laut.de-Kritik

Die Soul-Prinzessin öffnet ihr Tagebuch.

Review von

"Das Tagebuch der Alicia Keys" könnte auch den Untertitel "Me, my Klavier and I" tragen. Wie auf ihrem Debüt dominiert das liebste Instrument fast jeden Song, als wäre es "Krucial" Keys angewachsen. Von freier Improvisation bis zum hypnotischen Piano-Loop reicht bereits die Bandbreite des Intros "Harlems Nocture". Und die folgenden Songs stehen dem in nichts nach. Von warmer Moll-Melancholie auf "Diary" bis zu etwas helleren Tori Amos-Klängen in "Slow Down" fliegt Alicia über die ihr Königreich, ohne jemals den Song aus den Ohren zu verlieren.

Und das Klavier ist ein altes. Ein paar Tasten fehlen, andere sind braun. Altmodisch eben, aber mit ganz viel Seele - wie die Künstlerin selbst. Vor lauter souligen Klavierklängen vergisst man jedoch leicht, dass die erst 23-Jährige auch über eine starke Stimme verfügt und die harten Hip Hop-Beats liebt. So baut sie ein Fundament aus trockenen Drums und tiefen Bass-Linien, über dem sie ihr raues, kräftiges Timbre ausbreitet. Nicht verraucht und sexy jammend wie Erykah Badu, sondern straighter 70er Sound mit Kopfnicker-Charisma.

Selbst der Timbaland-Tune "Heartburn" verbounct sich nicht in Synthetik. Die Drums klingen livehaftig, und der Gitarren-Loop vibriert im Stile von Isaac Hayes' Shaft-Theme. Mr. Hayes höchstpersönlich kommt dagegen beim folgenden Gladys Knight And The Pips-Cover "If I Was Your Woman" zum Schuss, indem Alicia sich an Harmonien des Klassikers "Walk On By" vergreift. Hip Hop-Legende Easy Mo Bee steuert vom Drumcomputer, den Rhythmus in die richtige Richtung und den Song in obere Regionen.

Eine weitere Stärke Alicias ist das sympathische, ehrliche Storytelling, Schwerpunkt Liebe. Unterlegt von einem smoothen Beat des Jay-Z-Produzenten Kanye West schlüpft Alicia bei "You Don't Know My Name" in die Rolle einer Kellnerin in einem typisch amerikanischen Lokal. Jeden Donnerstag kommt der gleiche Typ herein, setzt sich an den gleichen Platz am Tresen und bestellt das Gericht des Tages. Die Kellnerin verknallt sich in den Mann, kriegt seine Nummer raus und ruft ihn schließlich an und erwacht. Der Traum ist aus.

Diese inhaltliche Schwere drückt jedoch zuweilen auf das Hit-Potential bzw. den Pop-Appeal. Eingängige Stücke wie "Fallin'" oder "What's A Woman Worth" vom Debüt sind selten. Nur "Karma", mit seiner wild fiedelnden Geige und dem warmen Chorus "What Goes Around Comes Around", sowie das melodische "When You Really Love Someone" bleiben im Gehörgang hängen. Ein Tagebuch ist eben eine intime Sache, die nicht auf dem Mainstream-Teller präsentiert werden darf. Folglich genau das richtige für kuschlige Wintertage vor der Zentralheizung.

Trackliste

  1. 1. Harlem's Nocturne
  2. 2. Karma
  3. 3. Heartburn
  4. 4. Walk On By
  5. 5. Let Me Prove My Love To You
  6. 6. If I Ain't Got You
  7. 7. Diary
  8. 8. Dragon Days
  9. 9. Wake Up
  10. 10. So Simple
  11. 11. When You Really Love Someone
  12. 12. Feeling U, Feeling Me (Interlude)
  13. 13. Slow Down
  14. 14. Samsonite Man
  15. 15. Nobody Not Really (Interlude)

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1 Kommentar

  • Vor 9 Jahren

    Meiner Meinung nach das beste Keys-Werk. Jeder Song ist ein Eintrag in ihrem Tagebuch...jede dieser Seiten leuchtet golden und dennoch grau, weil die dreckigen Straßen New Yorks in ihr leben. Sie sind befüllt mit Soul, Hip Hop, R&B Neo-Soul und Jazz. Die perfekte Symbiose einer perfekten Künstlerin.