laut.de-Kritik
Die Wüste lebt!
Review von Simon LangemannUnter afrikanischer Volksmusik stellt sich der durchschnittliche westliche Musikhörer meist wilde Trommelrhythmen und enthusiastische Chorgesänge vor. Wer die Wurzeln und Lebensumstände der nunmehr fast dreißig Jahre bestehenden Band Tinariwen kennt, wundert sich nicht darüber, dass "Tassili" ein etwas anderes Szenario bietet.
Die vom Volk der Tuareg abstammenden Musiker vertonen ihr Leben in der Wüste und setzen dabei auf eine Mischung aus der musikalischen Kultur ihrer Vorfahren und Einflüssen westlicher Pop- und Rockmusik. Die deutliche Dominanz der afrikanischen Stilrichtung erklärt sich vor allem damit, dass Tinariwen aufgrund der unsicheren Situation in Nord-Mali nicht auf ihr eigentliches Studio zurückgreifen konnten. Stattdessen enstand das Album in einem Zeltlager in Südalgerien, wo die Musiker ausschließlich akustische Instrumente verwendeten.
Die Euphorie, die man sich bei afrikanischer Weltmusik fast gar automatisch erhofft, lassen die Musiker fast komplett außen vor. Stattdessen entspricht der Klang der Musik ihrer Umgebung, der Wüste: staubtrocken, kahl und flach. Zwar macht das die zwölf Stücke auf "Tassili" zu schwerer Kost, es ermöglicht dem Hörer jedoch, sich die Umgebung der Künstler auszumalen.
Insgesamt zeichnen Tinariwen dennoch ein wechselhaftes Bild ihres Lebensraums. Einerseits sind viele Songs bewusst monoton gehalten und bleiben dabei oftmals von Anfang bis Ende auf einem Akkord stehen. Mit diesem Prinzip verleihen die Afrikaner den Stücken einen tristen, teilweise fast schon starren Charakter.
"Tenidagh Hegh Djeredjere" wirkt dabei mit wirrer Gitarrenbegleitung und rhythmisch ungewöhlichen Percussions trotz seiner Ruhe sehr verstörend. Mit dem eröffnenden "Imidiwan Ma Tennam" schaffen die Afrikaner mit Unterstützung des Wilco-Gitarristen Nels Cline dagegen trotz harmonischem Minimalismus eine abwechslungsreiche Nummer.
Auf der anderen Seite stehen wohlklingendere Stücke wie "Walla Illa", "Tamiditin Tan Ufrawan" oder "Takkest Tamidaret". Wirklich herausstechen tut dabei nur das treibende "Tenere Taqqim Tossam". Bezüglich Hörspaß erreichen Tinariwen hier vor allem dank des eingängigen, englischen Refrains den Höhepunkt der Platte.
Interessante Ansätze findet man auf "Tassili" an jeder Ecke, leider mangelt es teilweise aber auch an Abwechslung und neuen Ideen. Sicherlich darf man von einer Art Programmmusik-Album über die Sahara keine Achterbahnfahrt der Gefühle erwarten. Jedoch bedauert man ein wenig, dass Tinariwen manche Einfälle auf ihrer Platte scheinbar gleich mehrmals ausgiebig verarbeiten.
So weist beispielsweise "Aden Osamnat" vor allem rhythmisch eine erschreckende Ähnlichkeit zum Opener "Imidiwan Ma Tennam" auf. Auch bei "Iswegh Attay" fühlt man sich bezüglich Melodieführung unangenehm an bereits vorangegangenes ("Walla Illa")erinnert.
Dennoch legen die erfahrenen Musiker mit ihrer sechsten CD-Veröffentlichung ein für westliche Musikliebhaber sehr außergewöhnliches Album vor. "Tassili" stellt den passenden Soundtrack für eine gedankliche Reise in die Sahara und spiegelt deren Trockenheit und Hitze sehr klar und deutlich wider.
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