Das turbulente Leben des Popstars gibt Stoff genug her. Dieses zutiefst unangenehme Buch lässt aber alle Chancen ungenutzt.
London / Innsbruck (dani) - Ein Buch über Britney Spears: Das kann unmöglich NICHT spannend geraten. Dachte ich. Ihr steiler Aufstieg vom Kinderstar aus dem Mickey Mouse Club zu einem der umjubeltsten Postars von allen, ihr öffentlich begeiferter Absturz und vor allem ihr erst jüngst zu einem vorläufigen Ende gelangter Kampf gegen jahrelange Entrechtung und Ausbeutung liefern ja wohl Stoff genug, um ein, zwei, viele interessante Geschichten zu erzählen.
Ja, Tatsache: Das dachte ich. Jennifer Otter Bickerdike lässt jedoch alle ihr auf dem Silbertablett servierten Chancen ungenutzt liegen. Ihre Britney-Spears-Biografie "Being Britney" (Hannibal Verlag, 304 Seiten, Paperback, 24 Euro) führt das Kunststück vor, über ein phänomenal ergiebiges Sujet ein unfassbar dröges und obendrein noch echt unangenehmes Buch zu verfassen. Das lässt am Ende viele Fragen offen, allen voran aber eine: Warum nur?
Warum nur?
Warum hat diese Frau dieses Buch geschrieben? Ich versteh' es nicht. Bickerdike scheint nicht nur zu keinerlei Sym- oder auch nur Empathie mit dem Menschen, über den sie da schreibt, fähig zu sein. Sie interessiert sich für die Person, deren Leben sie da aufrollen soll, offenbar nicht einmal besonders. "Being Britney" wirkt wie ein Schulreferat in Überlänge, als habe die Autorin zu einem Thema, das ihr zugewiesen worden ist, hastig zusammengegooglet, was sie halt so fand, und leiere, was sich aus zweiter und dritter Hand ohne großen Aufwand erfahren ließ, irgendwie pflichtschuldig, ohne erkennbare Begeisterung herunter.
Oft liegt es an mittelprächtigen Übersetzungen, wenn der Funke so gar nicht überspringen will. Paul Fleischmann, der die deutsche Fassung von "Being Britney" verantwortet, kann man das Riesenproblem dieses Buches aber wirklich nicht anlasten: Die Lieblosigkeit, die dieses Machwerk von vorne bis hinten durchzieht, hätte auch das fulminantest formulierte Translat kaum verschleiern können. Bezeichnend dafür steht, dass Britney Spears, um die es angeblich ja geht, Bickerdike nicht nur keine Widmung wert war, sondern noch nicht einmal eine dürre Erwähnung in ihren knapp zweiseitigen Danksagungen.
Erkenntnisgewinn: null
Jennifer Otter Bickerdike hat offensichtlich nicht ein einziges persönliches Gespräch mit der Frau geführt, deren Biografie sie zu schreiben vorgibt. Sie scheint auch zu niemandem aus Britneys engerem Umfeld irgendeinen Kontakt gehabt zu haben, zumindest birgt ihr Buch keinerlei O-Töne. Das Maximum an Nähe zu ihrer Hauptfigur erreicht Bickerdike, wenn sie Britneys Social Media-Postings zitiert - nichts, das jemand, der sich für die Sängerin interessiert, nicht direkt auf ihrer Instagram-Page nachlesen könnte.
Ansonsten kommen höchstens die Initiator*innen der "Free Britney"-Bewegung kurz zu Wort, oder die Hinterbliebenen eines verstorbenen Britney-Superfans. Diese Personen scheinen Spears allesamt ebenfalls nie persönlich begegnet zu sein. Entsprechend viele neue Einblicke auf das Leben der Sängerin und die Gründe für diese oder jene medial ja bereits bestens dokumentierte Entwicklung in ihrer Karriere tun sich auf: null.
Dröge Zahlenhuberei
Statt sich um neue Perspektiven oder Erklärungen dafür zu bemühen, warum dies oder jenes so oder anders gekommen ist, ergeht sich "Being Britney" in langweiligster Zahlenhuberei. Ganze Kapitel verplempert Bickerdike damit, Verkaufszahlen und Chartsplatzierungen von Britneys Alben oder Warmup-Acts und Anzahl der Shows ihrer Tourneen zusammenzukopieren, ihre verschiedenen Werbedeals aufzulisten oder - mein Favorit! - falsche Schreibweisen ihres Namens, die User*innen auf der Jagd nach Erkenntnisgewinn beim Suchmaschinen-Marktführer eingetippt haben.
Wie das Wissen darum, das einer Google-Erhebung aus dem Jahr 2011 zufolge je sieben Menschen nach "Britnnej Spears", "Britanny Spears", "Britniey Speras" "Brianty Speras" gesucht haben, und immerhin noch drei nach "Beittamy Spears" irgendjemanden näher an ihre Geschichte heranführen soll ... meine Fantasie versagt da zwar. Aber Bickerdike schien solcher Mumpitz sehr viel wichtiger zu sein, als irgendeine Entwicklung in Britneys Leben stringent und nachvollziehbar nachzuerzählen, so wie sie von außen zu beobachten war, wenn man sie aus Mangel an Nähe zum Gegenstand der Berichterstattung schon nicht erklären kann.
Nun, gut: So viel Interesse an Britney Spears kann die Autorin offensichtlich einfach nicht aufbringen - weswegen sie auch nirgends eine brauchbare Einschätzung liefert, welche der zitierten Quellen ihr nun halbwegs vertrauenerweckend vorkommt, was realistisch erscheint oder was eher ins Reich der Verschwörtungstheorie gehört. Als Leser*in von "Being Britney" bekommt man unsortiertes Könnte-sein-oder-auch-nicht vorgesetzt, nach dessen Lektüre man sich kein Stückchen schlauer vorkommt, dafür aber erheblich schmutziger. Denn, wie eingangs erwähnt: "Being Britney" ist nicht nur ein langweiliges, sondern ein zutiefst unangenehmes Buch.
Die Hände machen sich andere schmutzig
Bickerdike versucht zwar unentwegt, Kolleg*innen schlecht dastehen zu lassen. Sie bedient das Narrativ, Britney sei, ähnlich wie Prinzessin Diana, von Paparazzi zwar nicht zu Tode, so aber doch zumindest zum Teil in den Wahnsinn gehetzt worden, ein Opfer unfairer, einseitiger, menschenunwürdiger Berichterstattung, was natürlich irgendwie mies, verurteilens- und verachtenswert sei. Selbst käut sie aber noch erbarmungsloser wider, was andere über Britney geschrieben haben.
Jennifer Otter Bickerdike zitiert Berichte und Kommentare über Britneys Körper, über ihr Sexualleben, ihre Liebschaften und was besagte Liebschaften öffentlich über die Popsängerin breittraten, vorgeblich immer mit gerümpfter Nase, erhaben darüber, wie tief andere Journalist*innen gesunken sind. Ja, so gehts natürlich auch: sich nicht selbst die Hände schmutzig machen, aber mit dem Schmutz, den andere geschaufelt haben, eine "Biografie" füllen und damit abkassieren.
Besonders ekelhaft: das Kapitel "Liebe im Angebot". Hübsch aufgeschlüsselt nach "Name", "Art der Beziehung" und "Was es ihm brachte" bietet Bickerdike Männern, die sich ohnehin schon an Britneys Popularität hochgezogen, sich bereichert und in Szene gesetzt haben, eine weitere Bühne für ihre Geschichten, die in Ermangelung irgendeines Kontakts zu Britney natürlich wieder unwidersprochen im Raum stehen bleiben. Dabei trägt sie die ganze Zeit über diese verlogene "Seht, wie gemein man mit Britney umgesprungen ist"-Attitüde vor sich her, während sie ihr noch einmal genau das Gleiche antut. Mehr als traurig.
Schlimm auch die Hochnäsigkeit, mit der Bickerdike über Britneys Heimatstadt Kentwood schreibt. "Da fast 30 Prozent der ansässigen Familien unter der Armutsgrenze leben und das mittlere Einkommen pro Haushalt bei gerade einmal 17.297 Dollar (ungefähr 15.000 Euro) liegt, wirkt es wie ein Wunder, dass ein Star ausgerechnet von hier stammt." Weil ja Stars, wie jede*r weiß, seit jeher ausschließlich aus reichen Familien stammen - oder was? Noch schlimmer, wie völlig distanzlos sie die Krankengeschichte von Keith Collins ausbreitet, dem Fan, der der Stadt Kentwood seine Britney-Sammlung vermacht hatte, um sie im ortseigenen Museum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zum Dank darf eine Frau, die ihn nicht kannte, in einem Buch, das Britney Spears kein Stück wertschätzt, intime Details über seinen Gesundheitszustand und seinen Tod breittreten? Na, danke auch.
Empathie? Hat leider nicht geklappt.
Wenn man sich obendrein auf der Zunge zergehen lässt, wie abfällig Bickerdike über nahezu jeden von Britneys Support-Acts herzieht, wird einem ohnehin schnell klar, dass sie mit der Empathie wohl ein ziemliches Problem hat: "Divine: leider nicht die Drag-Diva und Muse von John Waters. Stattdessen eine billige TLC-Raubkopie." "Slimmy: ein androgyner portugiesischer Glam-Rocker, der es wohl nicht so ganz bis zum Song Contest geschafft hat." "One Call: eine vierköpfige Boyband aus der Retorte, deren eigene Eltern vermutlich nicht auf Anhieb wüssten, wer auf einem Bandfoto nun der ihrige wäre." "Steps: britische Popgruppe, die sich auf dem amerikanischen Markt etablieren wollte. Hat leider nicht geklappt." "PYT: eine ausschließlich aus Mädchen bestehende Gruppe aus Florida, die sich als amerikanische Antwort auf die Spice Girls etablieren wollte. Hat leider nicht geklappt." So geht das seitenlang!
Tja, was soll ich sagen? Jennifer Otter Bickerdike, Autorin, Historikerin, Dozentin und Möchtegern-Biografin. Hat versucht, über ein hochspannendes Thema, das eigentlich ein Selbstläufer sein müsste, ein wenigstens halbwegs interessantes Buch zu schreiben. Hat leider nicht geklappt.
Trotzdem kaufen?
Jennifer Otter Bickerdike - "Being Britney"*
Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!
1 Kommentar
"Bickerdike"
Uff.