laut.de-Kritik
Zwei Große, die im Studio Spaß hatten.
Review von Giuliano Benassi"John Wesley Harding", Bob Dylans Album von 1967, war revolutionär und reaktionär zugleich. Um das zu verstehen, ist ein kurzer Rückblick nötig. Im Mai 1966 kam es bei Dylans Großbritannien-Tour zu erbosten Reaktionen von Teilen des Publikums, das ihm vorwarf, sich verkauft zu haben. Es nahm ihm übel, die Folk-Musik seiner Anfänge mit Rock verunstaltet zu haben. Kaum zurück in den USA, nutzte Dylan einen Motorrad-Unfall als Vorwand, um sich zurückzuziehen. Im ländlichen Woodstock, das drei Jahre vor dem legendären Festival kaum mehr als ein unbekanntes Kaff war, kümmerte er sich um seine Familie und versuchte, den Nervensägen zu entkommen, die ihn als neue Leitfigur sahen - sowohl Fans als auch Journalisten.
Untätig blieb Dylan nicht. Seine Begleitband, die Hawks, hatten sich in der Nähe einquartiert, bastelten an jenem Album, das "Music From Big Pink" werden sollte und vertonten die Texte, die aus Dylan weiterhin nur so heraussprudelten. Die Aufnahmen, die entstanden, waren rudimentär, dafür umso legendärer, auch wenn die "Basement Tapes" erst 1975 auf den Markt kamen.
Im Oktober und November 1967 unternahm Dylan mehrere Ausflüge nach Nashville. Dort hatte er vor der Europa-Tour das Material für sein Doppelalbum "Blonde On Blonde" aufgenommen, das die Rocktrilogie ("Bringing It All Back Home" und "Highway 61 Revisited", beide 1965) vervollständigt hatte. Damals brachte er einige Musiker aus New York mit, diesmal reiste er alleine an. Begleiten sollten ihn nur Bassist Charlie McCoy und Schlagzeuger Kenny Buttrey, mit denen er bereits im Frühjahr 1966 musiziert hatte.
Aus späterer Sicht war das revolutionär, denn zu diesem Zeitpunkt standen sich Country, dessen Hauptstadt Nashville war und ist, und Folk-Rock so nah wie Schlager und Hip Hop Ende der 1990er. Sie verachteten sich also gegenseitig. Country war konservativ und stand den langhaarigen Männern und den zunehmend emanzipierten Frauen feindselig gegenüber. Die jugendliche Gegenkultur, die sich gegen Rassismus und den Krieg einsetzte, konnte wiederum nichts mit der langweiligen Musik ihrer Eltern anfangen. Für sie war dieser Zug Dylans also reaktionär.
Dylan ging das wie gewohnt am Hintern vorbei. Er hatte zwei gute Gründe, in Nashville aufzunehmen: Sein Label Columbia hatte dort ein sehr gutes Studio gekauft, außerdem lebte dort der Produzent von "Blonde On Blonde", Bob Johnston. Nachdem das Vorgängeralbum eine zähe Angelegenheit gewesen war, sollte es diesmal schnell gehen. Nach drei Studiotagen und zehn Stunden Aufnahmen war "John Wesley Harding" tatsächlich fertig.
Trotz der reduzierten Besetzung - auf den letzten zwei Stücken ist noch Pedal Steel-Gitarrist Pete Drake zu hören - war es keine Rückkehr zu den folkigen Wurzeln. Und auch kaum Country. Den herausragenden Track, "All Along The Watchtower", hatten sie zwar akustisch aufgenommen, vom Gefühl her war es aber eine Rocknummer, die Jimi Hendrix zu einem seiner besten Momente (und zu seiner erfolgreichsten Single) inspirierte. Eine Passage landete später fast eins zu eins im letzten Teil von Led Zeppelins "Stairway To Heaven". Obwohl Dylan schon wieder einen Haken geschlagen hatte, wurde "Harding" zu seinem bis dahin erfolgreichsten Album.
Da es im Studio flott zuging und nicht alle Tapes erhalten geblieben sind - Columbia hatte die Miete für eine Lagerhalle nicht bezahlt und so sind einige auf Nimmerwiedersehen verschwunden - ist nicht viel alternatives Material dieser Sessions übrig geblieben. Auf der vorliegenden Zusammenstellung sind es die ersten sieben Stücke, die zudem eher dokumentarischen Wert besitzen als neue Erkenntnisse bringen. Was auch für die restlichen Stücke auf der ersten CD zutrifft, die von den Aufnahmen zum nächsten Album stammen.
Denn ein gutes Jahr später begab sich Dylan wieder nach Nashville, zu Johnson, McCoy und Buttrey und zu einigen weiteren Sessionmusikern. Diesmal aber, um tatsächlich ein Country-Album aufzunehmen. Dazu hatte er sich sogar eine Stimme zugelegt, die für seine Verhältnisse sanft klingen sollte, aber so wirkte, als habe er eine Wäscheklammer an der Nase. Was "Nashville Skyline" einzigartig machte waren weniger die Stücke (das bekannteste ist "Lay, Lady, Lay") als seine Zusammenarbeit mit einem Musiker, der damals schon eine Legende war.
Die Wege von Dylan und Johnny Cash hatten sich schon mehrfach gekreuzt. 1956 war Robert Zimmermann, wie der junge Dylan damals noch hieß, von Cashs Hit "I Walk The Line" schwer beeindruckt gewesen. "Es war anders als alles, was ich bis dahin gehört hatte. Die Aufnahme klang wie eine Stimme aus dem Erdinneren. Es war so kraftvoll und bewegend", erinnerte sich Dylan 2003, als Cash starb. Eine Zuneigung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. So soll Cash die ersten Alben Dylans rauf und runter gehört und sich für den jungen Singer/Songwriter eingesetzt haben, als der kommerzielle Erfolg auf sich warten ließ - sie waren ja beide beim selben Label. 1964 schenkte Cash beim Newport Folk Festival Dylan eine Martin-Gitarre und verteidigte ihn später, als er böse Reaktionen für seinen Rock-Wandel erntete.
Als Cash erfuhr, dass Dylan in Nashville ins Studio wollte, lud er ihn und seine Familie ein, auf seinem Anwesen in Hendersonville zu übernachten. Angeblich bot er ihm sogar ein Grundstück an, falls er endgültig umsiedeln wolle, doch Dylan kam alleine - und ging ins Hotel.
Dass die zwei schließlich gemeinsam im Studio landeten, war geschickt von Johnson eingefädelt, der beide gleichzeitig produzierte. Am 17. Februar 1969 führte er Dylan in Cashs Studio. Während die zwei beim Essen waren, stellte er ein zweites Mikrophon auf und stöpsele Dylans Gitarre ein. Als sie zurück kamen lachten sie - und machten sich an die Arbeit.
Trotz der Freundschaft und der gegenseitigen Achtung lief es nicht so locker, wie man vermuten könnte. Offenbar kannte keiner die Texte des jeweils anderen auswendig, dazu kam, dass ihre Stimmen und Harmonien nicht so richtig zueinander passten: Zu mächtig die von Cash, zu nasal die von Dylan, der es offenbar auch nicht gewohnt war, Harmonie zu singen. Während Cash sein Ding durchzieht, hört sich Dylan schon fast schüchtern an. Immerhin gelang es ihnen, Cashs "I Miss Someone" und Dylans "Girl From The North Country" halbwegs vernünftig zu interpretieren.
Letzteres landete schließlich als einziges gemeinsames Stück auf "Nashville Skyline". Eine magere Ausbeute, denn die zwei trafen sich auch am Folgetag und nahmen noch einige Stücke mehr auf. Der Hintergedanke war wohl, dass es für ein eigenes Album reichen würde. Letztlich verschwand der Rest der Aufnahmen mit wenigen Ausnahmen in den Archiven und kommt erst hier, 50 Jahre später, offiziell auf den Markt.
Zu den besten Momenten gehören eine weitere Version von "Girl From The North Country", das Dylan 1963 auf "The Freewheelin' Bob Dylan" veröffentlicht und zu dem Cash ein Jahr später einen eigenen Text geschrieben hatte, "Understand Your Man". Gleich in der ersten Session tauschten sie die Texte aus, Cash sang also Dylan und umgekehrt, was sich etwas wirr anhört, dennoch nett klingt. Auch nahmen sie ein neues Stück auf, "Wanted Man", das sie auf die Schnelle beim Essen geschrieben hatten. Dylan spielte es danach nie wieder, Cash war dagegen so davon angetan, dass er damit eine Woche später seinen Auftritt im Knast von St. Quentin eröffnete.
An Tag zwei war neben Cashs Band auch ein weiterer großer Name an Bord, jener Carl Perkins, der 1955 mit "Blue Suede Shoes" eines der Rock'n'Roll-Stücke schlechthin geschrieben hatte. Danach war er eher in Vergessenheit geraten, nahm in einem weiteren Studio aber auch gerade ein Album auf. Er steuert seine Gitarre unter anderem bei "Matchbox" (das ebenfalls aus seiner Feder stammt) und "Wanted Man" bei. Gelächelt haben dürfte er bei der Hommage an Country-Meister Jimmy Rodgers. Die Texte kannten Dylan und Cash offenbar, doch Reeds Markenzeichen, das Jodeln, gehörte nicht zu ihrem Repertoire. Cash scheiterte kläglich, Dylan schlug sich etwas besser, beide nahmen es aber mit Humor.
Ein weitere Frucht des Zusammentreffens waren die Liner Notes, die ein offenbar beeindruckter Cash in Reimform geschrieben hatte und in denen er heraus arbeitete, dass Dylan eine ganz besondere Spezies von Künstler darstellte. Auch lud er ihn zur ersten Episode seiner neuen TV-Show ein. Also trafen sie im Mai 1969 wieder aufeinander, wieder in Nashville, diesmal im Ryman Auditorium, dem symbolträchtigsten Veranstaltungsort des Country. Dass das Publikum aus langhaarigen Hippies bestand, gilt als Geburtsmoment des Country-Rock. In der Tat sollten die Grenzen rasch verwischen, zumindest für einige Jahre, auch wenn die hier dokumentierten Stücke nicht wirklich vom Hocker reißen. Letztlich war Cash genauso ein Vorreiter wie Dylan, in den folgenden Episoden lud er unter anderen Neil Young und sogar Pete Seeger ein, der nach der Verfolgung von Senator Joseph McCarthy seit den 1950er Jahren als Kommunist verschrien war.
Wie stark Cash Dylan beeinflusste, zeigt sich auch daran, dass Dylan dessen "Ring Of Fire" und "Folsom Prison Blues" in den Sessions für sein Folgealbum "Self Portrait" (das letzte, das er in Nashville aufnahm, zeitgleich mit dem TV-Auftritt) coverte, auch wenn er sie dann nicht verwendete. Vielleicht klangen sie zu rockig? Ganz traditionell geht es dagegen auf den letzten Stücken dieser Zusammenstellung zu, die im Haus von Earl Scruggs entstanden. Mit Bill Monroe galt der Banjo-Spieler in den 1940er Jahren als Erfinder des Bluegrass, zeigte sich trotz seines Kultstatus und dem vergleichsweise hohen Alter aber offen für zeitgenössische Musik. So spielte er 1972 eine wichtige Rolle in "Will The Circle Be Unbroken" der Nitty Gritty Dirt Band. Für einen Dokumentarfilm lud Scruggs Dylan im Mai 1970 zu einer Session ein, um mit seinen zwei Söhnen (Gitarre und Bass) zu musizieren.
Eine vielseitige, hörenswerte Zusammenstellung, also, inklusive ausführlicher Liner Notes, interessanten Fotos und Infos zu jedem Track. Wie gewohnt macht man bei Dylans "Bootleg Series" also wenig falsch. Ihn mit Cash zusammen musizieren und lachen zu hören ist wirklich etwas Besonderes.
1 Kommentar
ich (bei posthumen releases): mimimi kommerz... mimimi leichenflederei.....mimimi
ich (bei posthumen releases von Johnny Cash und GG Allin):
shut up and take my goddam money!!!1