laut.de-Kritik

Der Geburtshelfer des Grime rennt Trommelfelle ein.

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"Playtime Is Over", verkündete Wiley einst und verabschiedete sich aus der Grime-Szene, zu deren Geburtshelfern er einmal zählte. Man sollte nicht alles glauben, das Künstler im Allgemeinen, britische MCs im Besonderen so von sich geben. "They want me to look backwards", so heißt es diesmal. "But instead I'm thinkin' forward." Auch recht.

Glücklicherweise hat sich Wiley längst berappelt und trotz diverser (meist in aller Öffentlichkeit ausgetragenen) Streitigkeiten mit seinem jeweiligen Label munter weiter veröffentlicht. Für "100% Publishing" kehrte er sogar unter das Dach von Big Dada zurück. Alles beim Alten, also.

Immer noch rennt er mit seinem rasenden, kantigen Flow Trommelfelle ein. "I just tried to follow the steps of a wise man and his words". Der Versuch allein adelt doch schon. Ungebrochen trägt Wiley das Herz auf der Zunge und packt er alles, das ihn gerade bewegt, in seine Zeilen.

Kritisch, aber immer auch ironisch analysiert Wiley den Zustand seiner Zeit, der Szene, des Geschäfts, seine eigene Person und Karriere inklusive. Da hakt es ja nach wie vor: Im direkten Vergleich zu seinem Ex-Roll Deep-Kollegen Dizzee Rascal, der in die Charts hüpft, Preise einstreicht und mittlerweile merklich im Mainstream angekommen ist, darbt Wiley, der eigentliche Gründervater des Genres, weithin unbeachtet im Schatten.

Sein Vorteil dabei: Wiley hat sich in keinster Weise zähmen lassen, präsentiert sich unverändert nagend hungrig. Verständlich sein Bestreben: "I wanna see dollars, I wanna see pounds." Das Selbstverständnis leidet unter der fehlenden Aufmerksamkeit und dem mangelnden kommerziellen Erfolg allerdings wenig: "I'm one of the greatest. My sound's fresh like I'm one of the latest."

Seit jeher stand Wileys Klangkosmos mannigfaltigen Einflüssen gegenüber sperrangelweit offen. Diesen Eindruck schürt "100% Publishing" noch. Ohne seine Grundlage, den Dreck und die düsteren Vibes des Grime zu verraten, bringt er unterschiedlichste musikalische Elemente unter.

"Pink Lady" bleept und klackert sich in bester Computerspiel-Manier in die Gehörgänge, "One Hit Wonder" fährt zusätzlich eine orientalisch anmutende Melodie auf, wie sie auch manche Ragga-Riddims reiten. Der Titeltrack ließe sich, seiner dreckigen Schräglage zum Trotz, ebenfalls in die Dancehall-Ecke stellen.

Weit überraschender wirkt es aber, wenn Wiley Zirkus-Melodien ("Boom Boom Da Na"), jazzige Klänge ("I Just Wake Up") oder melancholische Klavierläufe ("Wise Man And His Words") in seinen Soundteppich knüpft. Passt nicht, gibts nicht. Einzig in "Talk About Life" misslingt der Clash: Die gruselige R'n'B-Hook hätte man wirklich besser stecken lassen.

Analog zur Straße, nach der der minimalistisch angelegte Track benannt wurde, zieht sich "Yonge Street". Zu sachte wirken hier die Bässe. Überhaupt scheint der anfänglich vorhandene Biss im Verlauf des Albums zunehmend einer gewissen Harmlosigkeit zu weichen. Mit Flow und Stimme eines im Alleingang operierenden MCs muss man natürlich ebenfalls klarkommen, darf in dieser Hinsicht nicht allzu viel Abwechslung erwarten.

Trotzdem bietet "100% Publishing" mehr Ideen auf, mehr Witz, Skills und Wumms als so manches, das dieser Tage die Hitlisten verstopft. Man darf es also gerne als Verheißung auffassen, wenn Wiley verspricht: "To be continued 'cause my work ain't over." So man es denn diesmal glauben darf.

Trackliste

  1. 1. Information Age
  2. 2. 100% Publishing
  3. 3. Numbers In Action
  4. 4. Boom Boom Da Na
  5. 5. Your Intuition
  6. 6. I Just Woke Up
  7. 7. Wise Man and His Words
  8. 8. Talk About Life
  9. 9. Yonge Street (1,178 Miles Long)
  10. 10. Pink Lady
  11. 11. Up There
  12. 12. One Hit Wonder
  13. 13. To Be Continued

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