laut.de-Kritik
Carpe Diem unter Bomben und Granaten.
Review von Yan VogelBruce Dickinson tritt nicht nur als Fechter, Bierbrauer, Autor, Pilot und Sänger einer der größten Metalbands aller Zeiten in Erscheinung, sondern zeichnet auch mit verantwortlich für eines der ungewöhnlichsten Konzerte der Musikgeschichte.
Im Bosnienkrieg belagern serbische Streitkräfte die Stadt Sarajevo. Der Krieg beendet abrupt das florierende kulturelle Leben. Wo Kinder früher Fußball spielen, sammeln sie jetzt Schrapnelle. Wo 1984 die olympischen Winterspiele stattfinden, bricht das gesamte öffentliche Leben zusammen. Hier setzt der Film nun an und erzählt vom Leiden junger bosnischer Teenies, aber auch der Hoffnung, die sie aus der Musik ziehen.
Nach dem Beginn der Belagerung 1992 beginnt im darauffolgenden Jahr wieder Leben im Schatten des Krieges. Im Untergrund finden Konzerte, Theaterstücke und Filmvorführungen statt, wohl wissend, dass es die Serben vor allem auf größere Menschenansammlungen abgesehen haben. Dieses Carpe Diem unter Bomben und Granaten gipfelt in der Erzählungen eines Bosniers, der die kurze Zeit des fließenden Stroms herbeisehnt, um wie wild auf seiner E-Gitarre zu spielen.
Inmitten dieser Wirren sprechen der UN-Beauftragte Trevor Gibson und Major Martin Morris über die Möglichkeit, ein Konzert in der belagerten Stadt zu veranstalten. Laut Dickinsons Biographie bekommen auch große Bands wie Metallica und Motörhead Anfragen, auf die deren Management nicht eingeht. Dickinson willigt hingegen ein, möglicherweise ohne die Unsicherheiten und Unwägbarkeiten zu bedenken. Das Konzert ist für Dezember 1994 geplant.
Der bosnische Künstler Jasenko Pasic fängt mittels Interviews mit den Beteiligten die Stimmung ein und strickt daraus eine grandiose Dokumentation. UN, Band und bosnische Protagonisten erzählen frei und emotional von den Geschehnissen, und wie diese ihre Sicht der Dinge fortan geprägt haben. Dabei gehen die Erfahrungen teilweise weit auseinander. Während die einheimischen Musiker und Künstler mit dem Konzert einen Schrei nach Normalität verbinden und Kraft heraus ziehen, zerplatzt für die Musiker der Band die Rock'n'Roll-Blase sehr schnell angesichts des Ausmaßes an Zerstörung und des menschlichen Leids.
Die Interviews, Filmeinspieler und Konzert-Ausschnitte sind anschaulich montiert. Die Bilder des Gigs liegen ausschließlich in Bootleg-Qualität vor, was angesichts der Tatsache, dass es sich hier um keinen Konzertfilm handelt, sondern der erzählerische Bogen viel weiter gespannt wird, nicht negativ ins Gewicht fällt.
Die meisten Bilder sind mit Dickinson-Songs und vereinzelt eingestreuten Maiden-Stücken unterlegt und führen stimmungsvoll durch das Geschehen. Den Startschuss zur Fahrt in die umkämpfte bosnische Hauptstadt markiert "Road To Hell" vom Album "Accident Of Birth". Auch die Einspieler mit realen Kriegs-Sequenzen fasst die dystopische Hymne "The Darkside Of Aquarius" anschaulich zusammen. Allerdings gehen die Bilder von echtem Leiden durch Mark und Bein. Auch "Tears Of The Dragon" und "Navigate The Seas Of The Sun" mit ihrer dramatischen Qualität sowie das unmittelbar nach der Heimkehr nach London entstandene "Inertia" bilden wichtige musikalische Anker.
Sowieso sitzt der Betrachter häufig da mit offenem Mund und staunenden Augen da, wie von einer Geschichte faszinierter Kinder. Ein berühmtes Foto zeigt Mit-Initiator und UN-Blauhelm Trevor Gibson beim verzweifelten Rettungsversuch eines angeschossenen bosnischen Kindes. Gibson kommen bei der Rückblende die Tränen, zeigen die Bilder ihn auch am Denkmal des an Ort und Stelle verstorbenen Jungen.
Manche Szenen entbehren bei allem Wahnsinn nicht einer gewissen Komik. Der Transfer nach Sarajevo ist ursprünglichen mit Helikoptern geplant. Nachdem diesen die Starterlaubnis verwehrt bleibt, sattelt die Band auf Planwagen im Western-Stil um. Eine Nichtregierungsorganisation namens The Serious Road Trip stellt ihre quietschbunten Klapperkisten zur Verfügung. Mit dem Konterfei von Road Runner und Asterix geht es fortan mitten durch Kriegsgebiet.
Für die lokale Rockszene ist Dickinsons Besuch wie eine Vitaminspritze. Es ist schön zu sehen, wie die unterschiedlichen Protagonisten in der Rückschau von zwanzig Jahren mit einer gehörigen Portion Unglauben, aber auch mit einem gewissen Stolz auf die Ereignisse zurückblicken. Als Major Morris die Vorband Sikther ankündigt, skandieren die Fans den Vornamen des Musikers Esad Bratovic. Dies klingt in Morris Ohren wie 'Asshole', weswegen er ihn verwundert anschaut, warum sie ihn beschimpfen würden. Konfrontiert mit dieser Anekdote brechen beide in lautstarkes Gelächter aus. Ein Moment der Hoffnung und Freude inmitten der längsten Belagerung der modernen Geschichte. Die verbindende Kraft der Musik fängt diese Doku brillant ein, ähnlich der Konzeptscheibe "Dead Winter Dead" von Savatage, die aufgrund der Handlung im kriegsgeplagten Sarajevo an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll.
3 Kommentare
hab mir nach jahre wieder mal balls to picasso um die ohren gehauen...
hach, das war einfach noch geile mucke!!!
Hoffe, auf dem Album gibt es mehr cowbells zu hören!
das war nicht nur geile Mucke, das IST immer noch Geile Mucke. einfach Zeitlos, leider ist Krieg das auch. In der Doku sehr gut zu sehen.