laut.de-Kritik
Wandertag der Elektrofrickler.
Review von David HilzendegenStephen Wilkinson hasst den Ausdruck Folk. Was hat er denn mit Bob Dylan oder Joan Baez zu tun, lautet wohl die Frage, die dahinter steckt, wenn er gesteht, dass ihm "der absolute Großteil des klassischen Folkzeugs in den Ohren weh" tue. Nichts hast du damit zu tun, lieber Bibio, zumindest nicht im klassischen Sinne.
Schließlich klingt "Mind Bokeh" weniger nach gesellschaftlichem Aufbruch im Stile von "Blowin' In The Wind" als nach einem Wandertag der Elektrofrickler. Die Wandergitarre hat Bibio natürlich entsprechend dabei. Allerdings spielt die Akustikklampfe, in den Vorgängern noch allgegenwärtig, außer in "More Excuses" eine deutlich untergeordnete Rolle.
Schroffe Tieftöner, konterkariert von hohen Klängen und Effekten regieren das Geschehen – überlagert von Texten mit klaren, eingängigen Melodien zum fröhlichen Mitsummen. Als "balance of familiar and non-familiar", das "Gleichgewicht aus Gewohntem und Ungewohntem", umschreibt Bibio selbst die Platte. In der Tat steigert er sich neben den – sorry, Stephen – folkig anmutenden Gesängen regelmäßig in Synthie-Orgien, die eine gehörige Portion guten Willen bedürfen.
Billigst-Trash, der bei Hudson Mohawke im Gesamtkontext noch verzückte, wirkt am Ende des flehend-melancholischen Openers völlig deplaziert. Rockige Gitarren wie in "Take Of Your Shirt" klingen zwar nett, bilden in der Mitte der Platte jedoch einen Fremdkörper ohne Bezug zu den vorhergehenden und den nachfolgenden Stücken. Das übertrieben kitschige Thema in "K Is For Kelson" ist selbst für ausgemachte Glibber-Fans schwer zu ertragen – womit sich der Kreis zu den billigen Trash-Effekten schließt.
Allerdings hat "Mind Bokeh" auch seine gute Seiten. Bis kurz vor Ende geht "Excuses" mit seinen schweren Bässen als ungemein fesselndes Stück durch, eine Art absurder Blockhead. "Anything New" mutiert mit fluffiger 80er-Heiterkeit zum absoluten Ohrwurm, "Light Seep" holt mit funky Basslinie die Soulbrüder und -schwestern ab, mutet ihnen mit einem übersteuerten Keyboard allerdings Einiges zu – mit Recht, denn das Experiment stand schließlich schon immer oben auf Bibios Agenda.
Allerdings besaßen die vorherigen Scheiben, allen voran die vom Autor in den Himmel gefeierte "Ambivalence Avenue", zumindest einen Hauch von Konzept. "Mind Bokeh" wirkt zu weiten Teilen erzwungen und bleibt so meist nur Stückwerk und unscharf – was auf eine kuriose Art und Weise Sinn ergibt. Denn "Bokeh" umschreibt in der Fotografie die ästhetische Qualität eines unscharfen Teils im Bild, der vom Objektiv projiziert wird. Die Bewertung dessen ist subjektiv – ebenso wie die Wandertag- und Folk-Assoziationen, die Bibio hervorruft.
1 Kommentar
Kann mich der Review nur anschließen kann man hörn, muss man aber nicht.