charme der Liveaufnahme. Der einzig Wermutstropfen bleibt am Ende, dass Johnsons grundsätzliches Misstrauen gegenüber Regierungen, Großwirtschaft und Establishment, das seine Musik von Anfang an mitprägte, in der Corona-Pandemie fast schon zwangsläufig in eine Sympathie für Verschwörungstheorien münden musste. Anzunehmen jedenfalls, dass seine Sicht auf die Pandemie in die neue Musik einfließen wird, die er für 2022 angekündigt hat.
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