2. März 2004

"Das wird unser Album überschatten"

Interview geführt von

Am Tag nach einem sehr kurzweiligen Gig im Magnet Club stehen Carrie und Jason, Bass und Gitarre von den Von Bondies tapfer Frage und Antwort. Die Presse ist vor allem an zwei Dingen interessiert: der Prügelei von Frontmann Jason mit Jack White von den White Stripes und, ach so, dem neuen Album. Welches rockt und am 29. März erscheint.

Ihr promotet grade euer neues Album und bindet das gleich in eine kleine Tour ein. So viele Dates habt ihr in Europa wohl noch gar nicht gespielt, oder?

Jason: Auf dieser Tour waren wir bis jetzt nur in Paris, Hamburg und jetzt in Berlin. Aber in Berlin sind wir schon zum dritten Mal.

Wie ist es, die neuen Songs zu präsentieren? Ihr wisst ja nicht, wie die Leute sie aufnehmen werden. Ist es nicht komisch, Songs zu spielen, die ihr schon ein paar Monate kennt, aber die Zuschauer noch nicht?

Jason: Auf der einen Seite ist es ziemlich nervenzerfetzend, aber auf der anderen Seite auch sehr spannend. Wir sehen Leute, die zu Musik tanzen, von der sie überhaupt keine Ahnung haben. Zum Beispiel gestern Abend, als wir "The Fever" gespielt haben. Die haben wie die Verrückten getanzt. Das macht Spaß! "C'mon, C'mon" kennen sie ja schon. Es läuft ja schon auf MTV.

Auf dem Konzert gestern hattest du dich beschwert, dass die Leute in Hamburg ein wenig reserviert waren.

Jason: Ja. Wir haben ein paar Freunde in Hamburg. Sie sagten, das ist fast immer so. Besonders wenn wir neue Songs spielen. Die Leute passen sehr gut auf. Und dann denken sie: "Das ist gut!" Hinterher lieben sie uns, aber während wir spielen, kannst du das nicht mit Sicherheit sagen. Danach kommen sie dann zu uns und sagen: "Ihr wart so gut, ihr habt uns so gut gefallen!" und so weiter ... Und dann entschuldigen sie sich, dass die Crowd nicht so abgegangen ist. Dazu sage ich: "Hey, du hast dich doch auch nicht bewegt! Was hast du denn gemacht?" Aber Berlin war wirklich gut gestern Abend.

Manche Bands sagen ja, dass es in den USA so ist: das die Leute sehr zurückhaltend sind, oder einfach nur versuchen cool auszusehen, wenn sie ein Konzert besuchen.

Jason: Ja, das ist aber mehr so ein New York-Los Angeles-Ding. Im Rest der Staaten ist das ganz anders. Aber in diesen beiden Städten ist das so. Weil es so viele Bands gibt, die dorthin kommen. Du musst schon verdammt gut sein, um dort zu landen. Sogar wenn du deine beste Show ever spielst, kann es sein, dass die Leute nur rumstehen. Es ist ein bisschen wie in Hamburg. Sie sind zu cool. Sie sind nur zum Zuschauen da und wollen wirklich gut unterhalten werden. Aber in Hamburg bekommen sie ja auch tonnenweise Bands zu sehen. Berlin ist da anders. Oder Chicago. Die haben bessere Crowds als New York oder LA.

Könnt ihr einen Unterschied ausmachen in der Art und Weise, wie eure Musik diesseits und jenseits des Atlantiks funktioniert?

Carrie: Naja, eigentlich ist es von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Manchmal kommen wir in einer Stadt in den Staaten von der Bühne und fragen uns: "War die Soundanlage an? Haben die uns überhaupt gehört?" (lacht) Philadelphia zum Beispiel ist traditionell schlecht für uns. Die Kids da sind einfach ... Aber andere Bands sagen das auch. Manchmal ist es einfach die Stadt. Großbritannien war das erste Land, dass uns wirklich schätzen lernte. Die Leute dort haben uns als erstes gezeigt, dass sie uns wirklich sehr mögen. Das vergessen wir nicht. Wir sind immer sehr erfreut, wenn wir dort spielen können. Ich erinnere mich, dass wir vor zweieinhalb Jahren in Frankreich gespielt haben, und die Leute waren einfach nur wahnsinnig. An so was erinnert man sich.

Seid ihr mit eurem neuen Album zufrieden?

Jason: Als Band sind wir natürlich sehr stolz.

Carrie: Wir haben etwas geschaffen, auf das wir wirklich stolz sind. Jetzt beißen wir uns grade daran die Zähne aus, wie wir es live spielen sollen. Aber nach jeder Show fühlen wir uns besser mit den Songs. Jeder von uns ist stolz, weil wir so viel Arbeit in dieses Album gesteckt haben. Es sieht gut aus, und es klingt so, wie wir es wollten. In zehn Jahren sehen wir auf dieses Album zurück und werden wahrscheinlich immer noch stolz drauf sein!

Ich frage, weil ihr mal gesagt habt, dass ihr mit Eurem ersten Album nicht so zufrieden seid.

Jason: Leute, die beide Alben gehört haben, sagen, dass die Alben tontechnisch wie Tag und Nacht sind. Beim neuen Album waren wir eine sehr tighte Band, wir sind jetzt schon drei Jahre zusammen. Wir kannten die Songs und hatten keinen Stress. Wir konnten tun, was wir wollten, wo wir es wollten und hatten dabei so viel Zeit, wie wir brauchten. Dabei hat es nur vier Wochen gedauert, das Album aufzunehmen! Bei dem ersten Album hingegen waren wir als Band erst dreieinhalb Monate zusammen. Wir waren nicht tight, Carrie war grade erst in die Band gekommen und lernte die Songs noch, als wir schon im Studio waren. Sie hat das großartig gemacht. Wir hatten einen Tag für die Aufnahmen und einen Tag für die Abmischung. Egal wie gut die Musiker oder die Producer sind, so ein Album wird nie gut klingen. Es war wie eine Liveaufnahme. Eigentlich war es eine gute Werkschau. So wie wir damals klangen. Nach sechs Monaten dann, als wir tourten, kamen die Leute zu uns und sagten: "Ihr seid so eine geile Liveband, warum klingt euer Album nicht besser?" Tja, weil wir halt noch nicht lange als Band zusammen waren und im Studio keine Zeit hatten. Wir hatten nicht das nötige Geld, so konnten wir nicht das Album machen, das uns vorschwebte.

Das neue Album habt ihr ja in Kalifornien aufgenommen.

Jason: In einer kleinen Stadt namens Sausalito, direkt am Pazifik. Marcie, Don und Carrie haben in einem Hausboot gewohnt und ich war in diesem beschissenen kleinen Hotel untergekommen. Wir kamen sehr entspannt dort an und waren bereit für die Aufnahmen. Wir sind da nicht hingegangen, weil es Kalifornien war. Niemand hat uns gezwungen. Es war einfach billiger. Unser Producer lebt gleich um die Ecke vom Studio. Man muss nicht in Detroit oder in Chicago aufnehmen. Man kann aufnehmen wo man will, die Musik wird sich durchsetzen, egal, wie das Studio und die Band klingen. Die Gegend hatte keinen Einfluss. Ihr Deutschen fragt das immer. Mit Kalifornien hat das nichts zu tun.

Danke für die Abkürzung! Ein paar der Songs sind wirklich langsame, bluesige Stücke, wie zum Beispiel "Been Swank" und "Mairead".

Jason: Ja! Und "Right Of Way".

Diese Songs stechen ein wenig heraus, neben den Rocknummern. Ist es nicht seltsam, solche Musik von einer jungen Band 2004 zu hören? In was für einer Stimmung schreibst du solche Songs?

Jason: "Been Swank" ist einer unserer beliebtesten Songs in Großbritannien. Die Leute lieben es, sie singen mit. Die Stimmung bei Songwriting? Es ist die momentane Inspiration. Irgendwas schießt mir durch den Kopf und ich erinnere mich an irgendwas, das schon ein paar Jahre her ist. Und darüber schreibe ich dann einen Song. Ich bin jetzt nicht jemand, der sich hinsetzt und sagt: "So, das ist also der Blues!" Ich meine, ich respektiere den Blues und ich weiß, dass vieles von der Musik die wir spielen dort ihren Ursprung hat. Ich habe den Blues nie spielen gelernt. Aber es ist leicht, ihn zu spielen. Das und straighter Punk sind die einfachsten Musikstile. Meine Freunde, die Leute mit denen ich aufwuchs und ich, wir können das im Schlaf spielen. Dafür muss man keinen Unterricht nehmen. Es sind ja nur ein paar Noten. It's all about rhythm! Als ich Gitarre lernte, hatte ich keinen Unterricht und keinen Lehrer. Das habe ich mir alles selbst beigebracht. Ich habe damit angefangen, einfach die E-Saite anzureißen. Das habe ich dann einen Monat lang gemacht. Ich habe mich mehr auf den Rhythmus konzentriert als auf die Akkorde. Unsere Songs haben ja auch viel Rhythmus. Nimm zum Beispiel die Bassline von "Been Swank": die basiert nur auf Rhythmus. Es war eigentlich eine Guitarline, aber ich wusste nicht, wie ich sie spielen und gleichzeitig dabei singen sollte. Also spiele ich jetzt was Einfacheres auf diese Bassline.

Schreibst du alle Songs?

Jason: Naja, jeder hat so seine Eingaben. Ich habe die Ideen für gut drei Viertel unserer Songs. Der Rest kommt dann zusammen, wenn wir als Band üben. Manchmal schreiben die anderen ihre eigenen Parts. Dann setzen wir uns zusammen und arbeiten die Stops und Starts aus. Auf dem ersten Album gibt es da ein paar Beispiele. Da sage ich Don dann: spiel' hier eine Roll oder hier einen Fill. Ich weiß zwar nicht, was ein Fill ist, aber ich sage es ihm und wir arbeiten Hand in Hand. Wir zwei haben ja auch das ganze erste Album gemacht. Auf dem neuen Album sind wir alle besser vertreten.

Wie macht ihr das denn mit den Lyrics? Weil Carrie ja auch singt, und du, Jason, ja auch mal Background singst.

Jason: Ich schreibe alle Lyrics. Egal wer singt. Außer bei "The Fever". Das hat Don geschrieben. Da bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt: "Don, bitte mach du das! Ich will mal sehen, ob du das kannst!" Und er kann es! Ich musste ihn wirklich zwingen, auch mal was zu schreiben. Man braucht ein bisschen Überzeugung, um zu schreiben, vor allem, wenn die Band schon einen Haupt-Songwriter hat. Don hatte nur Angst, er würde irgendeinen Quatsch schreiben. Aber es wurde großartig!

Stimmt es, dass ihr euch schon seit der Kindheit kennt?

Carrie: Jason und ich kennen uns schon seit der dritten Klasse. Wir waren nicht befreundet, aber wir wuchsen in derselben Stadt außerhalb von Detroit auf. Dann sind wir zusammen auf der High School gewesen. Da haben wir uns wirklich kennen gelernt. Aber Don, Marcie und Jason kennen sich auch ungefähr seit dieser Zeit.

Jason: Wir alle kennen uns jetzt seit sechs, sieben Jahren.

Hinten auf eurem Album ist ein Foto, auf dem ihr alle zusammen im Bett liegt. Sagt das etwas über euch als Band aus?

Jason: Ja, es soll mit einem Augenzwinkern sagen, wie nah wir uns als Band sind.

Carrie: Ich denke, es soll einfach nur ein doofes Bild sein.

Jason: So nach dem Motto: Jungs und Mädels in einer Band schlafen miteinander. Das ist lustig, denn daran haben wir noch nie gedacht. Ich bin ja auch verheiratet. Wir sind uns einfach so nah, dass wir oben ohne zusammen in Betten rumhängen! (lacht)

Carrie: Wir haben ja schon eine Menge zusammen erlebt. Dadurch sind wir uns näher gekommen. Wir verbringen so viel Zeit miteinander. Da würde es uns wahnsinnig machen, wenn wir nicht auch befreundet wären. Unsere Freundschaften wachsen durch diese Zeit zusammen. Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft.

Verbringt ihr auch viel Freizeit miteinander?

Jason: Ich wünschte, wir hätten ein bisschen Freizeit. Wir touren ja acht Monate im Jahr. Den Rest der Zeit machen wir dann so unsere eigenen Dinger, ein bisschen proben wir zusammen. Wenn wir nicht touren, sehen wir uns trotzdem dreimal die Woche. Aber wir haben auch noch unsere eigenen Leben, außerhalb der Band. Das ist das Einzige, was dich nicht verrückt werden lässt. Es ist ja so als wenn du jeden Tag zur Arbeit gehst. Da siehst du ja auch jeden Tag die gleichen Leute, mit denen Du Abends nicht in der Bar rumhängen würdest. Bei uns ist das anders. Wir rufen uns gegenseitig an und fragen ob jemand Lust hat, rauszugehen.

Ich weiß, dass ihr nicht gerne über das nächste Thema redet ...

Jason: Niemand redet gerne über das Thema!

Ok. Ich mach es kurz: Seid ihr traurig, dass ihr durch den Zwischenfall mit Jack White die Art von Promo bekommen habt, die ihr vielleicht gar nicht wolltet?

Carrie: Dieser Zwischenfall kam zu so einem unglücklichen Zeitpunkt. Wir haben dieses neue Album, auf das wir so stolz sind. Und als es passierte wussten wir alle: 'Oh nein, das wird jetzt unser Album völlig überschatten!' Das hat uns alle ziemlich runtergezogen. Es ist jetzt schon zwei Monate her und die Leute fragen uns immer noch danach. Ich mag diese Situation nicht, aber es passieren auch viele positive Dinge im Moment. Wir realisieren grade, dass wir etwas geschafft haben, auf das wir sehr stolz sind, und stellen fest, dass die Leute unser Album wirklich schätzen. Wir machen einfach weiter und lassen diese Geschichte hinter uns. Wir wollen einfach dieses Highlight promoten, und die Leute verstehen das auch.

Seid ihr euch bewusst, dass es einen deutschen Produzenten namens Jack White gibt?

Carrie: Nein! Wirklich? Was für Musik macht er? Ist er älter als der andere Jack White?

Jason: Macht er Techno?

Nein. Er produzierte unter anderem David Hasselhoff.

Jason: Das macht Sinn. Sehr ironisch!

Carrie: Das ist ja witzig!

Jason, erinnerst du dich an Rocco Klein?

Jason: Oh ja, er ist gestorben. Er hat mich an dem Tag interviewt, als er von Viva die Kündigung erhalten hatte. Er hatte einen sehr emotionalen Tag. Am selben Tag war meine jetzige Frau mit Herzproblemen im Krankenhaus. Also war ich auch wirklich aufgewühlt, und er auch. We had a moment! Wir haben lange miteinander gesprochen. Ursprünglich waren 15 Minuten für unser Gespräch angesetzt, aber wir haben dann doch drei Stunden geredet. Er war ein Guter! Es ist traurig. Und er war so jung. Normalerweise, wenn ich mich von jemandem nach einem Interview verabschiede, gebe ich ihm die Hand. Wir haben uns umarmt. So was macht man ja nicht so einfach! Es ist schade, dass wir nicht zu seinem Konzert da sind.

Letzte Frage: Was ist ein "Pawn Shoppe Heart"?

Jason: In der Straße in der ich früher gelebt habe, war ein Leihgeschäft. Ich suchte nach einem Ehering für meine Frau, aber ich war komplett pleite. Also ging ich in das Leihgeschäft und fragte, ob sie Eheringe hätten. Der Typ holt eine Kiste raus und schüttet mir einen ganzen Haufen mit Eheringen vor die Nase. Das hat mich sehr traurig gemacht. An jedem dieser Ringe hingen irgendwelche Herzen. Das ist ein "Pawn Shoppe Heart". Ich musste daran denken, dass das, was da vor mir lag, alles abgesagte Hochzeiten waren. Oder Scheidungen. So wollte ich nicht anfangen. Also habe ich Geld gespart und später Ringe gekauft. Auf dem Cover zum Album sieht man vier kleine Handkarren. In jedem dieser Wägen liegen Dinge, die eine Bedeutung für uns haben. Jeder von uns hat seinen Karren. Wenn du erraten kannst, welcher dieser vier Wagen zu wem gehört, dann kennst du uns ziemlich gut.

Ich dachte vielleicht, dass das Bild, das der Titel erzeugt, eine Reflektion des Musikbiz ist: ihr als Musiker verkauft ein Stück von euch an die Leute von der Plattenfirma, oder an die Hörer.

Carrie: Ja, stimmt. Es gibt da diese emotionale Komponente bei Liveshows. Wir geben unserem Publikum ein Stück von uns, und im Gegenzug geben sie uns etwas. Aber das ist bei jeder Show anders und es kommt immer auf das Publikum an, wie viel wir geben.

Jason: Oh, und ich versuche bei jeder Show deutsch zu sprechen. Es tut mir leid! Gestern Abend habe ich "Liebe" gesagt, aber niemand hat darauf reagiert! Aber ich habe es versucht. Next time then!

Das Interview führte Mathias Möller

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