laut.de-Kritik

Friedhof des Egal.

Review von

Stereo Total überstiegen meine Wahrnehmungsschwelle nie, weil ihr Akzent-Gimmick auf mich stets ein wenig zu einbödig wirkte, unverständlich Deutsch sprechen kann ich als Waidler auch selbst. Allerdings mag ich den Brezel allein schon dafür, dass er auf einem Kommando Sonne-nmilch-Album mitwirkte. Dementsprechend unvorbelastet-positiv betrete ich den "Friedhof Der Moral", muss aber schon am dritten Grab umkehren und die Diskographie des Semmel-Himmlers nachhören, um dieses Album einordnen zu können. Der Friedhof ist nämlich kein gepflegter, sondern ein völlig verwilderter; aber ohne den Zentralfriedhof-Wien-Charme, sondern eher wie der eines verlassenen Ortes in Nordostbrandenburg. Alles wirkt hingerotzt, die Produktionsqualität überschreitet Hobby- und Handyniveau nie.

Nun ist Lo-Fi eine respektable Kunstform bzw. Subgenre, sie lebt aber von Authentizität und einem gewissen trotzigen Widerstandswillen, der den Mangel an Mitteln entweder mit Gewalt überwindet oder ihn einsetzt, um den Kern der eigenen Soundidee umso stärker zu betonen. Beides ist auf dem "Friedhof Der Moral" nie der Fall. Brezel spricht mehr als er singt, und das eher lustlos, ohne dabei aber einen Schluffi-Charme zu erzeugen. Fürst Ziegler trägt auf Songs wie "Such Dir Einen Arzt", "Tschernobyl" und "Ohne Licht" ganz nette Textideen vor, die aber noch so sehr im Anfangsniveau einer weiteren, notwendigen Ausarbeitung verharren, dass sie unmöglich ganze Songs tragen könnten- ganz abgesehen von so einigen Songs, in denen die Lyrics zu egal ausfallen, um Dada-Niveau zu erreichen.

Musikalisch ist das erwähnte "Ohne Licht" der Höhepunkt; ein grober Rahmen ist gesteckt, die ewig gleiche Gitarre bietet griffige Reflektionsfläche - zum Schluss gibt es sogar so etwas wie ein Gitarrensolo. Damit fällt der Song deutlich ausformulierter und durchdachter aus als ein Großteil der anderen, die sich in französische Salonschunkler ("Obessions", "Au Revoir"), wie sie Baxter Dury nie so lieblos fabrizierte, lahme Synthie-Popper ("Visiteur Spectaculaire") und in der Mehrheit unfertige (der eigentlich gute Titeltrack!), viel zu flache Rumpelnummern ("Sexuell Aufgeladen", "Such Dir Einen Arzt", "Feuerlöscher", "Apokalypse", "Die Letzte Kugel"), die nie eine Tiefe erreichen, wie sie die hier scheinbar angestrebten, laut Pressetext "Berliner" Chansons erreichen wollen und gleichzeitig auch noch deren charakteristische Leichtigkeit um Längen verfehlen. Die als Projekt sympatische, grenzüberschreitend-multikulturelle Begleitband Psychoanalyse besteht gefühlt aus Kassierer-Roadies ohne Zugang zu elektrischem Strom, ihr Mehrwert für den Sound bleibt über alle Maßen limitiert, ihre diversen Hintergründe bringen sie nicht ins Produkt ein.

Warum dann dieses jemand hören sollte, bleibt völlig unklar. Für Avantgarde ist es viel zu wenig mutig, für Lo-Fi zu egal, für ein charmantes Hobbyprojekt kann es Friedrich von Finsterwalde eigentlich viel besser. Der Verlust seiner Françoise, an die sich "Au Revoir" richtet und in dem der Laugenmann das einzige Mal unmittelbar und empathisch singt, ist verständlicherweise tragisch, sollte ihn aber nicht daran hindern, einen zweiten Musiker an Land zu ziehen, mit dem er die für ihn für gescheite Musik scheinbar notwendige Kooperation auf Augenhöhe eingehen kann. Oder niemanden: Selbst auf dem mediokren "Psychoanalyse, Vol. 2", dem unmittelbar nach dem Tod der Sängerin aufgenommenen Album, schaffte Brezel ohne seine willfährige Begleitband Psychoanalyse (ja, das ist in der Namensabfolge verwirrend) eine Emotionalität, die dem "Friedhof Der Moral" verwehrt bleibt.

Trackliste

  1. 1. Such Dir Einen Arzt
  2. 2. Sexuell Aufgeladen
  3. 3. Visiteur Spectaculaire
  4. 4. Je Ne Pardonne Jamais
  5. 5. Tschernobyl
  6. 6. Apokalypse
  7. 7. Feuerlöscher
  8. 8. Ohne Licht
  9. 9. Obsessions
  10. 10. Die Letzte Kugel
  11. 11. Tilidin
  12. 12. Friedhof Der Moral
  13. 13. Au Revoir

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7 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 3 Tagen

    Alter, Franz... das ist selbst ohne jegliches Vorwissen um Stereo Total echt... eiskalt.

    Mag ja sein, dass es so kalt geschrieben wurde wie dich Brezels Selbsttherapie in Songform nach Tod nicht nur einer kollaborierenden Musikerin, sondern (nicht nur augenscheinlich) seiner großen Liebe, hinterlassen hat und ich respektiere auch, dass hier ein Meinungsspektrum abgebildet werden soll und nicht immer die Fanpeople das neueste Albung besprechen sollten, aber so lange der Kerl noch so dermaßen offensichtlich und bis übers Kinn in der Trauerarbeit steckt... vielleicht doch lieber wieder bei Frau L. im dicken B für die Einordnungen zukünftiger Werke anfragen, liebe Red.?

  • Vor 3 Tagen

    holt mich total ab. 4/5 vllt sogar 5/5. macht da weiter, wo der vorgänger aufgehört hat. mehr lebensverneinung aktuell ist schwer zu finden. ich verstehe nur die hälfte.
    ich hoffe, der arme mann findet seinen frieden :( :( :cry:

  • Vor 3 Tagen

    Kommt selten vor dass mich ein 1-Sterne Verriss zum hören animiert.

  • Vor 3 Tagen

    Der "Semmel-Himmler"... der "Laugenmann"... spätestens bei dieser pubertären Phrasendrescherei war klar, dass die Rezension für die Tonne ist. Völlig unabhängig davon, was das beschriebene Werk nun tatsächlich taugt.

  • Vor 3 Tagen

    Unabhängig davon ob das Werk nun groß oder grottig ist, die Review hier liest sich stellenweise wie in Text gepresste Verachtung.

    "Der Verlust seiner Françoise, an die sich "Au Revoir" richtet und in dem der Laugenmann das einzige Mal unmittelbar und empathisch singt, ist verständlicherweise tragisch, sollte ihn aber nicht daran hindern, einen zweiten Musiker an Land zu ziehen, mit dem er die für ihn für gescheite Musik scheinbar notwendige Kooperation auf Augenhöhe eingehen kann."

    Wie kalt kann man sein so einen Satz zu verfassen? Wenn die Musik schlecht ist kann man das so benennen, aber man sollte sich wenigstens empathisch dabei verhalten.

  • Vor 3 Tagen

    Was für eine unsachliche und despektierliche Kritik. Hat laut.de so einen Stil wirklich nötig? Ganz unabhängig davon, dass mir das Album gefällt.