laut.de-Kritik
Can you hear the sound of infinity? - Oh ja!
Review von Theresa LockerUnd dann hat der Stephen zu seinem Freund Stephen gesagt: "Sing doch mal mehr!", und der so, "OK." Und weil der erste Stephen eigentlich Flying Lotus heißt und heißen Scheiß produziert und der zweite Stephen ein Bassvirtuose mit guter Stimme ist, ist dessen zweites Album sogar noch besser als das Debüt geworden und klingt garantiert wie kein anderer Release in diesem Jahr.
Ende der Geschichte? Nee. Eigentlich ist der musikalische Virtuose in Verruf geraten, er nervt wie ein aufdringlicher Pantomime und wird daher gern in seinem prätentiösen Gehabe mit Nichtbeachtung gestraft. Ein Hauptvorwurf dabei lautet: Wer sich zu sehr auf die kunstvolle Beherrschung seines Instruments und die Zurschaustellung seiner Fähigkeiten konzentriert, lässt keinen Platz für das Gefühl, das Musik ja irgendwann mal transportieren sollte. Wen juckt's, ob Eddie Van Halen 26 Töne pro Sekunde anschlagen kann - und ist Steve Vai wirklich ein Loser, weil er nur 23,5 schafft?
Wenn aber jemand den Besserwisser-Gestus von seinem perfekt beherrschten Handwerk abstreift und sein Instrument zum Vehikel seines Seelenzustands macht, kann wenig schiefgehen. Ist dieser Profi dann auch noch ein liebenswert-unverwüstlicher Animefreak aus dem hyperaktiv rasenden Brainfeeder-Herz - live zum Niederknien und gern mal wirr gekleidet in Kettenhemd, Basecap und Poncho - kann er den Hörer nah an sich ziehen und in besten Momenten in andere Dimensionen katapultieren.
War das Debüt "The Golden Age of Apocalyse" noch eine unbeschwerte, sonnige Poolparty, zieht Stephen Bruner alias Thundercat uns nun unter Wasser ins offene Meer. Der Beat brodelt hyperfuturistisch direkt unter der sonnengewärmten Oberfläche, die subtil durch Bruners Stimme zusammengehalten wird. Unterfüttert, aber nicht dominiert wird sein einzigartiger Sound von Basslinien, dass einem ganz schwindelig wird.
In diesen Gewässern scheinen Flying Lotus und Thundercat symbiotisch miteinander verwachsen zu sein wie Koralle und Korallenfisch. Wo der Produzent Beats und Black Music-Konventionen schneller und gewandter zerhackt, als das Hirn dem Körper Signale zum Tanzen geben kann, setzt Thundercat mit seinem melodiös sprudelnden Sound an und schraubt sich damit majestätisch über alle Köpfe hinweg. Schon der erste, genial ungreifbare Ton auf "Tenfold" schreit: Am Start!
Geschmeidig zwirbelt er Stimme, Melodien und Texturen um seinen Bass, und selbst beinahe nackt wie auf "Evangelion", wo nur er, ein minimalistischer Takthalter und sein Bass zu hören sind, ist er präsent und raumfüllend wie ein ganzes Orchester. Bruner scheint die Stücke aber für seine Stimme zu schreiben, statt sie als Füllsel für seinen Bass einzusetzen, wenn ihm mal nichts mehr einfällt.
Wie gut und wendig Thundercat als Bassist ist, lässt sich auf keinem der Stücke ignorieren: "Lotus And The Jondy" ist ein zurückgelehntes, psychedelisches Augenzwinkern mit vernebelter Iris und Drumsolo von Mars Volta-Drummer Thomas Pridgen, daneben schwebt das submarine Instrumental "Seven". Auf der "Special Stage" werden Sonic The Hedgehog-Soundeffekte verbraten, das Herzstück der Platte bildet das fein arrangierte "Heartbreaks + Setbacks" mit seinem tausendschichtigen Groove, der einem schier den Atem nimmt.
Und nicht nur das: Mit seinem zweiten Album hat Steve Bruner gelernt, seine Lieder auch zu singen. Geimpft mit dem Fusion-Jazz von Mahavishnu Orchestra, Sun Ra und Lonnie Liston Smith spielt er seinen Bass fast wie ein Klavier und jagt das Metronom um die Häuser. So wie sich Lonnie Liston Smith vom Sideman zum Bandleader einer durchaus verwandten Form des Fusion und Spacefunk entwickelte, durchlebte Bruner eine Transformtion vom Live- und Studiomusiker zu Thundercat, Frontman seiner eigenen Show, Genre: scheißegal. Und da gehört er auch hin, statt sich beispielsweise als Tourbassist von einem überforderten Snoop Dogg anbellen lassen zu müssen, er spiele in seinen Solos "irgendwie viel zu viele Töne".
Je näher man bei "Apocalypse" an der Oberfläche bleibt, umso mehr Klangfarben strahlen, wie beim fett schäumenden Clubfunk "Oh Sheit It's X" (Ernsthaft, schon wieder eine Ecstasyhymne?! Wann kommt das 4-CD-Boxset?) oder der Unterwasserodyssee "The Life Aquatic". Doch bei aller Schönheit ist das Gewässer nicht seicht, sondern abgründig.
In den dunklen Tiefen des Soundmeers, in das man sich hineinsinken lassen kann, kristallisiert sich das Thema des Albums in klarer Sprache und sehnsüchtigen Harmonien heraus: Klarkommen mit dem Verlust. Nicht die Angst davor, sondern das Nachdenken über Tragödien, Überlebensstrategien und Sinnsuche im schwarzen Wasser. "Do you know time will pass you by? / You'll die / We'll die."
Die Apokalypse, von der Thundercat singt, das spärlich ausgeleuchtete Cover mit Bruners Profil im Halbschatten deutet es schon an, ist eine persönliche. Sie nimmt Form an, wenn das Weltbild eines Zwanzigjährigen sich einige Jahre später in Richtung Bedeutungslosigkeit verabschiedet. Das kann schleichend und sanft passieren, wenn die Partygespräche plötzlich schal erscheinen und man keine Freunde mehr findet, mit denen man wochentags die Nächte durchmachen kann - oder abrupt, wie bei Bruner, der seinen besten Freund und hypertalentierten Pianisten Austin Peralta erst 22-jährig durch eine Überdosis in Kombination mit einer Lungenentzündung verlor.
Es ist in seiner textlichen Emotionalität und musikalischen Coolness daher vielleicht das unkitschigste Requiem und Konzeptalbum ums Erwachsenwerden, das seit langem geschrieben wurde. Und der Verfasser verliert weder Humor noch Hoffnung: "Maybe this could be a chance for us to see / Maybe we'll figure out where we're supposed to be."
Thundercat hat dem blubbernden Exzess des Sommer-Jams eine kleine Auszeit gegeben, den er noch auf dem ersten Album ebenso brilliant wie überschwänglich neu erfunden hatte. An seine Stelle tritt eine reflektierte Inspiration, die tief schürft, aber nie in Tristesse abgleitet, sondern nebenbei mal eben die futuristischste Auslgegung von Soul, Progrock, Elektrojazz und Brainfeeder-Checkertum auf den Tisch legt. "Can you hear the sound of infinity?" Oh ja!
1 Kommentar
Klingt eher nach 5*.