laut.de-Kritik

Wie der Indie in den good old days, nur feministisch.

Review von

Da will man einfach nur seinen Freitagmorgen genießen und zack, schon kommt jemand um die Ecke, der den gleichen Job hat und so aussieht wie ich, und erklärt der Welt, warum Indie-Rock zurück ist. Das liest sich dann immer so: "Band X kommt aus Großbritannien und klingt nach Franz Ferdinand, den Arctic Monkeys, und ___ (irgendeine britische Band, die schon mal ein Album veröffentlicht hat) und das ist sehr gut und sehr wichtig." Natürlich habe ich auch schon solche Texte geschrieben, meine Kreativität ist auch nur begrenzt. Außerdem lasse ich mich gerne von sowas anstecken. Deshalb hatte ich mir eigentlich vorgenommen, "Wet Leg" ein bisschen doof zu finden.

Das war zunächst alles ein bisschen zu vorhersehbar und "over". Wahrscheinlich allerdings, weil ich (wie jede*r andere auch) "Chaise Lounge" schon bis zum Erbrechen gehört hatte. Aber Herrgott nochmal, "Wet Leg" macht einfach zu viel Spaß. Es ist nicht der große Neuentwurf der Rockmusik, zu dem es an anderen Stellen hochgejazzt wurde. Wet Leg machen einfach nur verdammt catchy Indie, der so klingt wie der Indie in den good old days und haben dazu noch ein Händchen für wahnwitzig gute Oneliner.

"I need a lie down / only just got up" stimmt perfekt auf das ein, was "Wet Leg", das Album, und Wet Leg, die Band, sind. Ambitionen kommen hier nicht vor, stattdessen scheinen Rhian Teasdale und Hester Chambers kontinuierlich in den Tag hineinzuleben, immer auf der Suche nach dem Weg des geringsten Widerstands. Da verkommt der Refrain in "Ur Mom" auch gerne mal zur Lautmalerei " Dau / dau / dau / dau", während die Gitarre dieselbe Melodie spielt. Warum anstrengen, wenn es auch so geht?

"Oh my god, life is hard / credit card, oh no." Nuff said. Leben ist hart, klaro. Geld nervt auch. Wet Leg reihen eine Absage an die Leistungsgesellschaft an die nächste. Man könnte einen ganzen Tag im Bett verbringen und einfach Zeilen aus "Wet Leg" zitieren, dann wäre man die klügste Person im Haushalt und dabei auch noch im Bett. Näher kommt man Wet Leg wahrscheinlich nicht.

Denn dafür müsste man astreinen Indie-Rock schreiben können. Höchstwahrscheinlich ist dies den meisten von uns nicht gegeben. Wet Leg erinnern mich manchmal an ein 11Freunde-Zitat, das ich nur noch paraphrasiert wiedergeben kann. Ein Fußballfan der Prä-Ernährungswissenschaftsära fragt seinen Kumpel, warum Uwe Bein in der Bundesliga spielt und man selbst nicht. Der Kumpel antwortet: "Weil der Mann ein Magier ist und du nicht."

In der Theorie klingen Wet Leg so einfach. Mal eben Courtney Barnett covern, einen soliden Peniswitz reinwerfen und vielleicht noch ne Gitarre von Porridge Radio klauen. Ein möglichst trockenes Schlagzeug dazu und fertig, "Chaise Lounge". Naja, Wet Leg sind eben Magierinnen. In ihren Händen klingt "Hey, you, in the front row / are you coming backstage after the show? / because I've got a chaise longue in my dressing room / and a pack of warm beer that we can consume" tatsächlich nach einem guten Date. Auch ich will mit Rhian und Hester auf einer Chaiselounge abhängen, egal wie abstoßend ich dieses Möbelstück ansonsten finde.

Sie haben diese Fähigkeit, auch die schlimmsten Pickup-Lines wie eine Verheißung klingen zu lassen. Im leichtfüßigen "Wet Dream" bieten sie "Buffalo 66 on DVD" an. Ich weiß ganz genau, dass das externe DVD-Laufwerk ihres Laptops nicht funktioniert. Egal, Buffalo 66 ist eh maßlos überschätzt, fight me! Aber hey, der Song schlägt im Refrain Purzelbäume, immer wieder tauchen abgehackte Gitarrenriffs auf, dazu schau ich gerne auf eine Fehlermeldung auf dem PC-Bildschirm.

Dass dieser Slackerrock so gut funktioniert, liegt allerdings nicht nur an seiner Catchiness, sondern an seiner leicht versteckten Botschaft: "You said, 'Baby, do you want to comе home with me? / I got Buffalo '66 on DVD'" ist gar nicht die Anmache von Rhian und Hester, sondern eines übergriffigen Typens. Die Art von Typ, die denkt, nur weil etwas "underground" ist, ist es automatisch cool. Genau diese Art von Gestalten geben Wet Leg hier zum Abschuss frei.

Aber zuerst holen sie sich die Macht über sich selbst zurück: "I was in your wet dream, driving in my car / what makes you think you're good enough to think about me / when you're touching yourself?" Beißender wird es in "Ur Mum". Begleitet von einem minimalistisch-lustlosen Basslauf singt Teasdale gleich zu Beginn "If I think about what you've become / I feel sorry for your mom" und legt von da an noch mal so richtig drauf. "You're always so full of it / yeah, why don't you just suck my dick?" Autsch. Dazu gniedeln die Gitarren so großartig, es ist ein Fest für die Ohren.

Wenn Teasdale dann "I've been practicing my longest and loudest scream" ankündigt und es dann wirklich durchzieht, erinnert das ziemlich stark an Pavement. Stephen Malkmus' Zeile "Stimulate the open chords" folgen wirklich Open Chords. Teasdale schreit lieber. Verständlich, wenn man sich mal die Männer auf "Wet Leg" anschaut.

"Piece Of Shit" beginnt als Selbstanklage ob der eigenen Faulheit, dreht sich aber schnell in Richtung Lachen über die Grandezza des (Ex-)Partners. Die Gitarren klingen wunderbar weich, die Soli selbstvergessen, sogar das Schlagzeug ist nicht ganz so trocken wie sonst. "Angelica" wirkt hingegen mechanisch in seiner Stimmenverfremdung und Gitarrenarbeit. Im Refrain wird sie noisy verzerrt, das Schlagzeug arbeitet als Ausrufezeichen hinter den Lyrics und der Bass macht sein eigenes Ding. So kann tanzbarer Indie klingen, wenn er nur gut genug ist.

Trotzdem wiederholen sich "Wet Leg" dann manchmal doch, trotz der kurzen Laufzeit von 37 Minuten. Mal klingt alles ein bisschen getriebener, mal singen Rhian und Hester über einen Supermarkt und klingen ein bisschen zu unaufgeregt exakt nach Pavement, aber das ist dann auch egal.

Trackliste

  1. 1. Being In Love
  2. 2. Chaise Lounge
  3. 3. Angelica
  4. 4. I Don't Wanna Go Out
  5. 5. Wet Dream
  6. 6. Convincing
  7. 7. Loving You
  8. 8. Ur Mum
  9. 9. Oh No
  10. 10. Piece Of Shit
  11. 11. Supermarket
  12. 12. Too Late Now

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