laut.de-Kritik
Verwirrte, schwankende und vor allem starke Gefühle.
Review von Vicky ButscherEine Stunde, drei Minuten, neunundvierzig Sekunden. Unglaublich.
Eine Stunde, drei Minuten, neunundvierzig Sekunden Kraftakt voller harter Brocken verlangen Durchhaltevermögen und bedeuten zunächst einige Durststrecken.
Eine Stunde, drei Minuten, neunundvierzig Sekunden lang beschert mir "Down In Albion" sechzehn warmherzige, ehrliche, angriffslustige und intime Songgebilde.
Doherty präsentiert ein über große Strecken skizzen- und schemenhaftes Album. An manchen Stellen fühle ich mich, als hätte sich gerade jemand mit seiner Akustischen neben mich gesetzt, um mir selbstverloren etwas vorzuspielen. Ein wenig fehlt der Zusammenhang, doch kommt es immer aus den tiefsten Tiefen des Herzens.
Einen solch sauberen Songaufbau wie den von "La Belle Et La Bête" hätte niemand erwartet. Natürlich trügt dieser erste Eindruck, doch zum Teufel mit den Erwartungen. Der Bass legt sich warm und bedächtig wie ein ruhiges Flussbett unter die etwas nervöse, spielfreudige Gitarrenlinie und das präzise, aber aufgekratzte Schlagzeug. Petes Stimme schwankt zwischen Hingebung, Abgeklärtheit und End-Siebziger-Punk. Als Gegenpart dazu flüstert die liebenswert-liebliche Kindfrau Moss "Is she more beautiful than me".
Das offene "Fuck Forever" mit seinen hohlen Drums befreit den Hörer aus der beklemmenden Stimmung des Openers. "I'm so clever/but clever ain't wise" stellt Doherty an dieser Stelle ganz richtig fest und manifestiert damit die treffendste Momentaufnahme seines Zustands. Gerade, weil er sich hier so vortrefflich selbst beschreibt, hat dieses Album nichts mit seiner sicher teils strategisch ausgenutzten Öffentlichkeitspräsenz zu tun.
Hier geht es um die Liebe zu Melodie und Harmonie. Auch wenn man Letzteres nicht immer sofort entdeckt. Hier geht es um einen Menschen, der sich, seine Gefühle und Träume und vielleicht sogar den Zustand eines Landes in Songs ausdrückt. Taumelt der Song im Mittelteil noch drunter und drüber - Anfang und Ende sind musikalisch so festgezurrt tight, dass man kurzzeitig meint, bei einer anderen Band gelandet zu sein.
"I'm In Love With A Feeling", der zweite Satz, der die Grundsätze Dohertys zementiert. Immer wieder gleiten die Songs in eine Stimmung, in die ich mich schmiegen, mich ankuscheln möchte. Doch ein Gefühl hält nie lange an. Doherty scheint launisch und unersättlich auf seiner Suche nach dem passendsten Gefühl.
In Wahrheit aber muss er süchtig nach dem Fühlen sein. Er möchte das noch stärkere, komplett andere oder alles übertreffende Gefühl finden. Das verlangt, in Extreme zu gehen. Und auch mal den falschen Weg: Die Sackgasse der Platte lautet "Pentonville". Ein Knastkumpel darf ein bisschen über fahrige Gitarrenschwaden toasten. Nein, danke.
Natürlich bildet das in der Libertines- und Babyshambles-Welt allgegenwärtige "Albion" den eigentlichen Mittel- und Bezugspunkt. Ist das das England, das ein Pete Doherty sich wünscht? In dem man wirklich darüber sprechen möchte, wie es dem Gegenüber geht? In dem es altmodisch zugeht, und in dem alles so heimelig klingt? In dem auch gebrochene Menschen mit einsam und verlassen blickenden Augen ihren Platz finden?
Ja, Pete Doherty sucht nicht nach einem Platz an der Sonne. Er sucht nach Gefühlen: Verwirrten, schwankenden, vor allem starken Gefühlen. Für die Musik mag man hoffen, dass er sie nie findet. Dass ihm das, was er spürt, nie genug ist. Schaut man den Menschen dahinter an, bekommt man bei diesem Gedanken Angst.
265 Kommentare, davon 14 auf Unterseiten
wollt ihr nicht oder dürft ihr nicht?
wollen... nehm ich an... teils nicht von der hand zu weisen
Wer den laut-newsletter hat ist klar im vorteil
Och man ey.. als babyshambles-shirt-besitzer schau ich mir gezwungenermaßen die neuesten posts im selbigen Forum an und dann steht da so ein Quark das ist zeitverschweundung
wow.. das ist eines der besten reviews die ich je gelesen habe. toll geschrieben.
den thread hab ich ja fast vermisst