laut.de-Biographie
Toumani Diabaté
Die Annahme, ein Generationenabstand dauere ca. 25 Jahre, verleiht Diabatés Aussage das angemessene Gewicht. "Ich stehe in der 71. Generation einer Familie von Kora-Spielern." Skeptiker mögen anmerken, dass hier europäische Verhältnisse zu Grunde gelegt werden und in Mali andere Bedingungen herrschen. Nehmen wir also an, ein westafrikanischer Generationenabstand betrüge ca. 15 Jahre, sprechen wir immer noch über eine 1065-jährige Familientradition. In anderen Berechnungen wird ihm eine 700-jährige Geschichte bescheinigt. Einigen wir uns darauf: Toumani Diabaté blickt auf eine verdammt lange Griot-Historie zurück.
So etwas bleibt genetisch nicht ohne Folgen. "Obwohl mein Vater als größter lebender Kora-Spieler galt, habe ich das Spiel nicht von ihm gelernt, ich hatte es schon im Blut. Aber ich hörte auch westliche Musik, Jimi Hendrix, James Brown, Otis Redding, Stevie Wonder. Seit damals wollte ich alles unternehmen, um eine universelle Pforte für die Kora zu öffnen, wobei ich sie immer als Identifikations-Instrument der Mandingue-Kultur respektiert habe."
Die Kora ist hierzulande als 21-saitige Steg-Harfe mit gewaltigem, von einer Kuhhaut überzogenem Kürbis-Resonanzkörper bekannt. Seit Jahrhunderten hat sich die Bau- und Spielweise des Instruments nur minimal verändert. Ursprünglich hatte Diabaté auch nicht geplant, die Spieltechnik des Instruments neu zu definieren. Dennoch erschafft er mit seinen beiden Soloalben "Kaira" (1987) und "The Mandé Variations" (2008) Werke, die als Meilensteine der Kora-Kunst amtieren. "Er entwickelte auf den 21 Saiten eine stupende Unabhängigkeit von Bass, begleitenden Mittelstimmen und Improvisation wie kein anderer vor ihm", heißt es über seine Fähigkeiten.
Zur Welt kommt Toumani Diabate am 10. August 1965 in Malis Hauptstadt Bamako. An den Sohn des berühmten Kora-Virtuosen Sidiki Diabaté, werden wie selbstverständlich die Erwartungen von 70 Generationen gestellt. Doch das belastet Toumani genauso wenig wie die Tatsache, dass sein Vater 1970 - als erster überhaupt - ein Koraalbum aufnimmt. Seine Leidenschaft für das Koraspiel ist so tief in seinen Genen verankert, dass er mit 22 Jahren der Weltöffentlichkeit "Kaira" präsentiert. Seine instrumentalen Fähigkeiten und sein unbeschwerter Sturm und Drang, lassen ein Solo-Debüt-Album reifen, das den Standard eines modernen, zeitgemäßen Kora-Spiels darlegt.
Bereits ein Jahr später feiert er in der spanischen Flamenco-Fusion-Band Ketama internationale Erfolge. Ihre Alben "Songhai" und "Songhai 2" gelten manchem als frühe Weltmusik-Perlen und Toumani Diabaté erspielt sich in den Ketama-Jahren einen erstklassigen Ruf als Experte in allen Kora-Fragen.
1999 baut er mit Mit Taj Mahal die Mali-Memphis-Brücke, die den Namen "Kulanjan" erhält. Das einzigartige Experiment Posaune/Kora, das er mit dem Free Jazz-Musiker Roswell Rudd kreiert, mündet 2003 in dem Album "Malicool".
Für "In The Heart Of The Moon" (mit Ali Farka Touré und Ry Cooder) erhält Diabaté 2006 einen Grammy! "In The Heart Of The Moon" ist ein monumentales Werk, das mit einem Klangkörper von über 50 Musikern "aus dem gesamten Gebiet des ehemaligen Mande-Reichs klar stellt, wer jenseits kolonialer Willkür in Westafrika zusammengehört" (Jazzthing). Damit setzt Diabaté neben musikalischen, auch politische Zeichen.
In der Folge des Grammy-Trubels sucht Damon Albarn (Blur, Gorillaz, The Good, The Bad & The Queen) den Kontakt zu Toumani Diabaté. Gemeinsam spielen sie "Mali Music" ein, das Albarn, gerüchteweise ohne Diabatés Erlaubnis, 2007 veröffentlicht. Überdies lädt Björk ihn in ihr eisiges Zuhause ein, um an "Volta" mitzuwirken.
2008 erscheint "The Mandé Variations". Nach über 20 Jahren veröffentlicht Toumani Diabaté damit sein zweites Soloalbum. Über das Opus ist zu lesen: "Mit seinen visionären Interpretationen klassischer Themen und bahnbrechenden Improvisationsstücken rangiert dieses Album ganz oben in der Liste der faszinierendsten und anspruchsvollsten afrikanischen Instrumentalalben." Dem ist nichts hinzuzufügen! Außer vielleicht, dass "The Mandé Variations" schlicht ein wunderschönes Album ist.
Gilt es noch zu klären, was es mit der Tradition der Griots auf sich hat? Lassen wir Toumani Diabaté antworten: "Heute gibt es Bücher über das Mande-Imperium, wir haben Internet und Handys und unsere Historie ist bekannt auf der ganzen Welt. Die Rolle des Griots heute, ist es also, die Kultur der Mande-Völker über Afrikas Grenzen hinauszutragen um andere Kulturen zu treffen. In der Tradition, der Religion, der Politik, auch in der heutigen, hat der Griot immer seinen Platz. Denn die Schule des Griots ist eine Schule des Lebens und des Todes, eine Schule, in der gelehrt wird, wie sich ein Mensch zu den anderen verhalten soll, wie ein Mensch Frieden stiften kann."
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