laut.de-Kritik

Wie gemacht für Flammensäulen und Headlinerslots.

Review von

Saxophon, Flöten, Engelschor, Keyboards en masse, Honig-Refrains, ein romantisches Duett ... Amorphis packen auf "Queen Of Time" vieles, was beinharte Oldschooler zur Weißglut treiben dürfte. Und liefern gleichzeitig so viel Wurzelkunde, dass ebendiese sich vielleicht schlussendlich doch gefußwascht fühlen.

Würden sie es nicht so verdammt gut umsetzen, müsste man die Finnen eigentlich dafür abwatschen, dass sie alte wie neue Fans gleichermaßen zufriedenstellen wollen. Irgendwie entwickeln sie sich dabei sogar noch weiter. So drängt zum Beispiel Keyboarder Santeri Kallio wesentlich weiter in den Vordergrund als bisher. Oft stehen seine Leads, Riffs und Texturen sogar auf einer Ebene mit denen von Gitarrist und Hauptsongwriter Esa Holopainen. Schon im Opener "The Bee" – einem der stärksten Song der Platte – steckt Holopainen zugunsten Kallios zurück: Das zentrale Motiv des Songs gebührt ihm.

Gitarrenfreunden servieren Amorphis freilich immer noch einen Haufen geschmackvoller Licks. Immerhin spielt kaum jemand Folk-Melodien so überzeugend auf einer E-Gitarre wie Holopainen. Irgendwo ärgert sich wohl gerade die Bläserfraktion In Extremos, dass sie "Message In The Amber" nicht selbst im Repertoire haben. Orphaned Land dagegen beneiden die Finnen wahrscheinlich um den Orchesterpart in "The Golden Elk", Nightwish sie um den in "Pyres On The Coast".

Folklore und Metal allein genügt Amorphis eben nicht mehr: In "Message In The Amber" singt ein Kirchenchor – teils mit Voice-Filter. Auch das klappt. Der heilige Geist bleibt noch kurz, "Daughter Of Hate" startet nämlich mit dicker Orgel. Dann packt Jørgen Munkeby (Shining) sein Saxophon aus, Sänger Tomi Joutsen bewirbt sich als Black Metal-Screamer und der jahrelang nur hinter den Kulissen als Texter aktive Pekka Kainulainen mimt den Märchenonkel.

Verwirrt? Gar nicht nötig, denn Amorphis verknüpfen all diese Bestandteile in Songs, die ganz eindeutig ihre Handschrift tragen und dazu meist verdammt eingängig ausfallen. Hier birgt "Queen Of Time" seine einzige Schwäche: Denn manchmal ertappt man die Band dabei, wie sie in den kürzeren Songs baukastenmäßig Strophen und Refrains aneinanderreihen. "Amongst Stars" krankt daran – und ist gleichzeitig das ideale Beispiel dafür, warum die Stücke dennoch nicht anöden: Von mir aus könnten Gastsängerin Anneke van Giersbergen und Joutsen ihre eleganten Melodielinien noch eine ganze Weile länger jonglieren, Repetition hin oder her.

Ah ja: Wir haben noch kaum über Metal gesprochen. Einmal aufatmen bitte, denn auch der hat seinen festen Platz. Death Metal-Growls gibts in jedem der zehn Songs, insgesamt schlägt "Queen Of Time" den Vorgänger "Under The Red Cloud" sogar in punkto Härte. Dank Ausnahmevokalist Joutsen gerät der Wechsel zwischen Brutal Assault und Rock am Ring-Hymne nie aufgesetzt. "Heart Of The Giant" wäre perfekt, um in Headlinerposition mit Flammensäulen und größenwahnsinnigem Orchesterauflauf eine Festivalcrowd zu bespaßen. Während Kuttenträger ins Nirvana bangen, schmelzen H&M-Bandshirtträger im Refrain dahin.

"Dieses Werk ist selbst für uns eine gewaltige Überraschung", meint Holopainen zu "Queen Of Time" (auch in Hinblick auf die gewohnt superbe Produktion Jens Bogrens). Viel wichtiger: Sie werden auch die meisten ihrer Hörer damit überraschen, in positivem Sinne. Das nach fast 30 Karrierejahren zu schaffen, ist ein Qualitätsmerkmal für sich.

Trackliste

  1. 1. The Bee
  2. 2. Message In The Amber
  3. 3. Daughter Of Hate
  4. 4. The Golden Elk
  5. 5. Wrong Direction
  6. 6. Heart Of The Giant
  7. 7. We Accursed
  8. 8. Grain Of Sand
  9. 9. Amongst Stars
  10. 10. Pyres On The Coast

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