laut.de-Kritik
Noch nie war R'n'B so verdammt cool!
Review von Johannes JimenoIm Vorfeld zu "Starboy" wurde beeindruckende Promo aufgefahren. Zunächst das Video zum Titeltrack, in dem The Weeknd sein Altes Ich umbringt samt ikonischer Frisur. Mit feschem Kurzhaarschnitt und Daft Punk im Gepäck markiert er seine persönliche Zäsur. Der Clip zu "False Alarm" ließ den Atem stocken, zwei zusätzlich streambare Singles und der Kurzfilm "M A N I A" mit weiteren Hörproben schloss den Reigen an Appetitanregern ab.
Auffällig dabei ist der durchgehende Stil der Visualisierungen: sinister, Neonlichter, Film noir der 80er Jahre. Abel trägt schwarze Lederjacken und Handschuhe und präsentiert sich als cooler, tougher Star, den alle lieben und dem keiner etwas anhaben kann. Er ist nicht mehr dieser verschüchterte Barde, der verkopften Neo-R'n'B produziert, sondern steht nun für etwas zugänglichere Hits.
Erfreulich, dass visuelle und musikalische Ästhetik Hand in Hand gehen und sich ergänzen. Meist dunkle Beatstrukturen, unüberhörbarer 80s-Einfluss, Balladen und Abels wunderbare Stimme bilden ein konsistentes Gerüst. "Party Monster" zeigt das sogleich, wenn bedrohliche Synthies seine Zeilen über Bettgeschichten und Drogen unterfüttern. Gegen Ende haucht Lana Del Rey mehrmals "Paranoid" ins Mikrophon, der Beat wird schwerer und verzerrter.
Lana taucht ein zweites Mal im "Stargirl Interlude" auf und verführt mit einem verrucht-entrückten Vortrag, umrandet von einem wabernden Hintergrund und zärtlichem Ausfaden. Thematisch geht es um ein Schäferstündchen in der Küche. Sex spielt selbstverständlich eine tragende Rolle im Leben des Abel Tesfaye.
"Rockin'" beschreibt eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen mit Deephouse-Synthies und Garage-House. Die Folgen eines One Night Stands hört man im funky-mitreißenden "A Lonely Night". Das "Ordinary Life" schildert etwas gefällig unter anderem einen Blowjob während einer Autofahrt.
Frauen können das Leben aber auch erschweren, wenn man sie nicht frühzeitig durchschaut oder Abstand von ihnen nimmt. "False Alarm", das an "Thinkin' Bout You" von Frank Ocean erinnernde "Attention" und "Six Feet Under" warnen eindringlich vor Golddiggern.
Persönliche Einblicke gestattet das tadellose "Sidewalks" mit einem saucoolen Riff und geschmeidigen Beat. The Weeknd singt über seine schwierigen Anfangstage, die er ohne einen Vater bestreiten musste. Ebenso unangenehme Zeiten hat Partner Kendrick Lamar hinter sich. Dessen Part überfordert den gemeinen Hörer mit haufenweise Anspielungen (unter anderem an Michael Jacksons "Say, Say, Say"), urplötzlichen Rhythmuswechseln und Veränderungen der Intonation. Da kommt man einfach nicht hinterher, bewundernswert und einmalig ist das trotzdem. Ein wahrlich gelungener Überraschungsgast ist Sam Smith, der urplötzlich mit seiner berühmten Falsett-Stimme über die Bridge croont.
Die größte persönliche Veränderung The Weeknds ist seine Fähigkeit, zu lieben. Zu Zeiten von "The Trilogy" konnte er sich keinesfalls binden, Nähe war auch im "Kiss Land" nur bedingt möglich. Ein kleines Zugeständnis, dass eine langfristige Beziehung im Bereich des Möglichen liegt, fand bereits in "Beauty Behind The Madness" statt. In "Starboy" steckt die Botschaft: Ich bin bereit für eine tiefgehende Liebe, auch wenn es mich viel Kraft kostet.
In "Love To Lay", einem der musikalisch schwächeren Tracks, vermittelt Abel, dass es nicht immer Sex sein muss, sondern dass auch das schlichte Nebeneinanderliegen erfüllend sein kann. Eine gewisse Distanz bewahrt er sich trotzdem in "All I Know", wenn er seiner Liebsten versichert, dass es Zeit braucht, bis er sich ihr vollständig öffnet. Futures Part fällt dazu gewohnt dope aus.
Zudem interessiert Tesfaye der wahre Charakter einer Frau. Er möchte hinter die Fassade blicken. Das charmante "Secrets" mit New Wave-Sounds und funky Gitarren zitiert im Refrain den 80er-Hit "Talking In Your Sleep" von The Romantics, beim Outro "Pale Shelter" von Tears For Fears. Beide Hommagen betten sich butterweich in den Kontext ein. So entsteht einer der brillantesten Songs des Albums.
"True Colors" ist die Vorzeige-R'n'B-Ballade: cheesy, aber berührend. Darin möchte Abel die echten Züge seiner Herzensdame sehen. Sein Vibrato und Falsett-Gesang erinnern dabei frappierend an Michael Jackson.
All diese Emotionalität gipfelt in "Die For You". Abel hat diesen Song eine Woche vor Beendigung von "Starboy" geschrieben und behandelt die gescheiterte Beziehung mit dem Supermodel Bella Hadid. Das lässt ihn sehr leiden: "I'm scared that I'll miss you / Happens every time / I don't want this feelin' / I can't afford love / I try to find reason to pull us apart / It ain't workin' 'cause you're perfect / And I know that you're worth it / I can't walk away, oh!" Im Chorus behält er sie weiterhin in seinem Herzen und würde für sie alles tun. Ein herzzerreißendes Stück, das mit perfekt inszenierter Dramatik über die aufbauende Bridge in den explodierenden Refrain mündet.
Und wie machen sich Daft Punk? Die beiden Franzosen verpassen dem Titeltrack eine schön düstere Note und zeigen sich im Endstück so süß wie noch nie zuvor: "I Feel It Coming" ist die zarteste Versuchung seit es French-House gibt. Mit einer riesigen Injektion Michael Jackson, 80er-Beat und funky Tunes generieren sie einen schmeichelnden Schluss für ein sehr rundes Album. Es klingt einfach immer sophisticated, wenn die Roboter der elektronischen Musik ans Mikrophon treten.
Hinter "Starboy" steckt weitaus mehr als nur die Verarbeitung seines Ruhms, die Erfahrungen mit Frauen und schnellen Autos. The Weeknd ist ein gereifter, dennoch tief im Inneren sensibler Künstler, der selbstbewusst zwischen High Life und dem Verlangen nach Zweisamkeit erzählt und dies nicht zu knapp, ergötzen sich seine seelischen Einblicke doch über 70 Minuten lang. Dies ist auch der einzige Kritikpunkt, denn es schleichen sich mehrere mäßige Lieder ein, die das Album verwässern. Dennoch bleibt festzuhalten: Noch nie war R'n'B so verdammt cool!
15 Kommentare mit 10 Antworten
Fand die Promo eher abschreckend. Wird dennoch kein Weg dran vorbeifûhren. Warte schon zu lange auf ein Weeknd-Album, das mir in Gänze gefällt.
Neben Bruno das beste an RnB diese Jahr. Das werden viele, zurecht, poppiger finden als bisher (auch wenn man das Beauty Behind..... schon vorgeworfen hat), aber so mag ich Pop. Der Thursday Weeknd scheint komplett verschwunden, aber im Superstarmodus wird es auch keine zweite Trilogy mehr geben. Dennoch gute Musik. Wer es sperrig und anstrengend mag kann ja F.Ocean oder die Keys hören. Waren wiederum beide nix für mich dieses Jahr.
Whut, "Here" hat Dir nicht getaugt? Why? War übertrieben angetan davon!
Alicia lass ich nachher mal rotieren.
Element of Freedom fand ich noch gut, Girl on Fire sehr schwach und Here catcht mich einfach nicht. In Common hatte Hoffnungen geweckt, aber außer More than we know ist nix hängen geblieben.
EoF hat mich bis auf die Hits eher gelangweilt, aber Here ertönt erstaunlich geerdet, wenn auch gegen Ende hin etwas konventionell, aber mir gefällt's. Kann man gut durchhören.
Blonde wirkte nach ein paar Wochen echt blass.
Extrem starke erste Häfte, alles nach 'Sidewalks' fand ich allerdings irgendwie nur okay bis naja - Lana und Kendrick Lamar features beide überragend gut!
'Secrets' und 'I Feel It Coming' beste songs.
I Feel It Coming nimmt langsam Get Lucky/Happy-Ausmaße an vong Airplay her. Ach, hätte Michael es doch singen können... ♥
Hatte erst Muffensausen, als ich gesehen habe, dass Django77 bei TheWeeknd kommentiert hat... aber scheinbar grundlos.
war auch schweißnass wie Craze, bin aber froh dass sich alles als harmlos entpuppt hat
Man kann nun einmal nicht leugnen, dass man den Michael raushört...
bis Sidewalks okay, danach meh