laut.de-Kritik

Eine hochexplosive Mischung aus Sex, Drugs & Rock'n'Roll.

Review von

"Was ist das?", will Templeman wissen. "Ach, nichts", meint Eddie Van Halen, Namensgeber der amerikanischen Hardrock-Legende. "Nur ein paar Aufwärmübungen." - "Mach das noch mal", sagt der Produzent. "Das müssen wir aufnehmen."

So beschreibt Paul Brannigan, Journalist und Verfasser der Biografie über Gitarrenlegende Eddie Van Halen, einen markanten Moment in der Geschichte der stromerzeugten Musik. "Eruption" erhält laut dieser Unterhaltung seinen Platz auf einem Magnettonband.

In der Folge entwickelt das Stück sich zur Blaupause für unzählige Gitarristen, die in der Folge das Höher, Schneller, Weiter-Prinzip auf und über die Spitze hinaus treiben. Eddie gebührt die Ehre, die Tapping-Technik etabliert zu haben, auch wenn die Verwendung dieser Möglichkeit, Töne in extrem hoher Geschwindigkeit abzufeuern, bereits 1972 von Steve Hackett auf "Dancing With The Moonlit Knight" vom Genesis-Album "Selling England By The Pound" vorgeführt worden ist.

Auch die neoklassischen Ausflüge eines Ritchie Blackmore oder die singenden wie halsbrecherischen Einlagen eines Michael Schenker führten Vertreter wie Yngwie Malmsteen oder Steve Vai in den Achtzigern in neue Geschwindigkeits-Sphären. Und doch verkörpert der Sohn holländischer Migranten das Ideal des Guitar Hero ebenso wie das des introvertierten Genies, das sich rein der Musik verschreibt. Sein Spiel verbindet auf eindringliche Weise Solo- und Rhythmus-Gitarre. Von Melodien durchsetzte Riffs und halsbrecherisch wie härtetechnisch neue Grenzen auslotende virtuose Abfahrten kommen gleichberechtigt zur Geltung.

Als die Familie van Halen in den Sechzigern im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ankommt, ist der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, ein fernes Märchen. Der junge Edward saugt ebenso wie sein zwei Jahre älterer Bruder Alex den musikalischen Background des Elternhauses auf.

Der Vater - ein versierter Klarinettist und Klavierspieler - führt die beiden Lernbegierigen in die Welt der Musik ein. Neben einem profunden Wissen von der Welt der Töne zeigt Jan van Halen Alex und Eddie den Reiz des Nachtlebens. Eddie ist seit seinem zwölften Lebensjahr Kettenraucher und schlägt sich für den Rest seines Lebens mit dem Teufel Alkohol herum.

Den Aufstieg erarbeitet sich die junge Gruppe als Einheizer bei zahlreichen Underground-Shows und Partys. Gene Simmons von Kiss produziert das Demo-Debüt. Die vielen Spuren und insbesondere die getrennte Aufnahmeweise mag dem ausgebufften Geschäftsmann Simmons als Nonplusultra vorgekommen sein. Die Band hingegen fühlt sich im sterilen Sound-Korsett sichtlich unwohl.

Erst unter den Fittichen von Ted Templeman wird die rohe, unverstellte Energie des Quartetts eingefangen. Ein wenig ist der Ansatz 'reinkommen, spielen und wieder verschwinden' aus der Not geboren. Da der Haufen über so gut wie keine Studioerfahrung verfügt, hält Templeman dieses Vorgehen für den sinnvollsten Weg. Peu à peu mausert sich die Truppe zu mehr Professionalität. Selbst der für mehr Gegockel denn Gesinge stehende Frontpfau nimmt Gesangsunterricht.

Eddie Van Halen zeigt bei der Wahl der Mittel zum Zweck seine selbstzerstörerische Ader. Bis zum Flop "Van Halen III" mit Extreme-Sänger Gary Cherone schreibt der gebürtige Holländer seine Songs ausschließlich unter Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen. Als Resultat steht die insbesondere in der Frühphase hochexplosive Mischung aus Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Die Musiker-Porträts auf dem Artwork verkörpern Spannung und Spandex par excellance.

Die ausschweifenden Exzesse auf dem Gipfel des Erfolgs stehen Hedonismus-Experten wie Mötley Crüe in keinster Weise nach. Die Trias Sex, Drugs und Rock'n'Roll scheint nur auf die vier Nobodys aus Pasadena gewartet zu haben, um den ausschweifenden Lebensstil auf ein neues Level zu hieven. "Runnin' With The Devil" bildet den passenden Soundtrack zum allabendlichen Gelage.

David Lee Roth, Hedonismus-Experte und Zeremonienmeister, macht mit den ersten Zeilen des Stückes direkt klar, was in den kommenden 35 Minuten ansteht: "I live my life like there's no tomorrow." In der Folge entwickelt sich ein Signature-Song der Amis. Michael Anthony holpert stoisch auf den Vierteln. Alex Van Halen gerbt die Felle mit Bravour und hält die Gruppe auf Kurs.

Der Frontmann kaschiert seine limitierte Singstimme mit reichlich Storytelling und Geschrei. Die Posen, Sprünge und Sprints seiner Bühnenperformance hört man förmlich aus seiner Darbietung heraus. Die kleine Schwester des Openers in Sachen Text und musikalischer Darbietung heißt auf dem Debüt "Feel Your Love Tonight".

Ebenfalls einige wilde Nächte auf dem Kerbholz hat "I'm The One". Hier kommt ein weiteres Plus der Platte zum Tragen. Die Chöre und Gangshouts ebnen den Weg für zahlreiche Singalong-Passagen in den stetig größer werdenden Venues und tragen zumindest nach außen zum Gefühl bei, beim Genuss der Platte einer eingeschworenen Gruppe beizuwohnen.

Der eigentliche Zampano sitzt hinter den sechs Saiten. Allgegenwärtig und intuitiv beherrscht Eddie viele Stile und bündelt die Ideen in Form von Geistesblitzen. "Ain't Talking Bout Love" besteht aus gerade einmal zwei Akkorden. Wie Van Halen zwischen den fein ziselierten Strophen und dem kraftvollen Refrain changiert, ist schlicht stilprägend.

Neben den paradigmatischen Stücken wie dem Kinks-Cover und der todsicheren ersten Single "You Really Got Me" besticht insbesondere die Zusammenstellung der Nummern. Den Großteil an Eigenkompositionen hübschen Van Halen mit einigen Rock- und Blues-Originalen erheblich auf.

Was in der Szene gang und gäbe ist, verschafft ihnen mit "You Really Got Me" einen Mega-Hit. Doch die eigenen Songs stehen den Bearbeitungen in nichts nach. Ob ungezügelte Brecher wie "On Fire" und "Atomic Punk" oder ruhige Exponate wie "Jamies Cryin'" - stets versteht sich der Golden State-Hardrock-Vierer auf die Formel 'Hook + Hemdsärmeligkeit = Hit'.

Mit "1984" wächst sechs Jahre später der Bekanntheitsgrad der Band ins Unermessliche. Trotz der cheesy-Keys im Megahit "Jump" versteht die Gruppe das Einmaleins des Songwritings. Auf dem Debüt kommen auf einzigartige Weise Spontaneität und Struktur zusammen. Die Impulsivität und Energie entspringt einer jahrelangen Tüftelei in den heimischen vier Wänden und bei kleinen Gigs. Das ungekünstelte Auftreten katapultiert Van Halen aus dem Stand auf das Niveau von Superstars.

Zudem legt der Erstling den Grundstein für den weiteren Karriere-Verlauf: Das Quartett ist in den Achtzigern der Inbegriff des Stadion-Acts schlechthin. Daran ändert zunächst die Trennung von David Lee Roth und die Staffelübergabe an Sammy Hagar wenig. Bis die Attitüde zur Persiflage wird und Van Halen sich mehr über Exzesse definieren denn über energetische Krachkunst.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Runnin' With The Devil
  2. 2. Eruption
  3. 3. You Really Got Me
  4. 4. Ain't Talking Bout Love
  5. 5. I'm The One
  6. 6. Jamies Cryin'
  7. 7. Atomic Punk
  8. 8. Feel Your Love Tonight
  9. 9. Little Dreamer
  10. 10. Ice Cream Man
  11. 11. On Fire

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7 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Eddie Van Halen ist einer der einflussreichsten und begnadetsten Gitarristen überhaupt, der jegliches Lob mehr als verdient. Van Halen als Band ist aber wirklich etwas überbewertet. Klar, dieses ganze Bravado war ganz charmant, aber die Songs waren zumeist nicht besonders gut. Mit DLR hatten sie nie eine gute Balance und das hört man auf jedem Album. Mit Hagar wurden die Kompositionen besser, nur hat man die dann halt in 80er-Glitzer ertränkt.

  • Vor 2 Jahren

    Das erste Van-Halen-Album ist eines der Alben, die das E-Gitarrenspiel maßgeblich geprägt und revolutioniert haben. Eddies Riffs und meist kurzen, prägnanten Soli waren bereits auf dem ersten Album extrem ausgefeilt und völlig anders als alles, was bis dato da gewesen war, obwohl er zu dem Zeitpunkt erst in seinen frühen Zwanzigern war. In den 80ern wurde sein Sound tausendfach kopiert, aber sein Einfallsreichtum nie erreicht. Leider konnte auch die Band selbst das erste Album nie wieder toppen, alles was danach kam, ist immer weiter Richting Pop gegangen, besonders nach der Trennung von DLR. Leider war der Band auch kein gutes Alterswerk vergönnt und Eddie selbst hatte später mehr und mehr mit dem Alkohol zu kämpfen. Mittlerweile gehören Van Halen zum 80er-Metal-Kitsch, aber es macht immer noch riesigen Spaß, die Songs selbst nachzuspielen und sich über Roths oft unfreiwillig (?) komische Lyrics kaputtzulachen.

  • Vor 2 Jahren

    Bevorzuge eher die "1984". Schon echt eine geile Hardrock-Party-Platte, aber das Debüt ist als Meilenstein durchaus legitim.