laut.de-Kritik
Kampfansage an die patriarchalische Ignoranz der Macht.
Review von Ulf KubankeHumanismus, Feminismus, Pazifismus! Diese drei Worte beschreiben Ani DiFrancos 20. Studioalbum "Binary" erschöpfend. Sobald man sie braucht, ist die New Yorkerin stets zur Stelle. Als unermüdliche Streiterin für sozialkritische Aufklärung wirkt sie momentan wie eine Lichtgestalt inmitten ihres vom Trumpismus verdunkelten Landes.
DiFrancos Zeilen spielen folglich auf diesen elf Liedern die unumstrittene Hauptrolle. Arrangements und Songwriting sind Transportmittel und Verpackung. Doch im Vordergrund steht immer die Botschaft. Und die Amerikanerin hat einiges mitzuteilen.
Christliche und islamistische Klerikalfaschisten demaskiert sie ebenso lässig wie den rein expansiv-militärischen Blickwinkel auf die Welt. Mit berechtigtem Zorn - dabei bar debiler Wutbürgerattitüde - geißelt sie ebenso die aktuell teils erfolgte Rücknahme errungener Frauenrechte im Bereich sexueller Selbstbestimmung oder der Abtreibungsfrage.
Das Besondere ihrer Statements liegt in der Art, wie sie den Finger in die offenen Wunden legt. Sarkastisch, pointiert und ohne die weit verbreitete Plakativität gängiger Protestsongs, träfen ihre Entlarvungen auch ohne musikalische Untermalung sicher ins Schwarze. Bestes Beispiel hierfür ist "Alrighty". Differenziert baut sie den DiFranco-Pranger hier nicht als pauschale Religionskritik ein, sondern als Kampfansage an die patriarchalische Ignoranz ihrer Machthaber und Würdenträger. "See how quickly shit gets absurd
You invent angels then you ignore birds" ist nur einer der Pfeile, die zuverlässig im Ziel landen.
Kernstück ist "Play God". Ohne den derzeitigen Präsidenten zu nennen, spricht sie aus explizit weiblicher Sicht alle Rückschritte jenes Menschenbildes an, für das der Amtsinhaber berüchtigt ist. Längst ist der Track fester Bestandteil ihrer Sets und ein Fan-Favorit. Bereits letztes Jahr stellte sie ihn der hörenswerten Anti-Trump-Kampagne "1000 Days - 1000 Songs" zur Verfügung.
Rhythmen, Melodien und Arrangements spielen zwar nur eine Nebenrolle, aber dafür eine tragende. Den reinen Singer/Songwriter-Zug hat sie abfahren lassen. Stilistisch geht der Rahmen locker als erweitertes Blackmusic-Album durch. Ein Hauch Jazz, sehr viel Funk, eine Prise Pop und die unbändige Energie ihres ausnahmslos überzeugenden Vortrags bieten ideale Grundierung.
Ihre Mannschaft agiert ohne Überraschung erlesen und handwerklich weltklasse. Als Rückgrat fungieren seit langer Zeit die Rhythmushexer Bassist Todd Sickafoose und Drummer Terence Higgins. Hinzu kommt ein Who-Is-Who exquisiter Gaststars. Die herausragende Violinistin Jenny Scheinmann (Aretha Franklin, Lou Reed) legt einen ebenso schillernden Auftritt hin wie auch Gail Ann Dorsey (David Bowie), Altmeister Maceo Parker oder Bon Ivers Justin Vernon.
Als Anspieltipp empfehle ich das intensive "Sasquatch". Zum modernen, komplexen Rhythmuskorsett spielt Ivan Neville (Neffe der Neville Brothers nebenher filigranen, unwiderstehlichen Piano-Blues, der augenblicklich fasziniert. So gelingt Angela Marie DiFranco samt Team eine musikalisch einladende und textlich wichtige Protestplatte.
Noch keine Kommentare