laut.de-Kritik

Play it again, Bob.

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Covid machte ihm schließlich einen Strich durch die Rechnung: Aufgrund des Lockdowns musste Bob Dylan 2020 nach 32 Jahren seine "Never Ending"-Tour unterbrechen. Nicht mal die Verleihung des Nobelpreises hatte ihn 2016 von der Bühne gelockt. Wie viele andere Künstler nutzte er die Zeit, um seine Karriere Revue passieren zu lassen und nahm eine Corona-Session auf. Ein großes Brimborium machte er darum nicht, die Ausstrahlung fand im Juli 2021 als Pay-Per-View auf dem hierzulande eher unbekannten Livestreaming-Dienst Veeps.com statt.

Diejenigen, die zuschauten, staunten nicht schlecht: Da stand Dylan auf einer Bühne in einer nostalgischen Umgebung, die an den Film "Casablanca" erinnerte. Verrauchte Bar, verruchte Damen, schwarz-weiß und Einblendungen, die alle Musiker zeitgleich zeigten. Selbst die Masken, die die Band trug (mit Ausnahme von Dylan selbst), hatten Vintage-Charme. Ein sehenswerter Kurzfilm, bei dem die Israelin Alma Har'el Regie führte.

Live war die Angelegenheit jedoch nicht, auch wenn sich unter einer der Masken Buck Meek von Big Thief verbarg. Sie taten nur so, als würden sie jene Instrumente bedienen, die im Januar 2021 in einem Studio aufgenommen worden waren. Also ist es folgerichtig, die Musik nun auf CD und auf Vinyl zu veröffentlichen, natürlich auch als Stream. Der Film ist mittlerweile als kostenpflichtiger Download bei verschiedenen Diensten erhältlich.

Wer die Platte einlegt, ohne die Vorgeschichte zu kennen, schlackert mit den Ohren. Kann Dylan tatsächlich noch so gut singen? Und wer ist dieser Gitarrist, der so klingt wie T Bone Burnett? Die Antworten: Ja, Dylan gibt sich hier richtig Mühe. Und es ist tatsächlich Burnett, der mitwirkt. Offenbar bediente er nicht nur die Gitarre, sondern mischte auch bei der Produktion mit, so wie das Album klingt - mit viel Twang und irgendwo zwischen Ur-Blues und Folk, wie man es von ihm gewohnt ist.

Ganz baff ist man schließlich bei der Songauswahl: Mit der Ausnahme von "What Was It You Wanted" (1989) und dem bisher unveröffentlichten, abschließenden Instrumental "Sierra's Theme" handelt es sich nur um Stücke von 1965 bis 1974. Dass die ganz großen Hochkaräter nicht dabei sind? Egal. Gleich drei Stücke stammen aus Dylans Meisterstück "Highway 61 Revisited" von 1965 - "Queen Jane Approximately", "Just Like Tom Thumb's Blues" und "Tombstone Blues".

Letzteres, im Original schnell gespielt, klingt fast wie ein Zwinkern (oder Stinkefinger?) an jene Fans, die ihn in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in die Defensive drängten. Das gilt auch für die weiteren Stücke aus "Bringing It All Back Home" (1965) und "Blonde On Blonde" (1966), die mit "Highway 61" seine elektrische Phase einleiteten und bei Teilen seiner Hörerschaft für heftige Diskussionen sorgten.

Dylan greift diesmal sogar selbst in die Saiten und spielt Mundharmonika, wie zu den guten alten Zeiten. Zu Burnett gesellen sich weitere Hochkaräter ins Studio, unter ihnen Greg Leisz (Pedal Steel), Don Was (Kontrabass) und Jeff Taylor (Akkordeon). Schlagzeuger ist interessanterweise keiner dabei, und wer das verträumte Dulcimer in "Forever Young" spielt, lässt sich leider nicht so leicht in Erfahrung bringen. Da hilft auch das Booklet nicht weiter, denn es gibt keines - auf der Rückseite der Vinyl-Ausgabe steht lediglich "All songs written by Bob Dylan". Das zärtliche Lied von 1974 übrigens, damals wegen seiner Grußkarten-Lyrics eher belächelt ("May your wishes all come true / May you always do for others / And let others do for you / May you build a ladder to the stars / And climb on every rung / May you stay forever young"), ist eines der schönsten der Auswahl.

Dass die Stücke nahtlos ineinander übergehen, erzeugt das Gefühl einer musikalischen Reise - auch wenn man sich bei der Vinylversion zwei Mal aus dem Sofa bequemen muss (Seite vier ist mit einem Muster bedruckt). "Watching The River Flow", eben. Übrigens ein eher wenig bekanntes Stück, das 1971 als Single und später auf Compilations erschienen ist.

Der musikalische Rahmen ist wirklich ansprechend gesetzt, die Interpretationen ebenso. Da bleibt nur zu wünschen: Play it again, Bob! Was er natürlich schon längst wieder tut, denn Dylan war im November 2021 einer der ersten, der seine Bühnentätigkeit nach Auslaufen der Corona-Maßnahmen wieder aufnahm. Allerdings mit seiner gewohnten Band. Die "Never Ending"-Tour ist seitdem wieder voll im Gange.

Trackliste

  1. 1. When I Paint My Masterpiece
  2. 2. Most Likely You Go Your Way (And I'll Go Mine)
  3. 3. Queen Jane Approximately
  4. 4. I'll Be Your Baby Tonight
  5. 5. Just Like Tom Thumb's Blues
  6. 6. Tombstone Blues
  7. 7. To Be Alone With You
  8. 8. What Was It You Wanted
  9. 9. Forever Young
  10. 10. Pledging My Time
  11. 11. The Wicked Messenger
  12. 12. Watching the River Flow
  13. 13. It's All Over Now, Baby Blue
  14. 14. Sierra's Theme

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