laut.de-Kritik
Der Soundtrack der Apokalypse.
Review von Jeremias Heppeler"Hopelessness" beginnt abgespaced mit Science Fiction-artigen Klanganschlägen. Wummernd. Abstrakt. Abgehackt. Abgehoben. Dazwischen Anohni, brüchig, schmerzverzerrt, hoffnungslos im Angesicht der Bombe: "Love, drone bombe me/ blow me from the mountains / and into the sea / (...) / blow my head off / explode my crystal guts / lay my purple on the grass ..." Der Opener zerschellt in elektronischen, dystopischen Klangschichten, die dich als Hörer unwillkürlich mit und in den Sog des kreisenden Albums hineinreißen. Und in eine Welt, die so trostlos ist, dass sie wohl mit Cormac McCarthys "The Road" konkurrieren könnte.
Doch selbst dort, am absoluten Endpunkt der Welt, gibt es kleine menschlichen Gesten, einen Schimmer der Hoffnung, metaphorisch aufgezeichnet in Form einer Forelle, die die Katastrophe überwunden hat. Diese Momente sucht man zumindest auf Textebene in "Hopelessness" zunächst vergebens. Das Album ist durchweg radikal und geht keine Kompromisse ein – wieso auch? Das auf Klangebene angeteaste Raumschiff stellt sich bei genauerem Hinsehen als todbringende Drohne heraus, die Dystopie als Realität. Doch Moment, beginnen wir von vorne.
Der scheinbare Elefant im Raum ist eigentlich gar keiner und wird auch nicht angesprochen. Anohni hat sich immer als Frau gefühlt und sich stets als Transgender bezeichnet. Nur die Umwelt hat sie stets als Mann verordnet, als Antony, der aber jetzt endgültig verschwunden ist – das alleine unterstreicht die Namensänderung, die aber bewusst auf einen radikalen Schnitt verzichtet und die Vergangenheit weiter als Spur in sich trägt. Und so ähnlich verhält es sich auch mit dem Sound. Der verkopfte, tiefenmelancholische Kammerpop, den Antony and the Johnsons über Jahre spielten, ist immer noch spürbar, hinterlegt als flimmernder Verweis. Aber "Hopelessness" wählt einen größeren, umgreifenden und hypnotischen, elektrifizierenden Sound. Das ist der Soundtrack der Apokalypse! Die persönlichen Dramen und Traumata sind zumindest temporär ad acta gelegt, Anohni beschäftigt sich mit kosmopolitischen Tragödien und inszeniert sich als schwarzer anklagender Engel des Pop. Puh, erst mal durchatmen.
Mit Hudson Mohawke und dem Experimentell-Elektroniker Oneohtrix Point Never hat sich Anohni für dieses Unterfangen zwei ungewöhnliche Producer-Komplizen ins Boot geholt. Mohawke hatte zuletzt vor allem mit seiner Arbeit für Kanye West von sich Reden gemacht – der Unterschied zwischen diesen Künstlern könnte kaum größer sein. Und doch greifen die Puzzlestücke ineinander. Auf der einen Seite Kanye, der sich selbst als Erlöser versteht, auf der anderen Seite Anohni, die dunkle Prophetin. Das sind die Sphären, in denen sich "Hopelessness", zumindest diskursiv bewegt. Dazu passt, dass der erste Videovorbote "4 Degrees" "... in Solidarität mit der Klimakonferenz in Paris ..." veröffentlicht wurde und Supermodel Naomi Campell die Hauptrolle im bereits besprochenen "Drone Bombe Me" übernahm. "Hopelessness" ist ein globales Album. Über dieses Album soll und wird gesprochen werden.
Beginnen wir die Analyse mit dem offensichtlichsten Brückenschlag: "Hopelessness" ist eine direkte Referenz auf das längst im popkulturellen Gedächtnis verankerte "Hope"-Wahlplakat Barack Obamas. Für Anohni haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt, die Sängerin widmet dem scheidenden Präsidenten einen kompletten und keinesfalls paraphrasierten Song. "Obama" weht verworren, dunkel, verbittert vor sich hin, es gibt keine wirklichen Songstrukturen, nur ein mechanisches Soundsurren, das dann immer wieder von ratterenden Bass- und Beatanschlägen und später von einer dann doch melodiösen Pianospur zersetzt wird. Das Soundgebilde orientiert sich in seiner Roughness und Härte am frühen Nick Cave. Davor aber baut sich Anohnis mit nichts und niemanden zu vergleichende Stimme auf. Fluffig, zerfahren, glockenklar, dreht sich die aktive Anklage immer weiter im Kreis, bis nur noch ein rotierendes "Obama" durch den Song kreist. "When you were elected / the world cried for joy / we thought we empowered / the thruth telling envoy / now th news is you are spying / executing without trial ..."
Und das klingt jetzt alles so tonnenschwer und bitterernst und verschlossen und verbaut. Aber keine Sorge: Die eigentliche Faszination dieser Scheibe liegt nicht alleine in der durchdringenden politischen Botschaft, sondern vor allem auch in der musikalischen Aufarbeitung. Denn in Sachen Musik ist "Hopelessness" Anohnis wohl kurzweiligstes und unterhaltsamstes Album.
Die elf Songs übersprudeln regelrecht vor innovativen und kunterbunten Sounds, die zwar oftmals nur kurz auftauchen und dann sogleich wieder verschwinden. Und doch entsteht ein komplexes Klang-Potpourri, das den Hörer immer wieder aufs Neue überrascht und unterhält und sich parallel dazu homogen an die allgegenwärtige Anklage anschmiegt. Für den Rezipienten jedenfalls gibt es unzählige Hinweise und lose Enden, die er sammeln und verbinden oder auch einfach offen stehen lassen kann.
Bestes Beispiel hierfür ist die Kombination der beiden Titel "Why Did You Seperate Me From The Earth" und "Crisis". Ersteres beginnt mit ein schrägen Glockenspiel, das dann beinahe house-mäßig aufschichtet und in einem niederprasselnden Konfetti-Regen explodiert. Zweiteres startet zunächst mit tiefen Bassanschlägen, die dir hart und markant in die Fresse klopfen, ehe umgehend der abgehakte Bruch erfolgt und sich ein samtweicher Klangteppich entfaltet, der in der zweiten Hälfte in einem abstrakten Saxophon-Solo aufgeht wie eine Hefeteig. Und im radikalen Kontrast dazu: "Crisis, If I tortured your brother / In Guantanamo / I'm sorry / now you're cutting head off innoncent people on TV"
Innerhalb dieser Parameter drängt es sich auf, die Platte mit PJ Harveys Reportage-Album "The Hope Six Demolition Project" zu vergleichen. Irgendwie scheinen die beiden Projekte artverwandt in ihrem Anliegen, unsere politischen und artverwandten Krisen künstlerisch und musikalisch aufzuarbeiten und dabei ein losgelöstes Statement und Ausrufzeichen zu liefern. Und doch sind die Herangehensweisen denkbar unterschiedlich, fast konträr und deshalb in ihrer Kombination so wichtig und interessant. Beide Künstlerinnen versetzen den Pop-Politik-Diskurs abseits der bloßen Kompositionen in Bewegung und Schwung, während ihre männlichen Kollegen sich gelangweilt der eigenen Egomanie ergeben oder sich wie Rentner über den scheinbar unpolitischen Nachwuchs beschweren. Die beiden Alben von PJ und Anohni prägen jedenfalls das Musikjahr 2016, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass sie als pulsierende Zeitdokumente in die Geschichte eingehen.
"Hopelessness" jedenfalls muss gehört werden. Wegen der Botschaft. Wegen der überbordenden Kreativität und dem aufgezeigten Mut, neue Wege zu bestreiten. Und wegen seiner durchweg faszinierenden und entfesselten Hauptdarstellerin.
11 Kommentare mit 6 Antworten
total gut.
(Nein, wirklich! 5/5)
Absolute Zustimmung! 5/5
großartiges von miss hegarty.
...obwohl ich ganz persönlich immer noch das debüt mit "cripple & starfish" oder "hitler in my heart" als seinen/ihren ultimativen burner empfinde.
Habe ich bislang genauso gesehen, aber "Hopelessness" ist für mich auf dem gleichen Niveau.
I am a Bird now ist natürlich der Endboss des Bird Gehrl.
ich brech zusammen....wudo mag den hegarty
Klar. Habe alles von ihm. Melancholisch geht die Welt zu Grunde.
Alles zurück! Nachdem ich das Album öfters gestreamt habe, habe ich mich an die Stimme gewöhnt und mag sie jetzt ziemlich gern Die CD ist bestellt, ich würde 4,5 bis 5 Sterne geben!
Apokalypsensoundtrack gab es dieses Jahr bereits von The Body.
Die werden hier wohl leider nie stattfinden.
5 Sterne mich hat das Album überzeugt.
ich bin bei diese seite über das Album gestolpert und mich hat Anohni mit ihrer Tiefen und unverwechselbaren Stimme nicht mehr losgelassen. Daumen hoch