laut.de-Kritik

Wenn die früheren Rollen zur Pose schrumpfen.

Review von

Mit "Ypsilon" legte Yassin seiner Hörerschaft sein Herz zu Füßen. Zutiefst persönlich, stilistisch vergleichsweise gewagt und "zugänglich im besten Sinne", wie es in der damaligen Rezension hieß, gehörte es zu den besten Beiträgen des Deutschrap-Jahrgangs 2019. Vier Jahre später hält sich die Erwartung an sein zweites Soloalbum merkwürdig in Grenzen. "Immer noch der Gleiche, ja. Nie wieder der Alte, ja", bestätigt im einleitenden "Auf Meinem Grab" die Befürchtung, dass der Wahlberliner bereits alles gesagt hat, was es zu sagen gibt. Dienst&Schulter liefern das passend belanglose Instrumental.

"Ob ihr mich hasst, ist mir egal. Ob ihr mich kreuzigt für das, was ich sag'", lädt er mit vorgeschalteter Opferhaltung zum Augenrollen ein. Dabei ist sein Text frei von Kontroversem, ja, eigentlich sogar frei von Relevantem. Yassin bewegt sich im Intro zwischen kindesköpfigem Trotz und kulturpessimistischem Boomer. Diese Zerrissenheit zieht sich gleichermaßen durch "Bastard": "Ich wach' auf, plötzlich erwachsen, doch seh' immer noch doppelt. Erklär' dem Rest der Welt die Welt, doch bleibe selber ein Trottel." Poesie, die halbwüchsiger klingt, als die schmerzvollen Kindheitseinblicke von "Ypsilon".

Punktuell blitzt die Leidenschaft seines Debütalbums auf. Im sparsam instrumentierten "Vielleicht" inszeniert sich Yassin im Rahmen seiner stimmlichen Möglichkeiten überzeugend ausdrucksstark. "Larger Than Life" überzeugt mit schönem Spannungsbogen und emotionalem Vortrag über seinen trotzigen Aufstieg aus schwierigen Verhältnissen. Im besten Song "So Weit Weg" schwimmt Tua mit ihm weit weg von sicheren Rap-Ufern aufs offene Wasser der melancholischen Musik mit Electro-Einschlag. Und auch Hanna Noir stellt eine sinnvolle Ergänzung für die nocturne Pop-Single "Exit" dar.

Fragwürdiger fällt die Entscheidung aus, den ungelenken Döll zu "Brenne" einzuladen, um emotionsfrei über Krisen zu rappen, die "nicht lustig wie Mario Barth" seien. Schmyt fügt sich atmosphärisch ein, verharrt aber in Klassikern der Pubertätslyrik: "Du machst dich locker, ich mach' Stress ohne Grund." Yassin durchschreitet die lyrische Talsohle aber alleine in "Falle Hoch". "Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter", beschreibt er allgemeingültig und ergänzt es um oberflächliches Storytelling und platte Paraphrasen Nietzsches: "Du holst mich aus dem Abgrund, doch den Abgrund nicht aus mir."

"Für Immer" fehlt es an Angriffslust und zwingender Aufarbeitung. "Mir Geht's Gut" markiert den betulichen Tiefpunkt. "Fünf Jahre Endorphine machten mich zum Hippie", schildert er beinahe entschuldigend, wie sich die Probleme von gestern dank seinem Erfolg in Wohlgefallen aufgelöst haben. "Spüre irgendwie sowas wie Euphorie statt täglich Abfucks", gesteht sich Yassin zum sommerlich unbeschwerten Instrumental ein, bevor auch noch ein Chor einsetzt. "Schäme mich vor meinem alten Ich von gestern." Wie darauf wohl die Anhängerschaft reagiert, die nach wie vor in der Misere steckt?

"Ypsilon" beschreibe die "Geschichte einer Emanzipation - auf der Metaebene von den eigenen Fans", hat Kay Schier das Debütalbum analysiert. Der Zweitling bestätigt diesen Eindruck. "Mein Mantra ist und bleibt: Fickt euch doch!", klingt nur beim ersten Durchlauf wie nachgeschobener Fanservice mit Audio88. Ihre früheren Rollen schrumpfen in "Für Immer" zur zynischen Pose zusammen: "Da steht mein Bruder mit zwei hoch erhobenen Mittelfingern, brüllt 'Fickt euch alle und für immer!' und mir bleibt die Gewissheit, dass wir beide danach kichern." Womöglich ist Yassins Geschichte auserzählt.

Trackliste

  1. 1. Auf Meinem Grab
  2. 2. Bastard
  3. 3. Brenne (mit Döll)
  4. 4. Nobody
  5. 5. So Weit Weg (mit Tua)
  6. 6. Larger Than Life
  7. 7. Ohne Uns (mit Schmyt)
  8. 8. Falle Hoch
  9. 9. Vielleicht
  10. 10. Wut
  11. 11. Exit (mit Hanna Noir)
  12. 12. Mir Geht's Gut
  13. 13. Für Immer (mit Audio88)

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