7. Oktober 2011
"Musik ist eine klare Sprache für alle"
Interview geführt von Simon LangemannDas Solo-Projekt Boundzound des Seeed-Sängers Demba Nabé aka Ear steht vor allem für das Einreißen von Genregrenzen. Auf der neuen Platte "Ear" mischt er verschiedenste Einflüsse zu einem spannenden Soundcocktail, der sehr deutlich macht, dass es sich bei Demba Nabé nicht nur um einen hervorragenden, sondern auch um einen weit gereisten Musiker handelt.
Fast sechs Jahre ist es her, dass das Berliner Reggae-/Dancehall-Kollektiv Seeedmit "Next" sein letztes Studioalbum veröffentlichte. In der Zwischenzeit wurde es doch ziemlich still um die überaus erfolgreichen Dancehall-Caballeros. Das hinderte viele der elf Mitglieder jedoch nicht daran, weiterhin mit kreativem Output auf sich aufmerksam zu machen.
Demba Nabé, seines Zeichens einer der drei Seeed-MCs, veröffentlichte unter dem Pseudonym Boundzound bereits 2007 das selbstbetitelte Solo-Debüt und legte nun das Zweitlingswerk "Ear" nach. Anlässlich der letzten Show der kurzen Seeed-Comebacktour bei Rock am See bot sich die Gelegenheit, pünktlich zum Release ein ausführliches und interessantes Gespräch über das neue Album zu führen.
Nachdem ich über fünf Ecken endlich im aufwändig aufgebauten Backstage-Bereich ankomme, sitzt Demba schon bereit und überbrückt die Wartezeit mit seinem iPod. Der Sänger, Klarinettist, Tänzer und bildende Künstler scheint sich sehr auf den am Abend bevorstehenden Headliner-Auftritt zu freuen. Auch wenn Seeed später vor 13.000 euphorisierten Fans die Bühne entern werden, gibt er sich ruhig und gelassen und hat viel über sein neues Werk zu erzählen.
Deine Sängerkollegen Dellé und Peter Fox haben es jeweils bei einem Album belassen und sich dann zurückgezogen. Wann hast du dich dagegen entschieden und warum?
Naja, ich hab' mich mal irgendwann dafür entschieden, Musiker zu sein. Relativ früh, mit 15 vielleicht. Seitdem mache ich einfach Musik. Unter welchem Namen das wie und wann veröffentlicht wird, ist eigentlich eine andere Frage. Da hängen dann immer noch so viel andere Leute mit drin, man macht Musik ja nicht alleine, sondern mit Leuten zusammen.
Seeed ist eine alte, große Band. Da ist sowieso klar, dass man weiß, dass die zwei anderen Sänger noch anderes gemacht haben. Wobei da zwischendurch noch viel mehr Musik gemacht wird, auch von den ganzen Leuten, die in der Band aktiv sind. Die machen ja auch Sachen. Davon hört man zwar nicht so viel, aber das passiert alles.
Ich hab' jetzt das zweite Album unter dem Namen Boundzound aufgenommen. Den Namen gibt es auch schon lange. Jetzt sind eben zwei Alben unter diesem Namen rausgekommen und es geht weiter. Letztendlich ist das mit Seeed und Boundzound ein ziemlich analoger Prozess.
Ihr seid jetzt mit Seeed sowohl auf Tour als auch an der Arbeit an neuem Material. Mittendrin erscheint noch dein Album. Ist das nicht eine übertriebene Doppelbelastung?
An meinem Album ist ja in den letzten zwei Jahre gearbeitet worden. Jetzt wieder live unterwegs zu sein, und das auf die fetteste Art, die ich mir vorstellen kann, ist natürlich erstmal ein Traum. Gestern kam das Album, heute spielen wir mit Seeed, das fühlt sich rund und gut an. Abgesehen davon, dass das zwei Namen hat, ist das für mich ja eine Family. Es ist einfach cool, dass es direkt weitergeht.
Kannst du das Album überhaupt würdig promoten? Wann willst du auf Solo-Tour gehen?
Wir spielen die Songs vom Album jetzt grade teilweise in einer Trio-Formation unplugged mit Klarinette, Gitarre, Bartion und Koffer-Percussion, was ziemlich abgefahren ist. Dann gibt es noch eine ziemlich große Band mit Jens Fischer der auch bei "Twilight" die Gitarre gespielt hat und musikalischer Organisator der Blue Man Group ist. Der hat eine Band gegründet zu den Bildern, die ich in Afrika gemalt habe, während ich die Platte produziert habe. Daraus habe ich ein Kinderbuch für die Tochter eines Freundes von mir gemacht. Diese Bilder hängen im Theater der Blue Man Group, dazu gibt es eine achtköpfige Band, die auch Remixes von "Louder" und "Doku" gemacht hat.
Es geht also um eine große Band, die spielt oder zumindest spielen kann, die es erstmal so gibt. Die wird dann je nach Nachfrage und je nach dem, was in Zukunft passieren wird, auch in der Öffentlichkeit spielen. Die Sachen, die jetzt erstmal passieren, passieren, weil sie passieren wollen und wir das alle fühlen. Aber Werbung und Nachfrage sind eben auch ein Zepter, das man nicht alleine in der Hand hat.
Man kann sagen: Die Platte ist geil geworden, das Produkt ist cool geworden und wir haben die Musik in allen möglichen Formen anzubieten. Die alte Boundzound-Band gibt es natürlich auch wieder, falls es eine Nachfrage gibt, die irgendwie Sinn macht. Wir produzieren jedenfalls weiter und Boundzound wird noch in allen möglichen Formen angeboten werden. Da wird es dann wahrscheinlich eher nächstes Jahr ein paar Festival-Auftritte mit der alten Boundzound-Band oder auch der großen Band aus der Bilderwelt geben.
Ihr hattet mit Seeed bei euren bisherigen Comebackauftritten auch einige Songs im Programm, die von euren Solo-Alben stammen, zum Beispiel deinen Hit "Louder". Wolltet ihr nur eine veraltete Setlist vermeiden oder reizt es dich auch, deine eigenen Songs mit der alten Band zu spielen?
Soundmäßig ist es natürlich total fett. Die Version, die wir da haben ist cool und macht großen Spaß. Auch die Peter Fox-Songs sind cool und es macht allen Spaß, die zu spielen. Es ist zwischendrin eben viel Musik entstanden, die einfach gut ist. Deswegen ist es auch schön, diese jetzt mit so einer fetten Band zu spielen. Der Sound könnte ja nicht besser sein, das ist sozusagen eine eingefleischte Frequenz.
Jetzt wo du zum ersten Mal seit Jahren wieder mit Seeed arbeitest: Hat die ausgiebige Arbeit an deinem Soloprojekt deine Herangehensweise an neues Seeed-Material beeinflusst?
Ja, schon irgendwie. Man hat zwischendurch viel verschiedenes gemacht und viele Sachen ausprobiert. Das beeinflusst irgendwie schon alles. Ich könnte jetzt nicht konkret sagen, was, aber ich merke schon, dass alle anderen auch etwas gemacht und sich entwickelt haben. Da geht es auch um Dinge, die gar nicht unbedingt mit Musik zu tun haben, wie die Familie. Das Leben ist weitergegangen, das spielt natürlich eine Rolle. Auch für den Sound und das, was jetzt kommen wird. Ich kann natürlich nicht einschätzen, was da jetzt die konkreten Einflüsse sind, aber es wird sie auf jeden Fall geben. Wär' ja schlimm, wenns nicht so wäre.
Du bist Teil der mit Abstand erfolgreichsten deutschen Reggae-/Dancehall-Band. Auf deinem neuen Album gibt es jedoch keinen Song, der auffällig auf Reggae-typische Muster wie Offbeats setzt. Wolltest du dich damit bewusst absetzen?
Also ich stehe schon auf Reggae. Eigentlich kann man sagen, ich stehe auf Menschen und bestimmte Leute, die Musik machen. Was Stücke mit Gesang betrifft, kommt da viel aus Jamaika und aus dem Dancehall-Bereich, weil das einfach Power hat. Aber es gibt natürlich auch alle mögliche andere Musik, von der ich extrem beeinflusst bin, zum Beispiel Jazz, mit dem ich aufgewachsen bin, oder auch Soul-Sachen, 1960er-Jahre-Sound, Elektro in Berlin, klassische Musik, Strawinsky, Mozart ... Es gibt irre viele Sachen, die einfach cool sind.
Außerdem ist die Platte mit Montana Beats produziert, der eher so den Hip Hop-/Westcoast-Touch reingebracht hat, wenn man das irgendwo hinpacken will. Er ist aber selbst jemand, der offen ist und eine gewisse Sound-Ästhetik hat. Ich würde mich jetzt nicht darauf festlegen, dass er Hip Hop-Produzent ist. Die Leute, mit denen ich Musik mache, sind meistens in irgendeine Richtung unterwegs, die aber nicht genau fassbar ist. Hinter den Kulissen ist erstmal alles breit mischbar. Es gibt immer wieder Verbindungen von Leuten, die man sich vorher so nicht hätte vorstellen können. Bei sowas kommen dann Songs raus, die einfach cool wirken. So ähnlich ist das auch bei den Songs auf der Platte.
Boundzound steht eigentlich dafür, den kleinsten gemeinsamen Nenner für mehrere Ideen zu finden. "Boundary" und "Sound", das Wort bedeutet also, Grenzen überwindenden Sound zu machen, ein Wort oder einen Satz als Grundlage für einen Song zu nehmen und darum herum Musik zu bauen. Deswegen ist das Ganze stilistisch ziemlich bunt. Es gibt zwar einen klaren Sound, er kommt jedoch aus allen möglichen Ecken.
"Ich bade gerne in Sound."
Deine beiden Alben sind in einem fließenden Aufnahmeprozess entstanden. Warum setzt sich dein neues Album deiner Meinung nach dennoch ab?
In erster Linie habe ich das erste Album mit den Krauts produziert, die auch mit Marteria und Peter Fox gearbeitet haben. Das zweite Album ist mit Montana Beats und den Beathoavenz entstanden. Das sind einfach andere Leute, daher kommen auch andere Sounds dazu. Ich bin natürlich auch anders geworden, war viel unterwegs, zum Beispiel in Los Angeles, wo ich mit Filmmusik zu tun hatte. Danach war ich in Westafrika, wo ich viel mit anderen Musikern und Gesang zu tun hatte. Da ist der Song "Doku" mit Ami Star entstanden. Außerdem sind Features mit Beccy Boo und Oceana dabei. Es kommt immer das dazu, was die Menschen mitbringen, die letztendlich auf dem Album drauf sind ... und die, die drauf sind. (lacht)
Du warst nicht nur im Bereich Musik kreativ unterwegs sondern hast auch Kurzgeschichten und Theaterstücke geschrieben und viel gezeichnet. Fällt dir das Songwriting prinzipiell vergleichsweise leichter oder verzweifelst du daran manchmal auch?
Es gibt eigentlich auf allen Ebenen beides. Es gibt diese Momente, wo einem einfach etwas geschenkt wird. Aber an den meisten Sachen arbeitet man, und manchmal bringt einen das auch zur Verzweiflung. Das meiste liegt irgendwo in der Mitte davon. Meistens arbeitet man und trainiert sozusagen, wie ein Tänzer. Manchmal wird einem etwas hinterhergeworfen, manchmal verzweifelt man, aber das ist beides selten.
Die Stücke vom neuen Album sind extrem komplex produziert. Willst du das live ähnlich rüberbringen oder wird es da starke Veränderungen geben?
Eine Platte ist für mich natürlich immer etwas ganz anderes, als live zu spielen. Live gibt es ja diverse Möglichkeiten, irgendwas zu machen, vom philharmonischen Orchester mit 60 Leuten, das mit einer Band zusammenspielt, bis zum Duett, bei dem nur zwei Leute irgendwas machen. Sobald es um Songs geht, ist es so, dass alles möglich ist und alles dazwischen, was man sich vorstellen kann, auch noch. Weil es halt einfach um einen Song geht, der nur, wenn er gesungen wird, richtig funktioniert. Sobald das so ist, kann man es auf diverse Arten umsetzen, was einfach Spaß macht.
Die letzte Boundzound-Band hatte ja auch eine andere Besetzung als die erste. Das war nicht unbedingt so, weil ich den Sound ändern wollte, sondern weil Leute, die ich liebe und mit denen ich irre gerne Musik mache, grade Zeit hatten. Die haben dann sozusagen alles anders gemacht. Das hat sich einfach so ergeben. Wie als damals Seeed Zeit und Bock hatten und bei Peter Fox die Zugabe gespielt haben. Was Boundzound betrifft, gibt es jetzt mindestens drei Formationen, die alle geil sind und Lust haben, zu spielen. Je nachdem, was möglich ist, wird man das dann machen.
Der Autorin der laut.de-Review deines neuen Albums ist aufgefallen, dass deine Stimme bei manchen Songs so abgemischt ist, dass sie in den Instrumentals fast ein bisschen untergeht. Sollte damit der Musik bewusst mehr Raum ermöglicht werden?
Die Platte klingt auf jeden Fall genau so, wie ich mir das vorstelle. Ich bin ja auch Klarinettist und Tänzer und liebe fetten Sound. Ich gebe den Sachen an sich so viel wie möglich Gleichgewicht. Ich weiß schon, dass man als Mensch relativ selektiv unterwegs ist und einen Fokus braucht, deswegen kann ich das Argument gut verstehen. Aber ich bade gerne in Sound. Ich mag das, wenn es voll klingt und man sich auf viel konzentrieren kann, solange nichts untergeht. Und ich habe nicht das Gefühl, dass die Stimme irgendwie untergeht. Man kann schon alles sehr klar wahrnehmen, aber man verliert auch nichts drumrum. Manche Sachen, die normalerweise leiser gemischt werden, sind vielleicht wichtiger aufgestellt, damit einfach mehr Move drin ist.
Dein Album ist an sehr verschiedenen Orten (Berlin, Los Angeles und Westafrika) entstanden. Lieferten diese weiten Reisen und die Eindrücke der Länder Inspiration für die musikalische Vielfalt auf "Ear"?
Unbedingt, ja. Es gibt so eine Band, die heißt Oregon und kommt aus Oregon, fällt mir grade so spontan ein. Die hab' ich irgendwann am Ende der Teenager-Zeit das erste Mal gehört und hatte sofort Bilder vor mir, wie es da aussieht, weil einfach die Natur durch die Musik beschrieben wurde. Das ist bei der meisten Musik, die man hört, so. Wenn etwas aus der Wüste kommt, dann merkt man das irgendwie einfach. Die Eindrücke des Alltags spiegeln sich immer in der Musik wider, deswegen waren meine Reisen extrem bereichernd für jeden einzelnen Song auf der Platte, je nach dem, wo ich war. Bei "Cool" war ich zum Beispiel grade in Montpellier in Frankreich auf dem Berg und hatte eine ziemlich coole Zeit mit schönen Menschen um mich rum. Wo man grade ist, das hat immer einen großen Einfluss und ist Teil der Geschichte.
Wenn man dein Album hört, spürt man, dass du dich in einem Kosmos verschiedenster Einflüsse bewegst, kann diese jedoch kaum benennen.
Die Einflüsse sind vielleicht nicht direkt greif-, aber schon erfassbar. Aber ich bin in Berlin groß geworden. Da hat man so viel Zugang zu Musik, dass es einfach schade wäre, das so kategorisch zu behandeln. Man kann auch alles gleichzeitig hören und wahrnehmen, weil es sich an einem Ort befindet. Wenn du zum Beispiel einen Film siehst, magst du darin bestimmte Leute und bestimmte Musik. Du magst bestimmte Filme für bestimmte Sachen, und es kommt nur ab und zu vor, dass der ganze Film und alles wahnsinnig geil ist. Aber Elemente, die man mag, findet man fast immer. Diese Elemente dann in einem anderen Ding zusammenzuwürfeln, macht natürlich einen Heidenspaß. Das macht man dann solange, bis man es selbst richtig cool findet und sagt: "Okay, jetzt hab' ich echt geile Sachen zusammengebaut".
Gibt es für dich einen thematischen roten Faden, der sich durch dein Album zieht?
Der thematische Faden ist auf jeden Fall genau das, worüber wir gerade reden: Brücken zu bauen und Verbindung zu schaffen. Verbindung von Dingen, die in allgemeiner Betrachtung scheinbar nicht so viel Verbindung zueinander haben. Es geht darum, diese aufzudecken und zu zeigen, dass die Dinge viel miteinander zu tun haben und sehr verwandt sind. Das ist schön, weil es dadurch neue, scharfe, intensive Geschmäcker gibt.
"Es gibt genug unangenehme Sachen auf der Welt, die mich berühren."
Das Album ist alles in allem sehr energiegeladen und aufwühlend geworden. Spielt Melancholie in deiner Musik keine Rolle?
Ja, ich glaube, die hört man nur nicht auf Anhieb. Ich spiele ja Klarinette, ein Instrument, das eigentlich oft schon viel Melancholie in sich trägt. Die Musik aus der Wüste, das Weite oder der Jazz aus den 1920er-Jahren sind ja Richtungen, die oft mit melancholischen Informationen verbunden sind, auch wenn sie fröhlich klingen. Melancholie ist auch Teil der Sache. Ich nehme Dinge war und sie berühren mich. Es gibt genug unangenehme Sachen auf der Welt, die mich berühren, und es ist eher so, dass ich mit so einer Platte und mit den Songs, die ich mache, dafür sorge, dass es mir gut geht.
Bei den schwer definierbaren Stimmungslagen deiner Musik stellt sich die Frage, welche Erlebnisse und Eindrücke dich inspirieren. Schließlich nennst du diese ja nicht wirklich.
Auch wenn die Stimmungslagen natürlich mit allen möglichen Dingen zu tun haben, denke ich mir oft, dass es nicht so wichtig ist, diese zu nennen. Denn es ist eigentlich nicht so hilfreich für jemanden, darüber jetzt etwas zu wissen. Es ist eher wichtig, dass die Songs so funktionieren, dass sie eine hilfreiche Information beinhalten, egal wer was wie erlebt hat. Sie sollen nicht so spezifisch sein, dass man einen ganz speziellen Aufhänger braucht, um damit etwas anfangen zu können. Sie sollen eher so ein, dass man den Song hören kann, wenn man entsprechend drauf ist, und eine allgemeingültige Information bekommt, die stimmig ist.
Gibt es einen bestimmten Effekt, den du dir für deine Musik im Hinblick auf deine Hörer wünschst?
Ja, eigentlich ist das ganz klar definiert: Verständnis. Auf das Wort läuft es hinaus. Verständnis untereinander, zwischen allen und allem. Da fällt mir eine Geschichte ein: Ich habe mal vier Monate lang ein Wespennest auf meinem Balkon direkt über meiner Tür gehabt. Die haben mich eigentlich ziemlich in Ruhe gelassen. Wenn sich mal eine in meine Wohnung verirrt hat, habe ich gesagt: "Hey, da ist der Ausgang. Ihr könnt da wirklich bleiben, ich habe kein Problem mit euch, aber lasst mich hier drin in Ruhe." Bei einer Gesangsprobe haben wir dann zum ersten Mal eine Wespenkönigin gesehen, ich hab noch nie so ein großes Vieh gesehen, die war dreimal so groß wie eine Hornisse oder so und hat Geräusche gemacht wie ein Hubschrauber. Die ist einmal durch meine Wohnung geflogen, hat alles abgecheckt, und ist wieder rausgeflogen. Dann sind sie drei Meter weitergezogen, da waren sie dann noch ein Jahr und sind dann ganz weggezogen.
Letztendlich gibt es so viel Unentdecktes, worüber man sich wenige Gedanken macht und das wenig beschrieben wird, weil es damit weniger Erfahrung gibt, weil weniger in Büchern steht und weil es weniger Bedarf gibt, so etwas zu verbreiten. Solche Beobachtungen schaffen aber relativ viel Verständnis dafür, dass wir zwar unsere Sprache sprechen, damit schon viel Wissen und Know-How haben und recht konkret formulieren können, was wir meinen, uns auf allen anderen Ebenen aber noch relativ unklar sind.
Aber auch auf Sprachen wie Englisch und Französisch kann man nicht immer kommunizieren, weil sie nicht jeder spricht. Musik ist eine sehr klare Sprache für alle, vor der sich keiner verschließen kann. Wenn man in einem Café mit fünfzig Leuten plötzlich einen melancholischen Song auflegt, verebben die Gespräche, ohne dass die Leute es merken. Sie achten zwar alle auf die Kommunikation und keiner konzentriert sich wirklich auf die Musik, aber deren Stimmung hat sich geändert und das ändert die Stimmung im ganzen Laden. Sowas ist Tatsache. Und es ist cool, wenn Musik für Verständnis und, wie in diesem Fall, für Gemeinsamkeit sorgt.
Deine beiden Kollegen, vor allem Peter Fox, feierten mit ihren Soloprojekten überraschend große Erfolge. Glaubst du, dass auch deine Musik Potenzial für einen derart großen kommerziellen Erfolg hat?
Prinzipiell schon, sie ist ja sehr marktspezifisch. Peter Fox hat eine deutsche Platte in Deutschland produziert und ist in Berlin groß geworden und damit für Berlin total verständlich. Wenn man da groß geworden ist, hat man zu den Informationen einen sehr guten Zugang. Ich selber habe jetzt nicht so eine klare Geschichte an diesem einen Ort, sondern bin viel verwachsener mit diversen anderen Orten, weshalb ich auch viel verreise und hier und da bin. Auch meine Familie ist nicht in Deutschland, mein Vater ist in Afrika, meine Mutter ist gerade in der Schweiz. Sie sind aber auch viel unterwegs und es ist alles nicht so sesshaft wie bei anderen Familien.
Was den Erfolg der Platte betrifft, kann ich mir also vorstellen, dass die Musik sehr viele Menschen verstehen und einen Zugang dazu kriegen. Wen das erreicht, ist nochmal eine andere Frage. Aber bei allen, die es erreicht, kommt es recht klar an. Man hat jedoch, wenn man so eine Platte aufnimmt, vorher nie die Gelegenheit, mitzukriegen, wie man das ganze Album wahrnimmt, weil es immer ein ewiger Prozess ist. Nach zwei Jahren hast du die ganze Platte natürlich so oft durchgehört, dass du jedes einzelne Stück genau kennst und liebst. Ich kann aus jetziger Sicht nur sagen: Ich hab' die Platte gemacht und sie kommt bis jetzt gut an. Hört sie euch an und wenn sie euch gefällt, kauft sie und dann gehts auch weiter. Und tanzt! Denn wenn man tanzt, sieht das einfach gut aus.
Nochmal zum Stichwort Unterschiede zu den Projekten deiner Kollegen. Worin siehst du da die Unterschiede, zu Dellés Album "Before I Grow Old"?
Bei Frank würde ich sagen, dass man sein Album von außen doch recht klar als Reggae-Album wahrnimmt. Es hat eine klare Herkunft, ist klar daran orientiert und ist auch für den Markt klarer handhabbar. Die Bounzound-Sache spielt sich, wie du schon gesagt hast, zwischen mehreren Genres ab, was wahrscheinlich der wesentliche Unterschied ist. Boundzound beschreibt einen eigenen Stil, dafür steht das Wort.
Gibt es eine bestimmte Richtung, für die du als Boundzound gerne stehen würdest?
Wenn man sagen kann, dass es eine Schublade gibt, dann ist das natürlich Vokalmusik mit Songs und Texten. Jedes Stück hat einen Refrain und es gibt keine Arrangements wie in den 1970er-Jahren, wo es zwischendurch irgendwelche ewigen Psycho-Parts gibt. Und es ist auch kein Freejazz. Das gibt es ja alles und das ist alles coole Musik, deswegen ist es schon sehr klar ein Song-Album.
Das ist ja schon eine sehr große Schublade, in die du dich da steckst.
Ja, aber es sind alles Songs mit Refrains und Strophen, deswegen ist es auch eine sehr kleine Schublade. Die meisten Songs sind im Viervierteltakt. Auf dem letzten Boundzound-Album gab es einen Song im Fünfvierteltakt und ich liebe auch alle möglichen anderen Arten von Harmonien und Takten. Doch das neue Album basiert schon auf einer recht alten Geschichte und arbeitet mit vielen vertrauten Elementen. Da ist kein schwer zugänglicher Freejazz dabei, sondern das ist eigentlich alles Popkultur, was sich darin trifft. Deswegen sind es alles Popsongs. Es ist ein Popalbum, im weitesten Sinne.
Letzte und entscheidende Frage: Wird es nach dem nächsten Seeed-Album mit Boundzound weitergehen?
Es geht die ganze Zeit mit allem weiter, hoffe ich. Ich höre auf jeden Fall nicht auf. Ich hoffe, ihr könnt es dann auch alle hören und tanzen und ich sehe euch dabei. Und wir können alle zusammen abfeiern.
2 Kommentare mit 7 Antworten
Schiebt es oft angeklickte Interviews automatisch hoch, oder wurde hier mit geschickter Frontpage-Platzierung versucht, auf Kosten eines toten Musikers Klicks zu generieren?
Ich sehe es als kleine Erinnerung
Inspektorin Dogmer deckt auf!
Passt doch insgesamt ganz gut zu r1er und den Schergen hier miesestes Clickbaiting zu betreiben, oder nicht?
Naaja, das machen andere Webpublikationen aber ja auch so, dass sie nach dem Tod eines Künstlers noch einmal die Interviews oder sonstwas an Material rauskramen. Und ist ja auch nur normal menschlich, sich direkt nach dem Ableben eines Künstlers mit seinem Werk und seinen Äußerungen auseinanderzusetzen. Ob das jetzt wirklich eine legitime Teilhabe am kollektiven Erinnerungsprozess oder tatsächlich nur ein zynischer Cashgrab ist, das weiß dann wohl nur die Chefetage selber.
Deswegen frage ich ja.
Ich stelle mir die laut.de-Redaktion ja manchmal wie so nen amerikanischen Gebrauchtwagenhandel vor, wo im Büro eine große Tafel hängt, aus der ersichtlich ist, welcher Händler im laufenden Monat wie viele Schrottkarren zu Geld gemacht hat.
Und jedes Mal wird Joachim Gauger wieder auf magische Weise zum Mitarbeiter des Monats.
Jeder Einzelne guckt in diesem Moment auf die Tafel.. Man sieht Mensch die aussehen, als ob sie mindestens 5 Tage wach sind und unter den verschwitzten Armen hat jeder verschiedene Muster, die bei jedem der dort anwesenden Hemdträgern eine geheimnisvolle Botschaft zeigt. Wer nicht mindestens den Wert von 3 Teufel Boxen, mit seinen Rewievs einbringt, der wird auf der Stelle exekutiert..
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Per Genickschuss... Sollte klar sein.