laut.de-Kritik

Robert Smith trifft Nina Hagen.

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Baumarkt ist keine Band, die man sich anhört, um dann kurz danach einen Satz mit "Heute habe ich gelernt, dass ..." zu beginnen. Auch das zweite Album des Chemnitzer Synth-Punk-Duos versperrt sich simplen Hörgewohnheiten und schlittert stattdessen querfeldein durch Genres und Gedankengänge. Was gepackt auf 16-Bit, NDW, Techno oder Akkordeon-Samples musikalisch wie inhaltlich als Flirt mit dem Dada missverstanden werden könnte, lässt aus einem chaotischen ersten Eindruck ein unerwartet stimmiges und komponiertes Gesamtwerk erwachsen.

Das erste, was hierbei auffällt, ist Frontfrau Jens Ausderwäsche. Die schreibt Texte, als wären in ihrem Kopf stets drei Tabs zu viel offen und baut deswegen lyrisch ein Universum in Schräglage auf. Sie widersetzt sich ein bisschen dem typischen Deutsch-Indie-Selbstreflektions-Gedusel und holt sich die Inspiration da her, wo sie hinfällt. Zum Beispiel auf dem Titeltrack dieses Albums: "Kellerduell: Man sortiert gerne Familie nach Kompetenz", singt sie da in einem fast befehlenden Ton. Man kommt gar nicht hinterher, in Frage zu stellen, ob man nun eigentlich gerne Familie nach Kompetenz sortiert oder nicht. Gute Frage, eigentlich!

"Reagier' auf Großneurosen immer zu vorschnell/ Und jetzt haben wir ein Kellerduell" - sie macht das die ganze Zeit. Man müsste eigentlich innehalten und kurz wirken lassen, was da gesagt wird, aber stattdessen walzen die Songs haltlos über die Hörenden. Von links und rechts werden Bilder, Begriffe, Redewendungen und Worte zusammenklaubt, die man nicht zusammen vermutet hätte. Ein Kellerduell, also ein Sportwettkampf zwischen schwachen Parteien, eine Großneurose, zu vorschnell reagiert?

Man verliert also zwangsweise leicht den Faden an dieser agil gedankenspringenden Protagonistin. Neim ersten Hören könnte das Gefühl entstehen, das sei alles Nonsens. Aber Jens Ausderwäsche hat eine einmalige Hand dafür, die seltsamsten Formulierungen im Kopf zu verankern. "Königin einer Sonne im Mai / Auf dich hat sich schon viel gereimt" singt sie zum Beispiel auf "Maikönigin", auf "Guacamolebrot" heißt es "vorhin hatte ich noch ein Guacamolebrot / doch dann hast du mich ge-friendzonet".

Dass diese Texte und ihre etwas fahrige Vortragsweise trotzdem funktionieren, das macht nicht nur ihre dringliche und intensive Vortragsweise aus. Mit der klingt sie, als sende sie Notsignale aus, als ob sie sich seit drei Tagen im eigenen Kopf verlaufen hätte. Fast noch wichtiger ist aber die Arbeit von Produzent und Multiinstrumentalist Florian Illing, der diesem kurzen Album eine Wucht an verschiedenen musikalischen Ideen unterschiebt und die seltsamsten Ideen eingängig verpackt.

Der New Wave-eske Synthpop von "Lob Und Tadel" zum Beispiel: Das klingt nicht nur fett, das klingt auch herrlich Grufti-Tanzbar, Robert Smith trifft Nina Hagen. Oft versteckt sich hinter bewusst ruppigen DIY-Sound nicht nur handwerkliche Effizienz, sondern auch ein extrem guter Mix. Die Drums auf Songs wie "Salutieren", "Zellstoff" oder "Konfußgänger" könnte eigentlich einen Song für sich tragen. Man merkt, dass da eine Band sitzt, die schon Techno-Projekte gestartet hat.

Wenn sich das zusammenfügt, dann entsteht ein Album, das erst in die Füße und dann in den Kopf schießt. Als wäre jeder Song eine neue und sehr originell gelöste Textaufgabe, in der sich ein kreatives Stückchen Sound, ein fantastischer Groove und noch mehr kryptische, aber irgendwie süchtig machende Lyrics verbergen. Die einzigen Songs hier, die sich ähneln, wären wohl "Guacamolebrot" und das Outro "Das Zweite Guacamolebrot". Aber sonst? "Kellerduell" ist eins dieser Indie-Alben, das zwar schnell zündet, aber es trotzdem wert ist, es öfter zu hören und darüber nachzudenken. Es ist auf eine verpeilte Art und Weise manisch, vielschichtig, lustig, undurchdringbar, tanzbar und unwiderstehlich surreal.

Trackliste

  1. 1. Passanten
  2. 2. Kellerduell
  3. 3. Wald Welt Wiesenfeld
  4. 4. Konfußgänger
  5. 5. Lob Und Tadel
  6. 6. Die Zähne Vom Milchgesicht
  7. 7. Salutieren
  8. 8. Guacamolebrot
  9. 9. Zellstoff
  10. 10. Maikönigin
  11. 11. Zweites Guacamolebrot

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