laut.de-Kritik
Die Dänin wagt sich behutsam auf akustisches Neuland vor.
Review von Alexander CordasHört man sich Agnes Obels neuerlichen Streich an, dürfte kaum einer auf die Idee kommen, dass sie alles im stillen Kämmerlein in Neukölln aufgenommen hat. Die Fixpunkte im Kosmos der Wahlberlinerin sind auch auf ihrem dritten Album dieselben. In Musik gegossene Melancholie mit glockenklarem Gesang und dem Fokus auf wunderbar mäandernde Melodien: Dennoch wagt sich die Dänin einen Schritt weiter aus ihrer Komfortzone.
Der Opener "Stretch Your Eyes" klappert rhythmisch vor sich hin. Die Details in der für Agnes ansonsten recht typischen Nummer machen aber den Unterschied. Als wenn sie jemand hetzen würde, erklingt ein Hecheln. Man könnte meinen, die geklopften Beats stammen von trappelnden Füßen. In den leiseren Parts vermeint man ein seltsames Flüstern zu hören. Man muss schon genau hinhören, um die Feinheiten ausmachen zu können.
Im folgenden "Familiar" springen diese einem dann etwas weniger dezent ins Gesicht. Die runtergepitchten Vocals schwappen mit einer Unmittelbarkeit über den Hörer, dass man sich fast erschrecken könnte. "And our love is a ghost that the others can't see, it's a danger. Every shade of us you fade down to keep them in the dark on who we are." Die wunderbar umeinander zwirbelnden Gesangslinien untermalen das seltsame Bild mit den dazu passenden Geister-Lyrics, so dass auch dieser Effekt zur recht stimmigen Wirkung beiträgt.
Wenn man "Citizen Of Glass" in einem ersten Rutsch durchhört, kann man dem Irrtum erliegen, es mit einem - im Vergleich zu den Vorgänger-Alben - abgespeckten Soundkostüm zu tun zu haben. Nichts könnte ferner liegen. Agnes Obel schichtet Spuren über- und nebeneinander, spielt mit Feinheiten und Kleinigkeiten und am Ende fällt gar nicht so sehr auf, wie viel klangliche Vielfalt das Album beinhaltet.
Das Instrumental "Red Virgin Soil" treibt das perkussive Element auf die Spitze. Wie der Soundtrack zu einem Film Noir trippelt das Stück vor sich hin. Cello-Einwürfe, Piano-Tupfer und gezupfte Saiten ergänzen das Gesamtbild. Der Soundtrack zu "Night On Earth" kommt einem fast in den Sinn. Agnes Obel ist zwar weit von der Verschrobenheit eines Tom Waits entfernt, aber den Ansatz, mittels ungewöhnlicher Klänge ein akustisches Bild zu malen, eignet sich die Dame mehr und mehr an, ohne dabei den Schönklang aus ihrem Sound zu verbannen.
Lustigerweise ist es nicht der Titeltrack, der den Albumtitel perfekt übersetzt. Diese Ehre kommt "Golden Green" zuteil. Das permanente Geklöppel im Hintergrund klingt tatsächlich so, als würde jemand auf Gläsern eine immer wiederkehrende Melodie schlagen. Dazu arrangiert Agnes die Stimmen im Stile bulgarischer Frauenchöre, Jauchzer und Schreie inklusive. Was den Namen anbelangt, hat sich die Dänin im Vorfeld öfter dazu geäußert und den Gläsernen Bürger auch auf das Künstlerdasein übertragen. Als Musikerin muss sie ein Stück weit gläsern bleiben, sich angreifbar machen. Textlich bleibt sie jedoch im Vagen und lässt dem Hörer genug Raum für eigene Interpretationen.
Agnes Obel betritt auf "Citizen Of Glass" behutsam akustisches Neuland. Mit starken Songs wie diesen im Gepäck darf die Reise gerne weitergehen.
8 Kommentare mit 10 Antworten
Starkes Album! Perfekt zum Herbst!
Brillantes Album. Ihr bestes bisher, meiner Meinung nach. Ganz großes Kino.
Eine sehr gute und treffende Plattenkritik, die mich dazu bewogen hat das Album noch einmal genauer zu hören. Die Erwartungen waren sehr grosz und beim ersten Hören wurden sie nicht erfüllt. Dank der Kritik widme ich mich erneut und es entpuppt sich mir ein starkes Album, Danke!
Diesem Lob für die Rezension kann ich mich nur anschließen. Auch ich höre mir das Album gerade nochmal an und versuche, die genannten Details herauszuhören. Und tatsächlich finde ich "Citizen Of Glass" nun noch ein Stück weit faszinierender als ohnehin schon. Besonders atemberaubend sind "Familiar" und "Trojan Horses". Ich glaube, das könnten schlussendlich sogar 5 Sterne werden.
Ok, dann versuche ich es auch nochmal.
Beim ersten Hören war ich auch eher enttäuscht und ich mochte die Vorgängeralben sehr.
Vielleicht wird es ja doch noch.
Damit ist das Musik-Jahr 2016 gelaufen, oder? Ich will endlich meine Sammelbestellung raushauen.
denk an die neue bon jovi, die nächsten freitag erscheint.
Ich muss sagen, auch mit Herbst/Winter-Schmodder mag das ALbum nicht so recht zünden. Familiar und Golden Green sind sehr nice, der Rest dümpelt eher sovor sich hin.
Am meisten fehlt mir die Instrumentierung von Aventine. Cello und Piano sind einfach zu nice - geben so viel Atmosphäre.
Großartiges Album! Definitiv 5/5.
Jeder Song ist ein Kunstwerk für sich. Am besten mit Kopfhörern hören, damit man auch die ganzen Details mitbekommt.